Titelbild: Lampo, Armodio 1993, tempera su tavola
Gesundheitsbedingt fahre ich wöchentlich zu einer Ergotherapie in die Stadt. Gewöhnlich verbinde ich das mit einem Besuch der Buchhandlung, die direkt gegenüber der Tramhaltestelle liegt.
Oft hole ich ein bestelltes Buch ab, häufig weiss ich im Voraus, was ich will. Meistens bleibt es nicht bei diesem einen Einkauf. So ist mir kürzlich neben dem gewünschten Elefanten von Martin Suter die vom Autor selbst ausgewählte Gedichtsammlung Hans Magnus Enzensberger, Gedichte 1950 ‑2015, Suhrkamp ins Auge gefallen. Als Kollateral-Einkauf mitgenommen stiess ich auf ein Gedicht aus meiner Schulzeit. Gute Gedichte sind nachhaltig.
Wir Schüler durften damals (für die meisten war es ein Müssen) im Deutschunterricht ein Gedicht vorstellen. Es wurde spät durch Nacht und Wind geritten, einsam im Nebel gewandert und und man spürte kaum einen Hauch.
Meiner Präsentation der Scheisse folgten zwei Sitzungen mit Lehrerkonvent und dem Rektorat. Telefonat des Rektors mit meinen Eltern. Dank eines literaturaffinen Deutschlehrers war das alles nicht notenwirksam.
Nach rund 50 Jahren gebe ich hier den Text noch einmal weiter. Es wird kaum Folgen haben, meine Eltern sind telefonisch nicht mehr erreichbar, ich werde das Gedicht auch nicht mit meinen eigenen Worten interpretieren.
Nur das: In den anschließenden Gesprächen stellte sich heraus, dass der im Text nicht namentlich erwähnte US-Präsident* der Stein des Anstosses war. Dass Enzensberger den Namen nicht nennt, macht das Gedicht nachhaltig.
- LBJ
Karin Müller
Jan 30, 2017
Ich musste das Gedicht 2x lesen + fand, so ist’s.
Dann dachte ich an unsere Tante Lotte, wenn sie vor jemanden so richtig Schiss hatte, sagte sie sich:
Der scheisst (ich macht) genau so braun wie ich.