Für 17. Juni 2007 war die Abstimmung über den Staatsvertrag (oft auch Fusionsvertrag genannt) der Rheinhäfen Basel, Birsfelden und Au (Muttenz) angesagt. Die Gemeinde Birsfelden stellte sich aus verschiedenen Gründen gegen diesen Vertrag. Sie vertrat an der Medienkonferenz bei Kaffee und Gipfeli für die JournalistInnen folgendes (aus dem Mediendossier):
»Die Gemeinde Birsfelden ist direkt von der Abstimmung zur Hafenfusion betroffen. Die Gemeinde sieht wichtige Anliegen im Staatsvertrag zur Hafenfusion nicht ausreichend berücksichtigt und lehnt diesen deshalb ab.
Am 17. Juni stimmt der Kanton Basel-Landschaft über den Staatsvertrag zur Hafenfusion ab. Birsfelden steht einer Hafenfusion grundsätzlich positiv gegenüber. Den vorliegenden Vertrag lehnt die Gemeinde aber entschieden ab. Im vorliegenden Staatsvertrag bleiben aus Gemeindesicht wichtige Parameter ungeklärt, die nach einem Vollzug der Hafenfusion kaum noch im Sinne von Birsfelden und des Kantons Basel-Landschaft geändert werden können. Deshalb plädiert der Gemeinderat für verbindliche Nachbesserungen im Vertragswerk zur Hafenfusion.
Überdimensioniert und unwirtschaftlich
Beim Hafen Birsfelden handelt es sich um ein Gebiet, das ca. ein Fünftel des gesamten Gemeindegebietes ausmacht. Birsfelden hält die Ausdehnung des Hafengebiets für überdimensioniert. Die Gemeinde kann über die Hafenzone aufgrund gesetzlicher Bestimmungen in keiner Weise mitbestimmen, was einer drastischen Beschneidung der Gemeindeautonomie gleich kommt. Die Wertschöpfung des Areals für die Gemeinde und den Kanton ist gering. Die Baurechtszinsen bieten den Unternehmen auch keinerlei Ansporn eine wirtschaftlichere Nutzung anzustreben. Für eine Gemeinde mit der Sozialstruktur von Birsfelden ist es aber nicht zu verkraften, grosse Teile des Gemeindegebietes in dieser Weise brach liegen zu lassen. Deshalb kann es für Birsfelden und den Kanton nur ein Ziel geben: Die wirtschaftliche Entwicklung im Hafengebiet muss ermöglicht und gefördert werden.
Gemeinderat schlägt Masterplan für einen Rheinhafen der Zukunft vor
Der Gemeinderat schlägt einen Masterplan für sämtliche Rheinhäfen vor. Die Bedürfnisse der Rheinhäfen sollen darin umfassend erörtert werden und der Masterplan als Grundlage für eine optimale Hafenbewirtschaftung der zukünftigen Rheinhäfen dienen. Die restriktiven Bestimmungen für die Birsfelder ‚Spezialzone Hafen’ sollen dann nur für die effektiv für den Hafenumschlag benötigten Gebiete gelten. Sicherheitsbedenken, wie der Umschlag von Gefahrengut in unmittelbarer Nähe von Birsfelder Wohngebieten, müssen im Masterplan berücksichtigt werden. Bei der Ausarbeitung des Masterplans muss den direkt betroffenen Gemeinden ein Mitspracherecht gewährt werden.
Im Staatsvertrag zur Hafenfusion sind zu all diesen Punkten keinerlei verbindliche Neuregelungen vorgesehen. Und deshalb lehnt ihn der Gemeinderat Birsfelden in dieser Form ab.«
Zudem forderte die Gemeinde Birsfelden die Ansiedelung wertschöpfungsintensiver Betriebe, für die Gemeinde, für den Kanton.
Eigentlich kennen wir diese Forderungen alle! Sie wird in jeder Diskussion um den Birsfelder Hafen immer wieder gestellt. Aber eben:
Alles kam ganz anders
In der kantonalen Abstimmung wurde der Vertrag mit 81.23% Ja und 18.77% Nein angenommen. Das Resultat in Birsfelden war allerdings praktisch umgekehrt. Die Birsfelder lehnten den Vertrag mit 86% Nein haushoch ab.
In der Basler Zeitung stand am 18.06.2007:
»Trübsal blasen mochte aber die Birsfelder Landrätin und SP-Präsidentin Regula Meschberger nicht: «Ich stehe grundsätzlich hinter dem Vertrag.» In den Vorgesprächen hätten beide Regierungen gesagt, dass sie die Anliegen der Gemeinde aufnehmen wollen. «Jetzt wird sich zeigen, ob das keine leeren Versprechungen waren.«
Für den Kanton war die Hafensache erledigt. Die SRH konnte Baurechte vergeben wie sie wollte, der Gemeinde blieb nichts als der Katzenjammer und dem Kanton das selbgefällige Nichtsmehrtun.
»Demokratische Vergewaltigung« einer Gemeinde?
TitelBild: Büchler, Inserate und Plakat: Birsfelder Anzeiger 2007 und SRH (durch Historisches Archiv Birsfelden)
Dies ist eine Artikelserie.
Mit Klick auf diese Zeile erhalten Sie alle bis jetzt erschienenen Artikel.
Christoph Meury
Apr 21, 2020
Die Argumente von damals, sind die Argumente von heute. Aus den gleichen Gründen, wie 2007 müsste die Gemeinde Birsfelden den Staatsvertrag ablehnen. Mit diesem Vertrag ist die Gemeinde Birsfelden defacto enteignet worden, sondern der Kanton hat das Hafenareal auch politisch annektiert. Das Mitspracherecht ist in einer absoluten Minderheitsposition eine pseudodemokratisches Mäntelchen, welches man mit der damaligen Aussage von Regula Meschberger: «Ich stehe grundsätzlich hinter dem Vertrag« nicht schönreden kann. Die Anliegen der Gemeinde Birsfelden sind in keiner Weise berücksichtigt worden, ergo ist ein solcher Vertag entschieden abzulehnen. Das gilt für damals, wie für heute. Das Beispiel zeigt auch, wie wir des öftern mit pseudodemokratischen Modellen operieren. Bei der Abstimmung im 2007 haben 85 Gemeinden im Kanton Baselland die Anliegen von Birsfelden ohne Not ignoriert. Da keine weitere Baselbieter Gemeinde allfällige Nachteile durch den Staatsvertrag hinnehmen musste, konnten sie die Anliegen der BirsfelderInnen locker überstimmen. In diesem Moment pulverisieren sich solidarische Positionen und ein Mitsprache- oder Mitbestimmungsrecht verkommt zur absoluten Leerformel. Eine Gestammel im Hintergrund autokratischer Prozesse. Wenn bei demokratischen Abstimmungen Minderheitspositionen vollständig ausgeklammert und ignoriert werden, ist die Demokratie in einem bedenklichen Zustand. Dabei kann man einen Vertrag auch im Grundsatz nicht gut finden. Da stimmt bereits in der Präambel eines solches Vertrages etwas nicht.
.
Aus heutiger Sicht müsste man diesen Vertrag nachdrücklich zur Disposition stellen. Es ist auch nicht plausibel, wieso eine privatrechtliche Firma, wie die SRH, mit einer Machtfülle ausgestattet wird und gleichzeitig ein demokratisches Gemeinwesen vollständig entmündigt wird. Eine solche Machtverschiebung torpediert sämtliche demokratischen Prozesse und entzieht auch dem Parlament letztlich die Hoheitsgewalt über die Entwicklung der beiden Hafenareale in Muttenz & Birsfelden. Wir bezweifeln, ob die Hafenfusion dem Kanton Baselland einen Mehrwert gebracht hat. Die eigentliche Hafenentwicklung findet seit der Fusion in Basel statt. Dort wird das Hafenareal massiv ausgebaut. Dort wird Geld in die Zukunft investiert. Die Hafenareale in Birsfelden und Muttenz sind Abstellareale. Hier werden die wenig rentablen Aktivitäten der Logistikfirmen ausgelagert. Es wäre dringend nötig — nach 13 Jahren Hafenfusion — eine ehrliche & transparente Bilanz zu ziehen und eine weitere Kooperation neu aufzugleisen.
.
Nachwievor (und ich wiederhole mich) wäre es interessant, wenn sich die Politik und damit die aktiven PolitikerInnen und ihre Parteien zur Hafenproblematik und dem falsch aufgegleisten Staatsvertrag äussern würden. Aus den Augen aus dem Sinn finde ich als Position inakzeptabel. Ein Gewerbe- und Industrieareal in dieser Grösse und der entsprechenden Prominenz kann von der Politik nicht ignoriert werden. Mehr den je ist eine funktionierende Wirtschaftspolitik der Motor einer nachhaltigen Entwicklung eines Gemeinwesens.
.
Gerade die Coronakrise zeigt uns doch deutlich, wie fragil eine wirtschaftliche Entwicklung ist und wie sehr wir uns um einen pfleglichen Umgang mit nachhaltiger Wirtschaftspolitik kümmern sollten.
Christoph Meury
Apr 21, 2020
Ergänzende Anmerkung: Coronakrise hin oder her, aber es irritiert schon etwas, dass sich die Politik plötzlich vollständig aus dem Alltag verabschiedet hat. Parlamente sind abgetaucht, Abstimmungen finden nicht mehr statt, Verwaltungen sind geschlossen und Exekutiven melden sich nur noch per Dekret oder Medienmitteilungen. Vieles was das BAG und mit ihm der Bundesrat zur Zeit kommuniziert ist vermutlich essentiell und hilft uns durch den Alltag. Das Social-Distancing ist Teil der lästigen Überlebensübung. Soweit okay!
.
Bundesrat & BAG haben uns aber kein Denkverbot und auch kein Redeverbot auferlegt. Das gilt sinngemäss auch für die politischen Lokalmatadoren. Die haben sich aber von ihrem Volk im Moment verabschiedet. Man will sich von seinen StimmbürgerInnen nicht mental infizieren lassen. So ruhig war’s noch nie im Politzirkus. Fast schon traumhaft!
.
Klar, das Birsfälderpünktli ist jetzt nicht das ultimative Medien mit hoher Einschaltquote und stimmenfangender Reichweite , aber es wäre nicht verboten, wenn sich ab und an zumindest eine ExekutivpolitikerIn zu Wort melden würde und mit uns kommuniziert, uns Trost in schwierigen Zeiten spendet, den Notleidenden im beruflichen Alltag zumindest sinnbildlich unter die Arme greift, sich mit der Beschwernis & Last einer Familie mit Kindern im Homeoffice und Homeschooling solidarisiert, etc. Aber sowohl aus der Verwaltungsgruft, wie auch aus dem Polithimmel vernehmen wir keinen Pieps. Grabesstille & Politstarre herrschen.
.
Auch im offiziellen Gemeindemedium, dem Birsfelder Anzeiger, lässt sich keine Departements- oder DirektionsvorsteherIn, keine PolitikerIn, keine Partei vernehmen. Hauptthema in der aktuellen Ausgabe: «Ein Limoncello — biologisch und Made in Birsfelden«. Ich bin sicher, dass ein tüchtiger Schluck der quasi hauseigenen Limoncello unsere Resistenz gegenüber dem Coronavirus verbessert, wesentlich. Auch die coronabedingte Überlastung der Recycling-Sammelstellen ist ein echtes Problem. Wir sind aber andererseits mächtig beruhigt, dass der Birsfelder Hafen funktioniert und uns mit den nötigen Eisenträgern, Betonmengen und vorallem mit Kohle und Kerosin versorgt (nur Ethanol hat man hier leider nicht gebunkert!). Damit sind wir klar auf der sicheren Seite. Auch die Heilsarmee kommt gebührend zu Wort und akquiriert diskret neue Mitglieder. Frau E.H. aus Birsfelden beglückt uns spaltenlang mit ihren Osterfantasien und freut sich mit uns über summende Bienen und sonstige schöne Dinge.
.
Wir sehen: Wir leben in der besten aller möglichen Welten und alles ist picobello!
.
PS.: Ich mutiere sukzessive zum schreibenden Autisten. Monothematisch kommuniziere ich nur noch mit Franz und werde zum Hafensektierer.
Wie sagt der Psychiater: Es ist kein Problem, wenn du in schwierigen Zeiten mit den Blumen, oder sonstigen Dingen redest. Kritisch wird es erst, wenn dir die Blumen oder Bienen antworten.
Christof Hiltmann
Apr 22, 2020
Lieber Christoph Meury
Wir sind nicht in der Versenkung verschwunden, sondern mit den vielen kleinen und grösseren Effekten der Corona-Krise ziemlich beschäftigt. Der Gemeinderat tagt weiterhin wöchentlich und wir erledigen zusammen mit der Verwaltung sämtliche Arbeiten so, dass alle notwendigen Dienste erbracht werden und wir alles wieder aufstarten können, sobald die BAG-Vorgaben auch für uns gelockert werden (inkl. Gemeindeversammlung).
Hier noch ein interessanter Hinweis zu deinen obigen Ausführungen: Es ist zwar so, dass Birsfelden bei der Hafenabstimmung in fast schon kläglicher Manier von den anderen Gemeinden ‘im Stich’ gelassen wurde. Nur zahlen diese dafür einen hohen Preis:
Wie bekannt ist, bezieht Birsfelden den höchsten Beitrag aus dem kantonalen Finanzausgleich (in absoluten Zahlen). Der Finanzausgleich wird dabei nicht vom Kanton, sondern den anderen Gemeinden gespiesen. Es bezahlen also Reinach, Binningen, Allschwil & Co. dafür, dass unser Hafengebiet durch die beiden Kantone BS & BL ‘annektiert’ und mit tiefem Steuerertrag bewirtschaftet wird.
Fast schon ausgleichende Gerechtigkeit, finde ich. Trotzdem bleiben wir dran, den Hafen wirtschaftlich und nutzungstechnisch attraktiver zu gestalten.
Beste Grüsse und allen gute Gesundheit,
Christof Hiltmann, Gemeindepräsident Birsfelden
PS: Gratulation zu den vielen spannenden Einsichten zur Hafengeschichte Birsfelden
Franz Büchler
Apr 22, 2020
Lieber Christoph
Es wäre ja wirklich einmal interessant, was denn die Gemeindeverwaltung wegen Sars-CoV2 so beschäftigt. Ich muss dir ehrlich sagen, dass ich mir das nicht vorstellen kann. Obwohl ich meist über genügend Phantasie verfüge.
Aber du weisst: Du hast dafür jederzeit eine eigene Seite zur Verfügung!
Herzliche Grüsse Franz
Christoph Meury
Apr 22, 2020
Lieber Christof
Natürlich habe ich vermutet, dass der Gemeinderat im Backoffice aktiv ist. Die Maschinen müssen ja am laufen gehalten werden. Ich meine aber, dass die Kommunikation aller GR’s zur Bevölkerung wichtig ist, vorallem in Krisenzeiten. Explizit in Coronazeiten. Das Vertrauen der Bevölkerung kann sich ja nicht im luftleeren Raum aufbauen.
.
Stimmt! Birsfelden bekommt einen Millionenbetrag von den Gebergemeinden. Aber nicht als Entschädigung für verpasste Pachtzinsen und Steuereinnahmen im Hafen, sondern, weil die Finanzlage der Gemeinde dies evoziert und Birsfelden. Damit wird Birsfelden zur Nehmergemeinde stigmatisiert. Dabei könnte Birsfelden mit dem vorhandenen Potential durchaus auf eigenen Beinen stehen und von einer Nehmer- zu einer Gebergemeinde mutieren. Dafür muss Birsfelden aber an den Erträgen und an den zukünftigen Mehrwertsteigerungen der Hafenwirtschaft beteiligt werden. Das würde vermutlich auch die Gebergemeinden freuen. Nur weil der Kanton mit den Hafenarealen Geld verschenkt, müssen Reinach, Binningen, Allschwil und Co. über Gebühr tief in die Tasche greifen, um die verarmten Verwandten zu alimentieren. Die kantonale Finanzpolitik ist in diesem Sinne völlig verkehrt aufgestellt. RR Anton Lauber (CVP — das ist die gleiche Partei, welche uns GR Simon Oberbeck in seiner Doppelrolle beschert hat) könnte dies ändern, wenn er dann wollte.
CATO
Apr 22, 2020
Ceterum Censeo: Übrigens bin ich der Meinung, dass ein Vertreter der Rheinhäfen nichts im Gemeinderat zu suchen hat.