Nach der Vernissage von Christoph Gloors Ausstellung “Selbstportait” wurde ich mehrfach um den Text der Laudatio gebeten. Ich bin den Wünschen nachgekommen und habe den Text gemailt.
Nachdem nun die Redaktorin Sabine Knosala im letzten “Birsfelder Anzeiger” meine “sehr persönliche Rede” an der Vernissage erwähnt hat, wurde weiter von interessierten Birsfeldern nach dem Text gefragt. Diesem Wunsch komme ich nun hier nach.
Allerdings sinnvoller, zielgerichteter und nachhaltiger als meine Laudatio ist der Besuch der Ausstellung im Birsfelder Museum. Sehen Sie sich die Zeichnungen selbst an. Arbeiten, die nicht in Worte gefasst werden können.
Jeweils Sonntags ist der bekannteste Birsfelder Künstler anwesend und zu jedem Gespräch bereit.
Gloor Laudatio 19.8.2016 Birsfelder Museum
“Zuerst möchte ich die Damen und Herren, die einen Sitzplatz ergattern konnten beglückwünschen, weil meine Laudatio eine knappe Stunde dauern wird. Es wird dazwischen eine kleine Pause geben in der die Erstsitzenden ihre Plätze mit später Angekommenen tauschen können. Ich hoffe, Sie haben beim Eingang alle das Reihenfolgesitzberechtigungsticket gezogen, wie es auf der Post inzwischen zur Regel geworden ist. Falls nicht hätten Sie jetzt noch Gelegenheit dazu. Aber denken Sie daran: „Wär jung isch schtoot us Heefligkeit, dr Drammdiräggter het das gsait“.
Und nun zu Christoph Gloor: Meine erste Begegnung fiel auf einen ersten Adventssonntag. Es gehörte vor rund 60 Jahren für meine Eltern dazu, nach dem Kirchgang mit dem VW-Käfer in die Stadt zu fahren, auf dem Marktplatz zu parken, was kein Dichteproblem war und die Weihnachtsfenster im Warenhaus GLOBUS anzusehen. An Adventsstrassenbeleuchtung kann ich mich nicht erinnern. Für meine Eltern war es wohl der Blick aufs Wirtschaftswunder, für den Knirps und seine Schwester die allerschönsten Adventskalender-Bilder. Das dauerte, bis für mich der Kirchgang nicht mehr oblikatholisch war.
Die nächste Begegnung fand Jahre später statt, als vor der Safranzunft an der Fasnacht die „Kuttlebutzer“ an mir vorbeizogen. Beide Male wusste ich nicht, dass an den GLOBUS-Fenstern die beiden Dekorateurlehrlinge Tinguely und Gloor (Jeannot & Glöörli) ihre Hände mit im Spiel hatten, wusste nicht, dass die zwei mit dem Basler Maler Megge Kämpf die Kuttlebutzer-Züge geplant und realisiert hatten.
Ich lernte Christoph Gloor, durch seine Nebelspalter-Arbeiten kennen. Mein Vater war Arzt und brachte die Rorschacher-Nebel-Heftli jeweils nach dem Verfallsdatum vom Wartezimmer mit nach Hause. Heute sehen Sie im ersten Stock, dass sich das Verfallsdatum allenfalls auf die Publikation einen Bezug hatte, nicht aber auf die Zeichnungen von Christoph Gloor und die seiner Kollegen.
Persönlich lernte ich Gloor eigentlich erst vor rund 30 Jahren kennen, als er auf meiner Tiefdruckpresse seine ersten Radierungen herstellte. Seither sind wir bewusst nachhaltige Nachbarn: 100 Meter von Haustür zu Haustür, hundert Meter von Atelier zu Atelier, hundert Meter von Garten zu Garten und nicht zuletzt, hundert Meter von Bier zu Bier, von Aschenbecher zu Aschenbecher.
Heute und jetzt sitzen wir alle mitten in seinem „Selbstportrait“. Da an Christoph die Bits und Byts vorbeigerannt sind, sehen wir daran, dass er die Ausstellung nicht „Gloors Selfie“ nennt. Nach seinem im GLOBUS erlernten Beruf gefragt, sagt er noch immer Dekorateur. Die Jungen verstehen das nicht mehr. Die Ausbildung, so wurde mir kürzlich gesagt, heisst heute Poli Designer 3D. Das war zur Person Gloor.
Noch ein paar Worte zu Arbeit von Gloor: Sie werden bei den +/- 50 Jahre alten Arbeiten Zeichnungen finden mit dem Stempel vom damaligen Gloor: Karikaturist. Karikaturisten zeichnen zum Beispiel:
Merkel beim Langlaufen,
sie zeichnen: Berlusconi mit offener Hose,
sie zeichnen: Einen Bundesrat, der am Flugplatz auf seine Koffer wartet,
sie zeichnen: Einen Präsidentschaftskandidaten ohne Toupet
oder sie beleidigen einen Propheten.
Bei dieser Gelegenheit: die Mohammed-Zeichnungen aus Dänemark, die Karikaturen in „charlie hebdo“, niemand wird sich in ein paar Jahren dafür interessieren, allenfalls Historiker. Kunst ist anders. Hier, in diesem Museum, würden solche Bilder nicht ausgestellt. Nicht wegen des gezeichneten Inhalts, nein, wegen mangelnder zeichnerischer Qualität, das musste auch einmal gesagt sein.
Gloor ist nicht Karikaturist, er ist Karikachronist. Gloor beobachtet und zeichnet seit Jahrzehnten den alltäglichen, inzwischen globalisierten Irrsinn. Den Irrsinn, der die Patrioten europaweit aus ihren Löchern treibt, den Irrsinn, der uns alle betrifft, und uns noch nach Jahrzehnten betroffen macht. Der Stoff wird ihm nicht ausgehen. Er zeichnet keine Schadenfreude-Bilder, er lacht nicht mit Feder und TipEx über Missgeschicke der prominenten Mitbürger, er beschaut uns und bemalt uns. Wir sind gemeint, Sie, Du und ich, an denen der alltägliche Irrsin ohne Künstler wie Christoph Gloor weggleiten würde, abrutschen wie die nasse Seife in der Duschwanne.
Gloor lässt sich inspirieren von Philosophen und Literaten, von Lichtenberg, Kreisler und Kraus; und von seinen Haustieren.
Bei seinen Katzen- und Hundebildern wird der Satiriker zum Satieriker, geschrieben mit i‑e.
Und das alles und trotz allem immer mit seinem charmanten vorgetragenen bissigen Humor, immer mit todermstem Gesicht und lachenden Augen. Kürzlich bezeichnete er mir gegenüber Lukas Cranach als bedeutensten Landschaftsmaler. Auf mein Stirnrunzeln hin meinte er: „Der Cranach malt die schönsten Hügellandschaften. Venushügel“.
Ich danke Christoph Gloor für seine Bilder und Ihnen für Ihre Geduld.”