In sei­ner letz­ten “Spiegel”-Kolumne mit dem Titel “Goog­le greift nach dem Leben selbst” stellt uns Chris­ti­an Stö­cker den neu­es­ten Explo­it der sich immer schnel­ler ent­wi­ckeln­den KI mit fol­gen­der Ein­füh­rung vor :
“Haben Sie die­se Woche mit­be­kom­men, wie sich die Welt ver­än­dert hat? Auf den ers­ten Blick ist etwas gesche­hen, das nur für Fach­leu­te inter­es­sant ist: Eine Goog­le-Toch­ter gewinnt einen Wett­be­werb. Doch die­ser Sieg ist der Vor­bo­te einer neu­en Zeit.”

Das tönt ja schon mal ziem­lich dra­ma­tisch. Was ist passiert?

Offen­sicht­lich gelang es einer Wei­ter­ent­wick­lung der Alpha Go-Maschi­ne von Deep­mind namens “Alpha­Fold” im Rah­men eines Wett­be­werbs eine hoch­kom­ple­xe Auf­ga­be in der Mole­ku­lar­bio­lo­gie bes­ser zu lösen als gan­ze For­scher­teams mit einer viel­jäh­ri­gen Erfahrung:
“CASP steht für Cri­ti­cal Assess­ment of Pro­te­in Struc­tu­re Pre­dic­tion. Dar­um geht es in dem alle zwei Jah­re aus­ge­tra­ge­nen Wett­be­werb: auf Basis einer Abfol­ge von Ami­no­säu­ren vor­her­zu­sa­gen, wel­che Form ein in einer Zel­le gebil­de­tes Pro­te­in am Ende haben wird. Das Pro­blem selbst – wie sieht das Pro­te­in am Ende aus? – gilt in der Wis­sen­schaft seit 50 Jah­ren als »Grand Chal­len­ge«, als gro­ße Her­aus­for­de­rung also. … Deep­minds ler­nen­des Sys­tem Alpha­Fold lie­fert jetzt so gute Ergeb­nis­se, dass sie von expe­ri­men­tell, also phy­sisch im Labor her­ge­stell­ten Pro­te­in­struk­tu­ren kaum noch abwei­chen. Die Maschi­ne kann also die Grund­bau­stei­ne des Lebens aus­rech­nen, bes­ser als alle Men­schen, deren Beruf das ist.”

John Moult, der Begrün­der des CASP-Wett­be­werbs: “Ich hät­te nicht gedacht, dass ich das noch mit­er­le­ben würde.”

Die­se rasend schnel­le Ent­wick­lung der KI dürf­te die Dis­kus­si­on erneut anhei­zen, ob und wann KI so etwas wie Bewusst­sein ent­wi­ckeln könn­te — und damit viel­leicht auch wei­te­re Eigen­schaf­ten, die wir als “spe­zi­fisch mensch­lich” bezeich­nen wür­den. Stan­ley Kubrick hat die­se Mög­lich­keit 1968 in sei­nem Film “2001: Odys­see imWelt­raum” mit dem Super­com­pu­ter HAL 9000 bekannt­lich schon vorgedacht.

Eine Per­sön­lich­keit, die eine sol­che Mög­lich­keit dezi­diert in das Reich der Fabeln ver­weist, ist der Mathe­ma­ti­ker Sir Roger Pen­ro­se, der für sei­nen Nach­weis der Exis­tenz der Schwar­zen Löcher mit dem dies­jäh­ri­gen Nobel­preis für Phy­sik geehrt wird. (Damit sind sei­ne Ent­de­ckun­gen aller­dings noch lan­ge nicht erschöpft.)

Aus dem Vor­wort von Mar­tin Gard­ner zu des­sen Buch “The Emperors New Mind” (in Anspie­lung auf “Des Kai­sers neue Kleider”):
“Seit Jahr­zehn­ten ver­su­chen uns die Befür­wor­ter der “star­ken KI” (Künst­li­che Intel­li­genz) ein­zu­re­den, dass es nur noch eine Fra­ge von ein oder zwei Jahr­hun­der­ten ist (man­che haben die Zeit auf fünf­zig Jah­re her­ab­ge­setzt!), bis elek­tro­ni­sche Com­pu­ter alles tun wer­den, was ein mensch­li­cher Geist tun kann. Ange­regt durch Sci­ence-Fic­tion, die sie in ihrer Jugend gele­sen haben, und in der Über­zeu­gung, dass unser Geist ein­fach ein “Com­pu­ter aus Fleisch” ist …, gehen sie davon aus, dass Freu­de und Schmerz, die Wert­schät­zung von Schön­heit und Humor, Bewusst­sein und frei­er Wil­le Fähig­kei­ten sind, die sich auf natür­li­che Wei­se ent­wi­ckeln wer­den, wenn elek­tro­ni­sche Robo­ter in ihrem algo­rith­mi­schen Ver­hal­ten aus­rei­chend kom­plex wer­den. … Aber “ver­steht” ein elek­tri­scher Com­pu­ter, was er tut, auf eine Wei­se, die dem “Ver­ständ­nis” eines Aba­kus über­le­gen ist? Com­pu­ter spie­len heu­te Groß­meis­ter-Schach. Ver­ste­hen” sie das Spiel bes­ser als eine Tick-Tack-Toe-Maschi­ne, die eine Grup­pe von Com­pu­ter­ha­ckern einst mit Bas­tel­spiel­zeug konstruierte?”

Das sind span­nen­de Fra­gen, wel­che Phy­si­ker, Phi­lo­so­phen und Neu­ro­bio­lo­gen bis heu­te in zwei Lager spal­ten. Schon 1977 lös­te ein ande­rer Nobel­preis­trä­ger, Sir John C. Eccles mit sei­nem Buch “The Self and its Brain(dt. “Das Ich und sein Gehirn”), das er zusam­men mit dem Phi­lo­so­phen Karl Pop­per schrieb, eine gros­se wis­sen­schaft­li­che Kon­tro­ver­se aus.
Er ver­trat näm­lich die Ansicht, dass sich Bewusst­sein nicht auf ein Epi­pä­no­men kom­ple­xer neu­ro­phy­sio­lo­gi­scher Pro­zes­se redu­zie­ren las­se, — und Pen­ro­se ver­sucht zu bewei­sen, dass dies auch für eine noch so hoch­ent­wi­ckel­te KI gilt. Aber sowohl Eccles und Pen­ro­se ver­tre­ten mit die­ser Posi­ti­on eine klei­ne Min­der­heit in der heu­ti­gen natur­wis­sen­schaft­li­chen Fachwelt.

Letz­lich geht es bei die­sen Dis­kus­sio­nen immer um die glei­che Fra­ge: Ist der Mensch ledig­lich das vor­läu­fig letz­te Pro­dukt einer lan­gen Evo­lu­ti­on inner­halb des Tier­rei­ches, oder ist er ein spi­ri­tu­el­les Wesen mit einem von Gehirn­pro­zes­sen unab­hän­gi­gen Bewusst­sein, das sich zur­zeit gera­de in einem Kör­per befin­det, der aller­dings tat­säch­lich zum Tier­reich gehört?

Und damit ver­bun­den ergibt sich auch schon die nächs­te Fra­ge: Was soll denn unter “Ent­wick­lung der Mensch­heit” eigent­lich ver­stan­den werden?
Ver­tre­ter der “Mensch als Tier”-These sehen das zukünf­ti­ge Heil im sog. “Trans­hu­ma­nis­mus”, für den die Ent­wick­lung der KI von gros­ser Wich­tig­keit ist.
Ver­tre­ter eines spi­ri­tu­el­len Men­schen­bil­des hin­ge­gen hof­fen auf einen bal­di­gen Quan­ten­sprung im mensch­li­chen Bewusst­sein, der die Mensch­heit geis­tig-see­lisch auf eine neue Stu­fe hebt, der aber im Mensch-Sein selbst schon ange­legt ist und kei­ner tech­no­lo­gi­schen KI-Unter­stüt­zung bedarf.

Es lohnt sich, die­se bei­den Ent­wick­lungs­we­ge etwas näher zu betrach­ten. Das wer­den wir in der nächs­ten Epi­so­de in zwei Wochen tun.

 

 

 

Tür.li 11 (2020)
Birsfelden von hinten 20/6

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