Erich Fromm schliesst seine mah­nen­den Worte zur “kyber­netis­chen Reli­gion” des Mar­ket­ing-Charak­ters mit fol­gen­der Fest­stel­lung:
Je mehr wir in unser­er Isolierung gefan­gen sind, je unfähiger wir wer­den, emo­tion­al auf die Welt zu reagieren, und je unver­mei­dlich­er uns gle­ichzeit­ig ein katas­trophales Ende erscheint, desto bösar­tiger wird die neue Reli­gion. Wir sind nicht länger Her­ren der Tech­nik, son­dern wer­den zu ihren Sklaven – und die Tech­nik, einst ein wichtiges schöpferisches Ele­ment, zeigt uns ihr anderes Gesicht als Göt­tin der Zer­störung (wie die indis­che Göt­tin Kali), der Män­ner und Frauen sich selb­st und ihre Kinder zu opfern bere­it sind. Während sie bewusst noch an der Hoff­nung auf eine bessere Zukun­ft fes­thält, ver­drängt die kyber­netis­che Men­schheit die Tat­sache, dass sie begonnen hat, die Göt­tin der Zer­störung zu ihrem Idol zu erheben.

Fromm schrieb dies vor über 50 Jahren. Was würde er wohl heute sagen?
Vielle­icht würde er sich der Analyse des englis­chen Sozi­olo­gen Kings­ley L. Den­nis anschliessen, der in seinen Büch­ern so wie Fromm die Ent­frem­dung der Men­schheit von ihrem tief­er­en Wesenskern schildert. Hier einige Auszüge aus seinem kür­zlich erschiene­nen Buch The Inver­sion. How we have been tricked into per­ceiv­ing a false real­i­ty” (Die Umkehrung. Wie wir dazu gebracht wur­den, eine falsche Real­ität wahrzunehmen):
Die Men­schheit scheint sich, ins­beson­dere in der Mod­erne, von ihrer eige­nen Authen­tiz­ität und ihren wahren Möglichkeit­en ent­fremdet zu haben. Seit Jahrhun­derten gren­zen wir uns voneinan­der ab. Seit­dem sich die men­schliche Spezies von ihrem heili­gen Gefühl der tran­szen­den­tal­en Verbindung getren­nt hat, leben wir in einem umgekehrten Massen­be­wusst­sein, das dem ein­heitlichen erweit­erten Bewusst­sein fremd ist. Wir jagen unseren Schwänzen in der gerin­geren Real­ität von Pseu­do-Ereignis­sen hin­ter­her, die unseren lokalisierten Punkt des Bewusst­seins ablenken. Dies hat nach so vie­len Jahrhun­derten zu ein­er Form psy­chol­o­gis­ch­er Dis­sozi­a­tion oder eines Trau­mas inner­halb der men­schlichen Spezies geführt. Und was wir heute auf der ganzen Welt sehen, ist eine Form dieser zer­split­terten Psy­che, die nach außen auf die fluk­tu­ierende Lein­wand unseres verkehrten Wirk­lichkeitssinns pro­jiziert wird. (…)

Der Men­sch hat eine indi­vidu­elle soziale Iden­tität, die jedoch mit dem sozialen Kollek­tiv übere­in­stimmt. Darüber hin­aus wird diese soziale Iden­tität nun an das Man­age­ment der maschinellen Architek­tur weit­ergegeben. Unser Ver­hal­ten in dieser Real­ität wird immer weniger von sozialen Kräften geprägt, und wir wer­den immer mehr zu Ver­hal­tensweisen gedrängt, die dem maschinellen Impuls vorzuziehen sind. Der Wan­del geht in eine Rich­tung, in der eine umgebende Architek­tur der Überwachung und Kon­trolle danach strebt, Echtzeit-Hand­lun­gen in der „realen Welt“ zu mod­i­fizieren. Ist die Men­schheit auf dem besten Weg, zu einem weit­eren Gerät inner­halb ein­er über­greifend­en Architek­tur der Automa­tisierung zu wer­den? (…)

Wir alle wer­den in bes­timmten Spra­chumge­bun­gen erzo­gen und pro­gram­miert, und unsere Vorstel­lungskraft wird durch diese spez­i­fis­chen Sprach­struk­turen geprägt. Jedes Indi­vidu­um, das in diese Welt/Realität hineinge­boren wird, ist bis zu einem gewis­sen Grad pro­gram­miert. Gegen­wär­tig befind­et sich die Men­schheit jedoch in ein­er umfassenden Umstruk­turierung, in der ein maschinelles Rekod­i­fizierung­spro­jekt im Gange ist. Wir wer­den biol­o­gisch, sozial und psy­chol­o­gisch neu pro­gram­miert. Die biol­o­gis­che und psy­chol­o­gis­che Dimen­sion ver­schmelzen zum absichtlichen Nachteil unseres Innen­lebens. Es find­et eine Reter­ri­to­ri­al­isierung statt, die darauf abzielt, den Men­schen von seinem inneren oder „spir­ituellen“ Impuls abzuschnei­den. Wie in diesen Kapiteln unter­sucht wird, erfordert der “maschi­nen­hafte” (engl. machinic) Imper­a­tiv – oder der Antrieb der Entropiekräfte – eine Abs­tump­fung des men­schlichen spir­ituellen Impuls­es, um erfol­gre­ich zu sein. Die Inver­sion wird in ein Kon­strukt aus Tech­nik und Tech­nolo­gie umge­wan­delt. Eben­so wird das men­schliche Bewusst­sein zu einem Aus­druck des maschinellen Bewusst­seins umge­formt, wobei die Mech­a­nisierung des Psy­chol­o­gis­chen nur ein Schat­ten des Spir­ituellen ist. (…)

Das Poten­zial der men­schlichen Weit­er­en­twick­lung, das derzeit von mate­ri­al­is­tis­ch­er Tech­nolo­gie begleit­et wird, kann nicht durch maschinelles Bewusst­sein ermöglicht wer­den. Eli­teele­mente inner­halb dieses Real­ität­skon­struk­ts nehmen es auf sich, einen mas­siv­en Wan­del hin zu ein­er von KI (kün­stlich­er Intel­li­genz) geleit­eten Zukun­ft zu schaf­fen. Die Kul­tur­pro­gramme wer­den neu geschrieben, um KI und ihre maschi­nen­hafte unter­stützende Umge­bung als Rah­men für die zukün­ftige men­schliche Evo­lu­tion anzu­bi­eten, obwohl KI in Wahrheit niemals die men­schliche Posi­tion inner­halb der heili­gen Ord­nung ein­nehmen kann. Doch wie ist es zu dieser Sit­u­a­tion gekom­men? Mit den Worten von Nicanor Per­las:
Warum greift die Men­schheit auf kün­stliche Intel­li­genz zurück? Weil die Fähigkeit, durch kog­ni­tive Intu­ition Zugang zu höheren Real­itäten und Weisheit zu erlan­gen, ver­siegt ist. Phan­tasie, Inspi­ra­tion und spir­ituelle Intu­ition, die höheren Evo­lu­tion­sstufen der men­schlichen Erken­nt­nis im Sta­di­um der bewussten Teil­nahme, sind in der Masse der Men­schheit ver­siegt, die jet­zt im Ozean der mate­ri­al­is­tis­chen Kul­tur ertrinkt, die sie ver­schlun­gen hat.

Die mate­ri­al­is­tis­che Kul­tur ver­schlingt das Leben in der Inver­sion. Sie wird uns als All­heilmit­tel für unsere Übel verkauft. KI-For­men wer­den gezüchtet, um die neuen Aufer­ste­hungskör­p­er als Vehikel für die physis­che Unsterblichkeit zu wer­den. Unsterblichkeit in der Inver­sion soll der neue men­schliche Ersatz wer­den, während der Hyper­ma­te­ri­al­is­mus als vorherrschende religiöse Weltan­schau­ung regiert. In diesem Hyper­ma­te­ri­al­is­mus wer­den weit­er­hin radikal neue Tech­nolo­gien entste­hen, weil wir unser­er Men­schlichkeit nicht voll gerecht gewor­den sind.

Doch zurück zu Erich Fromm. Er bleibt nicht bei sein­er harschen Kri­tik ste­hen, son­dern unter­sucht im Kapi­tel “Der human­is­tis­che Protest” anschliessen, welche Kräfte sich diesen neg­a­tiv­en Entwick­lun­gen ent­ge­gen stellen.

Dazu mehr in der näch­sten Folge am kom­menden Fre­itag, den 29. Novem­ber.

An anderen Serien inter­essiert?
Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hein­er Koech­lin / Simone Weil / Gus­tav Meyrink / Nar­rengeschicht­en / Bede Grif­fiths / Graf Cagliostro /Sali­na Rau­ri­ca / Die Welt­woche und Don­ald Trump / Die Welt­woche und der Kli­mawan­del / Die Welt­woche und der liebe Gott /Lebendi­ge Birs / Aus mein­er Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reich­sidee /Voge­sen Aus mein­er Bücherk­iste / Ralph Wal­do Emer­son / Fritz Brup­bach­er  / A Basic Call to Con­scious­ness Leon­hard Ragaz / Chris­ten­tum und Gno­sis / Hel­ve­tia — quo vadis? / Aldous Hux­ley / Dle WW und die Katholis­che Kirche / Trump Däm­merung

Jetzt wenden!
150 J00R-INFO

Deine Meinung