Joëlle Kunz, eine der führenden Westschweizer Journalistinnen, schreibt in ihrem blitzgescheiten Buch »Die Schweiz – oder die Kunst der Abhängigkeit« (Verlag Neue Zürcher Zeitung, 29.– oder als E‑Book 19.90):
»Die erste ausdrückliche und eindeutige Formulierung der Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft ist jene des Wiener Kongresses vom 20. Mai 1815: “Durch die gegenwärtige rechtskräftige Urkunde anerkennen und gewährleisten die unterzeichnenden Mächte in authentischer Weise, dass die Neutralität und Unverletzbarkeit der Schweiz sowie ihre Unabhängigkeit von jedem Fremden Einfluss dem wahren Interesse alle europäischen Staaten entspricht.”
Diese Formulierung stellte die Abkehr von der französischen Vorherrschaft dar, die fünfzehn Jahre gedauert hatte … Die Schweizer erkämpften sich 1815 ihre Unabhängigkeit also nicht, sie wurde ihnen vielmehr auferlegt, und die damit verbundene Neutralität war eine Neutralisierung.«
Dieses Buch empfehle ich allen, die sich seriös mit dem Thema der Schweizerischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit beschäftigen wollen und nicht nur der SVP nachplappern wollen.
Und genau zu diesem Jubiläum flattert mir das »Extrablatt der SVP« aus dem Briefkasten entgegen mit Schlagzeile wie »Schweizer Recht statt fremde Richter«, »Selbstbestimmung stärken« und »Unser Programm für eine freie, unabhängige und souveräne Schweiz«. Dabei habe ich noch kein Wort der SVP gegen Abkommen wie TISA, TTIP und CETA gehört, denen sich die Schweiz einmal gnädig anschliessen darf, wenn sie fertig verhandelt sind. Abkommen, die das Schweizerische Rechtssystem mit Schiedsgerichten aushebeln sollen, etc. Auch vom SVP-Chef-Demagogen habe ich bis heute noch nichts zu diesem Thema gehört, das bewirken soll, dass alle Macht nur noch den grossen globalisierten Konzernen gehören soll …
Die Zeitung strotzt von Halbwahrheiten, einem Geschichtsbild der letztjahrhundrigen Schulschule à la Schlüer und unkontrollierbaren Statistiken. Dazu nur ein Beispiel:
Im obigen Beispiel sehen sie zweimal den gleichen Sachverhalt, links im SVP-Extrablatt, rechts in einer andern Form. Beide Darstellungen zeigen die gleiche Wahrheit. Einfach ein bisschen anders dargestellt. Aber wie Sie im der Darstellung weiter unten sehen können, kann die böse steile Kurve von 5% Lohnanstieg noch weiter verflacht werden, wenn man das Raster richtig wählt. Und so stellt sich also die Frage, wer nun wen manipuliert.
Wer mit diesen Mitteln seine »Fakten« untermauert – untermauern muss – hat offensichtlich ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Schauen Sie sich den grossen Wurf der SVP-Granden und ihrem Chef-Demagogen genau an. Überlegen Sie sich einmal in Ruhe, was in der Schweiz ohne EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) geschehen könnte. Für Sie als BürgerIn und ArbeitnehmerIn könnte plötzlich ein wichtiger Teil des Instanzenwegs fehlen (also auch Instanzen weg!)
Fragen Sie sich, was das Ziel der SVP sein könnte, wenn sie die laufende Demontage der Schweizerischen Institutionen weiterführt, was sie mit »Vorschriften entrümpeln und Arbeitsplätze sichern« wirklich meint.
Fragen sie sich auch, wer diese Propaganda-Offensive bezahlt und warum ihm das so viel Geld wert ist. Einfach »der Schweiz zuliebe« wie er im BLICK zitiert wird? Oder geht es vielleicht eher darum, wie etwa Alois Hürlimann in der Tageswoche glaubt?
Und die Weisheit zur Sache:
Noch mehr Bürgernähe als im SVP-Extrablatt würde unter Stalking fallen.
unbekannt