Nach­dem wir uns hier anhand von Christoph Meurys Argu­men­ta­tion mit den The­men “Pla­nungssicher­heit, Ver­schleuderung von Steuergeldern und Wesen der direk­ten Demokratie” auseinan­derge­set­zt haben, wen­den wir uns der Frage zu, inwiefern und ob über­haupt das Sali­na Rau­ri­ca-Pro­jekt in der heuti­gen Zeit noch Sinn macht.

Das Haup­tar­gu­ment der Befür­worter: Bei Sali­na Rau­ri­ca han­delt es sich aus zwei Grün­den um ein “Schlüs­se­len­twick­lungs­ge­bi­et”.
● Es erlaubt in den näch­sten Jahrzehn­ten einen Gut­teil der ver­muteten und für die Wirtschaft­sen­twick­lung notwendi­gen Zuwan­derung in den Kan­ton BL  aufzunehmen.
● Die 2500 neuen Arbeit­splätze im Gewerbe- und Indus­tri­eteil führen zu einem soli­den Wirtschaftswach­s­tum im Kan­ton. Die Zeit drängt, das grosse Vorhaben jet­zt endlich umzuset­zen: “Baupro­jek­te in dieser Grössenord­nung sind Gen­er­a­tio­nen­pro­jek­te und dauern a pri­ori mehrere Jahre. Daher plant und baut man für die näch­ste, oder übernäch­ste Gen­er­a­tion. Heisst: Die Gen­er­a­tion, welche dere­inst in Sali­na Rau­ri­ca wohnen und arbeit­en wird, geht zur Zeit in den Kinder­garten. Das soll­ten sich die Grossel­tern, welche jet­zt opponieren, mal kurz vor Augen hal­ten.” (Christoph Meury)

Ich gehöre tat­säch­lich in die Kat­e­gorie “opponieren­der Gross­vater”. Wie würde ich denn einem Jun­gen oder Mäd­chen der jet­zi­gen und der näch­sten Gen­er­a­tion erk­lären, warum ich dem Sali­na Rau­ri­ca-Vorhaben kri­tisch gegenüber­ste­he?

Vielle­icht so:
Meine Gen­er­a­tion hat eine schwindel­er­re­gende Entwick­lung der tech­nis­chen Möglichkeit­en haut­nah miter­lebt. Als Jugendlich­er lötete ich noch meinen ersten Radioempfänger mit den ger­ade neu entwick­el­ten Tran­si­s­toren zusam­men und guck­te bei Ver­wandten, die etwas reich­er waren als wir, ab und zu an einem Sam­sta­gnach­mit­tag fasziniert die Pfer­de­serie “Fury” als flim­mernde Schwarz-Weiss-Bilder im kleinen Guck­kas­ten namens Fernse­her an.

Ab und zu radel­ten wir stun­den­lang nach Kloten, um die ele­gante vier­mo­torige Con­stel­la­tion zu bewun­dern. Und als Knirps erlebte ich noch die let­zten Dampfloko­mo­tiv­en, die für Güterzüge einge­set­zt wur­den. Wir drei Brüder teil­ten uns ein Zim­mer, und man­gels Warmwass­er und Badez­im­mer fand die Mor­gen­toi­lette jew­eils in der Küche statt …

Dann kamen die Sput­niks mit dem unvergesslichen “bip-bip-bip”, die erste Mond­lan­dung, die ersten Per­son­al-Com­put­er, und schliesslich das Inter­net, die Entwick­lung der Kün­stlichen Intel­li­genz mit ihren unge­heuren Chan­cen und Gefahren — und das alles inner­halb weniger Jahrzehnte. Ein Handy ist heute dem Bor­d­com­put­er der Apol­lo 11, der ger­ade mal über einen fes­ten Spe­icher­platz von 74 Kilo­byte und einen Arbeitsspe­ich­er von vier Kilo­byte ver­fügte, mil­lio­nen­fach über­legen.

Par­al­lel dazu explodierte das weltweite Wirtschaftswach­s­tum dank all dieser tech­nis­chen Inno­va­tio­nen in einem ungeah­n­ten Aus­mass. Und wir haben uns daran gewöh­nt — wenig­stens in einem Teil der Welt — auch in ungeah­n­tem Aus­mass kon­sum­ieren zu kön­nen. Eine raf­finierte Wer­bein­dus­trie malt uns ein Schlaraf­fen­land an begehrenswerten Gütern vor Augen. Damit das alles so bleibt, muss die Wirtschaft weit­er­hin stetig wach­sen, und dafür braucht es dann weit­ere “Schlüs­se­len­twick­lungs­ge­bi­ete”.

Die dun­kle Seite dieser ganzen faszinieren­den Entwick­lungs­geschichte wurde allerd­ings auch immer sicht­bar­er und liegt heute offen vor aller Augen: Raub­bau an der Erde, Ver­schmutzung der Ozeane, glob­ale Aufrüs­tung, und das Menetekel ein­er Kli­makatas­tro­phe, die das Ende der Men­schheit ein­läuten kön­nte.

Das erste Mal, als mir bewusst wurde, dass die west­liche Gesellschaft vielle­icht nicht unbe­d­ingt die Krö­nung men­schlichen Fortschritts ist, war mein Kon­takt mit indi­ge­nen nor­damerikanis­chen Del­e­ga­tio­nen im Rah­men von Inco­min­dios in den 80er-Jahren. Sie reis­ten damals häu­fig nach Genf, um in der UNO-Men­schen­recht­skomis­sion in Genf für ihre Lan­drechte zu kämpfen. Die Liste der gebroch­enen Ver­sprechen und Verträge seit­ens der weis­sen Kolonisatoren ist ein einziges Trauer­spiel, — und alles im Namen der dama­li­gen wirtschaftlichen Entwick­lung in den USA.

An einem wun­der­schö­nen Son­ntag­mor­gen wan­derte ich mit Chief Oren Lyons, einem MedicineMan/Schamanen der Hau­denosaunee (Iroke­sen) und einem alten Lako­ta (Sioux) auf den Gem­pen. An einem geschützen Ort auf ein­er kleinen Fel­skanzel beschlossen die drei, mit mir zusam­men ein Pfeifen­z­er­e­monie mit dem heili­gen Tabak Kin­nikin­nick durchzuführen. Als Oren Lyons einen Schrei ausstiess und ich ver­wun­dert fragte, was los sei, antwortete er, er habe ganz ein­fach die Naturgeis­ter des Gem­penge­bi­ets zusam­mengerufen, unser Rit­u­al mit ihrer Anwe­sen­heit zu beehren.

Damals däm­merte mir, dass unsere west­liche Weise, die Natur zu erleben und mit ihr umzuge­hen, vielle­icht nicht die einzige — und schon gar nicht die beste sein kön­nte. Ein­er der schärf­sten indi­an­is­chen Kri­tik­er unser­er west­lichen Zivil­i­sa­tion und unser­er Ein­stel­lung zur Natur war Jack D. Forbes. In seinem Klas­sik­er “Die Wetiko-Seuche” zitiert er aus dem Tage­buch eines christlichen Mis­sion­ars im Kon­go. Die Ver­ach­tung alles Natür­lichen und ins­beson­dere des Waldes zeigt sich heute tausend­fach poten­ziert in der Tat­sache, dass der Ama­zonaswald dank der mas­siv­en und fort­laufend­en Zer­störung seit kurzem mehr CO2 abgibt als er aufn­immt.

Inzwis­chen zeich­nen die Quan­ten­physik und Erken­nt­nisse in Psy­cholo­gie, Eth­nolo­gie, Reli­gion­swis­senschaften und Gehirn­phys­i­olo­gie eine neue Wirk­lichkeit, die das Newton’sche und Descart’sche Welt­bild ablöst und deut­lich zu machen begin­nt, dass wir “West­ler” uns dank unser­er ein­seit­i­gen ratio­nalen Denkweise und mit unser­er total­en Fix­ierung auf tech­nis­che Entwick­lung und ewiges Wirtschaftswach­s­tum in eine gewaltige Sack­gasse manövri­ert haben. Wir haben zwar im sog. “entwick­el­ten West­en” — und immer mehr auch im “entwick­el­ten Osten” — wenig­stens für einen Teil der Bevölkerung einen Wohl­stand erre­icht, der in der Men­schheits­geschichte seines­gle­ichen sucht, gle­ichzeit­ig ist unser See­len­leben fast im gle­ichen Masse verödet. “Entwick­lung” bezieht sich nur noch auf Materielles. Dass sich auch unser Bewusst­sein entwick­eln müsste, begin­nt aber zum Glück immer mehr Men­schen auf diesem wun­der­schö­nen blauen Plan­eten zu däm­mern. Die rasche Entwick­lung ein­er inte­gralen Sichtweise, die auf den Erken­nt­nis­sen Jean Geb­sers und Ken Wilbers auf­baut, ist ein solch­er Hoff­nungss­chim­mer, — in der Schweiz z.B. vertreten durch die Inte­grale Poli­tik oder die Bewe­gung Neue Kul­tur.

Vielle­icht liegt der Schlüs­sel für die zukün­ftige Entwick­lung weniger im Real­isieren von immer weit­eren “Schlüs­se­len­twick­lungs­ge­bi­eten” als vielmehr im Real­isieren, dass es heute höchst sin­nvoll wäre zu fra­gen, wohin uns der zum Selb­stläufer gewor­dene Glaubenssatz des wirtschaftlichen “Immer noch mehr” zu führen dro­ht?

Angesichts der gewalti­gen Her­aus­forderun­gen, die in den kom­menden Jahrzehn­ten auf uns zukom­men, wäre deshalb eine Denkpause mehr als sin­nvoll. Die Aktion­s­gruppe “aapacke” ver­langte 2019 mit ihrer Ini­tia­tive und heute mit ihrem Ref­er­en­dum gegen den Aus­bau des 14er-Trams genau das: eine Denkpause.

Die Basel­bi­eter Stimm­bürg­erin­nen und Stimm­bürg­er haben am 13. Juni die Gele­gen­heit, mit einem Nein zum 14er-Pla­nungskred­it und so mit einem Ja für ein reflek­tieren­des Innehal­ten im sich immer schneller drehen­den Wirtschaft­sen­twick­lungskar­rus­sell ein weit herum sicht­bares Zeichen zu set­zen.

Und wer weiss: Vielle­icht wird uns die näch­ste und übernäch­ste Gen­er­a­tion dafür um Vieles dankbar­er sein als für das Priv­i­leg, eines Tages in einem Sali­na Rau­ri­ca-Block eine Woh­nung zu ergat­tern …
.

The Earth is beau­ti­ful
The Earth is beau­ti­ful
The Earth is beau­ti­ful
Below the East, the Earth, its face toward the East,
The top
Of its head is beau­ti­ful
Its legs, they are beau­ti­ful
Its body, it is beau­ti­ful
Its chest, it is beau­ti­ful
Its breath, it is beau­ti­ful
Its head feath­er, it is beau­ti­ful
The Earth is beau­ti­ful.

Nava­jo Song

 

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