Im Novem­ber 1527 starb in Basel ein junger Flüchtling an der Pest, je nach Quelle 27 oder 32 Jahre alt. Er war seit Jahren im Deutschen Reich und in der Eidgenossen­schaft unter­wegs gewe­sen: Augs­burg, Regens­burg, Basel, Nürn­berg, St. Gallen, Strass­burg, Worms, Kon­stanz, Ulm, Zürich, Schaffhausen … Dieses stetige Umherziehen war allerd­ings nicht seinem Wan­der­trieb oder sein­er Aben­teuer­lust geschuldet. Hans Denck gehörte zu ein­er Gruppe, deren Mit­glieder damals über­all ver­fol­gt und oft getötet wur­den, weil ihre Ansicht­en über das wahre Leben und Denken eines Chris­ten diame­tral mit der herrschen­den lutheranis­chen und zwinglian­is­chen Ortho­dox­ie zusam­men­stiessen:  die Täufer. Diesen Namen erhiel­ten sie wegen ihrer Lehre, dass der Entscheid, Jesu Christi nachzu­fol­gen, nur von selb­ständig Denk­enden, also Erwach­se­nen, getrof­fen wer­den könne und erst dann eine Taufe Sinn mache.

Hans Denck hat­te sich wie viele andere schon bald nach seinem Studi­um (artes lib­erales mit Latein, Griechisch und Hebräisch) der Ref­or­ma­tion Luthers angeschlossen. In Basel unter­stützte er Oeko­lam­pad und arbeit­ete als Kor­rek­tor in ein­er Druck­erei, wo er an der Her­aus­gabe ein­er vier­bändi­gen griechis­chen Gram­matik beteiligt war. Das sah zunächst ganz nach ein­er Human­is­tenkar­riere aus. Doch schon in Nürn­berg, wo ihm die Stelle des Rek­tors der Latein­schule ange­boten wor­den war, schloss er sich offen­sichtlich jenen refor­ma­torischen Denkern an, die Luthers Zögern, auch eine Reform der poli­tis­chen und sozialen Ver­hält­nisse ins Auge zu fassen, verurteil­ten.

Ob er in Nürn­berg Thomas Müntzer traf, den radikalen Geg­n­er Luthers und späteren Anführer im Bauernkrieg, ist nicht nachgewiesen. Aber er war befre­un­det mit zwei Schülern Albrecht Dür­ers, die als “got­t­lose Maler” vor Gericht gezo­gen wur­den. Das wurde Denck zum Ver­häng­nis, weil ihn der Stad­trat eben­falls zwecks Unter­suchung sein­er Recht­gläu­bigkeit vor­lud und befra­gen liess. Seine Antworten sind im schriftlich niedergelegten “Beken­nt­nis” erhal­ten geblieben und erlauben uns die Ein­sicht in eine Auf­fas­sung des christlichen Glaubens, die auf uns heute höchst mod­ern wirkt, und die er in ein­er ganzen Rei­he nach­fol­gen­der Schriften bekräftigte und ver­tiefte. Er wurde im Jan­u­ar 1525 deswe­gen aus­gewiesen und liess in Nürn­berg seine Frau zurück.

Erste Seite des Beken­nt­niss­es

Schauen wir uns doch ein­mal ein paar Überzeu­gun­gen Dencks an, die damals (und auch heute oft noch) als ket­zerisch gal­ten und ver­fol­gt wur­den:
- Die Bibel darf nicht als alleiniges Fun­da­ment des christlichen Glaubens betra­chtet wer­den. Sie ist voll von gegen­sät­zlichen Aus­sagen, weshalb eine wörtliche Ausle­gung zu Irrtümern führen muss.
- Ein bib­lis­ch­er Text kann die reine göt­tliche Wahrheit nicht enthal­ten, son­dern nur auf sie hin­weisen und auf ihre Erken­nt­nis vor­bere­it­en.
- Wahre Erken­nt­nis Gottes erfol­gt durch eine direk­te Offen­barung im eige­nen Herzen. Sie wird möglich durch Selb­sterken­nt­nis und das Able­gen von Vorurteilen und äusser­er Gelehrsamkeit.
- Man kann deshalb auch ohne Bibel und Predigt selig wer­den.
- Riten wie das Abendmahl sind blosse Äusser­lichkeit­en und leis­ten keinen Beitrag zur Erlö­sung des Men­schen.
- Es ist ein ver­häng­nisvoller Irrtum zu glauben, Jesus habe durch sein Opfer die Chris­ten gerettet und man nur an ihn glauben müsse, um selig zu wer­den. Die Tren­nung des Glaubens von sit­tlichen Forderun­gen ist unchristlich. (Damit stellte er sich gegen Luthers Lehre von der “Recht­fer­ti­gung” der Gläu­bi­gen durch die Gnade (sola gra­tia) und allein durch den Glauben (sola fide).
- Die Prädes­ti­na­tion­slehre Luthers und Calvins — die Lehre von der Vorherbes­tim­mung des Men­schen — ist ein Irrtum und nicht mit der bedin­gungslosen Liebe Gottes vere­in­bar.
- Es gibt keine ewigen Höl­len­strafen. Die Erlö­sung (Apokatas­ta­sis) wird let­ztlich allen Men­schen zuteil wer­den.
- Die religiöse Tol­er­anz muss sich auch auf Juden, Mus­lime und “Hei­den” erstreck­en.
- Der Staat ist ein notwendi­ges Übel.

Mit diesen Ansicht­en ver­wirk­te Denck das Recht, sich an einem Ort über län­gere Zeit nieder­lassen zu kön­nen. Sobald seine Anwe­sen­heit bekan­nt wurde, sorgten die lutherischen Geistlichen dafür, dass er wieder ver­trieben wurde. Immer­hin gelang es ihm in Worms, zusam­men mit Lud­wig Hätzer die erste gedruck­te deutsche Über­set­zung der Propheten­büch­er des Alten Tes­ta­ments nach dem hebräis­chen Orig­inal­text her­auszugeben: die soge­nan­nten “Wormser Propheten”. “Die Moti­va­tion und Zielset­zung der Über­set­zer war nicht nur the­ol­o­gisch, son­dern auch herrschafts- und sozialkri­tisch: Vor dem Hin­ter­grund der bluti­gen Nieder­w­er­fung der Bauer­nauf­stände im Bauernkrieg und der ein­set­zen­den Täufer­hin­rich­tun­gen erhielt die Polemik der alttes­ta­mentlichen Propheten gegen Unrecht und Macht­miss­brauch eine beson­dere Aktu­al­ität.” (Wikipedia)

Die Über­set­zung fand bald weite Ver­bre­itung, bis Mar­tin Luther, Hul­dr­eych Zwingli und weit­ere führende Refor­ma­toren den Bannstrahl gegen das Werk schleud­erten: Denck und Het­zer hat­ten die unfass­bare Frev­eltat began­gen, sich bei der Erar­beitung von jüdis­chen Gelehrten berat­en zu lassen!! Hein­rich Bullinger, der Mitar­beit­er Zwinglis in Zürich, nan­nte die bei­den hämisch “Rab­bin­er” der Täufer, was angesichts des dama­li­gen anti­semi­tis­chen Umfelds offen­sichtlich eine grobe Belei­di­gung war.

Als Hans Denck 1527 schliesslich in Basel seinen alten Fre­und Oeko­lam­pad auf­suchte, drängte ihn dieser, sich vom Täufer­tum zu dis­tanzieren, denn der Stad­trat hat­te allen Bürg­ern strik­te unter­sagt, Täufer zu beherber­gen. Das war dur­chaus ein weis­er Rat, wenn man an das Schick­sal denkt, das ein paar Jahre später den Täufer David Joris in Basel ereilte. Aber das ist eine andere Geschichte … Hans Denck kam dem Ansin­nen Oeko­lam­pads nach, weil er inzwis­chen auch die Taufe als eine äussere, für Chris­ten nicht notwendi­ge Zer­e­monie betra­chtete.

In der Koech­lin-Folge 11 ging ich auf den Gedanken Berd­ja­jews ein, die “Objek­tivierung” des Men­schen komme einem Abfall von Gott gle­ich. Faszinierend zu sehen, wie Denck in einem posthum veröf­fentlicht­en Text schon damals einen ganz ähn­lichen Gedanken­gang ver­trat:

Der Buch­stabengläu­bige als Anti-Christ

“In seinen “Haup­tre­den”, ein­er 1528 posthum veröf­fentlicht­en kurzen Abhand­lung, set­zt sich Denck mit dem Prob­lem des Ver­hält­niss­es von Ein­heit und Viel­heit auseinan­der. Er betont die Ein­heit Gottes. Alle Einigkeit habe ihren Ursprung in Gott, der als „das Eine“ aller Zwei­heit und damit aller Zwi­etra­cht ent­ge­gen­ste­he. Alles Erschaf­fene müsse auf das Einige hin erschaf­fen sein, anderen­falls gäbe es keine Ord­nung. Jedes Geschöpf sei ein „Gegen­wurf“ des Einen und biete als solch­er Gele­gen­heit, das Eine zu erken­nen. In erster Lin­ie gelte dies für den Men­schen als ver­nun­ft­be­gabtes Wesen. Die Bes­tim­mung des Men­schen sei es, von allem „Gezweit­en“ – der Entzweiung – in das Einige zurück­zukehren. Dies könne nur dadurch geschehen, dass man all das, was „dem Einen zuwider ist“, aufgebe. Da alle Uneinigkeit auf Ungle­ich­heit im Willen beruhe, komme es nur darauf an, Ein­heit zwis­chen dem göt­tlichen und dem men­schlichen Willen herzustellen. Darin beste­he die Gelassen­heit. Diesen auf einem freien men­schlichen Wil­len­sakt beruhen­den Prozess fasst Denck als Ver­got­tung des Men­schen auf.” (Wikipedia)

Die The­olo­gie, die Denck ent­warf und ver­trat, wird heute in der Forschung mit dem Begriff “Spir­i­tu­al­is­mus” oder “spir­i­tu­al­is­tis­ches Chris­ten­tum” beze­ich­net (nicht zu ver­wech­seln mit “Spiritismus”), der vielle­icht am besten mit dem Paulus-Wort “Der Buch­stabe tötet, der Geist macht lebendig” charak­ter­isiert wird.

In der näch­sten Folge wen­den wir uns dem zweit­en spir­i­tu­al­is­tis­chen Kämpfer zu, der sein Leben eben­falls in Basel been­dete: Sebas­t­ian Franck.

 

 

Kinder sollen in die Schule!
Eine eindrückliche Lektion in Sachen "Demokratie" ...

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