Wie ent­steht Habgier?

Gemäss Erich Fromm ist sie eine natür­li­che Fol­ge des “Haben-Modus”:
Das Ver­hält­nis zwi­schen den Men­schen ist in der Exis­ten­z­wei­se des Habens durch Riva­li­tät, Ant­ago­nis­mus und Furcht gekenn­zeich­net. Das ant­ago­nis­ti­sche Ele­ment bei Bezie­hun­gen, die am Haben ori­en­tiert sind, liegt in der Eigen­art des Habens selbst begrün­det: Wenn Haben die Basis mei­nes Iden­ti­täts­ge­fühls ist, weil „ich bin, was ich habe“, dann muss der Wunsch zu haben zum Ver­lan­gen füh­ren, viel, mehr, am meis­ten zu haben:
Hab­gier …

Es kann die Hab­gier des Gei­zi­gen, die Hab­gier des Pro­fit­jä­gers, die Hab­gier des Schür­zen­jä­gers oder mann­stol­ler Frau­en sein. Was auch immer sei­ne Gier ent­facht, er wird nie genug haben, er wird nie­mals „zu-frie­den“ sein. Im Gegen­satz zu kör­per­li­chen Bedürf­nis­sen wie Hun­ger, bei denen es phy­sio­lo­gisch beding­te Gren­zen gibt, ist die psy­chi­sche Gier – und jede Gier ist psy­chisch, selbst wenn sie über den Kör­per befrie­digt wird – uner­sätt­lich, da die inne­re Lee­re und Lan­ge­wei­le, die Ein­sam­keit und die Depres­si­on, die sie eigent­lich über­win­den soll, selbst durch die Befrie­di­gung der Gier nicht besei­tigt wer­den kön­nen. Da einem das, was man hat, auf die eine oder ande­re Wei­se weg­ge­nom­men wer­den kann, muss man außer­dem stän­dig mehr haben wol­len, um sein Leben vor die­ser Gefahr zu schützen.

Wenn jeder mehr möch­te, muss jeder die aggres­si­ven Absich­ten sei­ner Nach­barn fürch­ten, ihm weg­zu­neh­men, was er hat; um sol­chen Angrif­fen vor­zu­beu­gen, muss man selbst stär­ker und prä­ven­tiv aggres­si­ver wer­den. Da die Pro­duk­ti­on, so groß sie auch sein mag, nie­mals mit unbe­grenz­ten Wün­schen Schritt hal­ten kann, muss zwi­schen den Indi­vi­du­en im Kampf um den größ­ten Anteil Kon­kur­renz und Ant­ago­nis­mus herrschen.

Wenn die Mehr­zahl der Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner von Län­dern im “Haben-Modus” lebt, ist es ein­leuch­tend, dass dies direk­te Kon­se­quen­zen auf das sozia­le, wirt­schaft­li­che, poli­ti­sche Ver­hal­ten sol­cher Län­der hat:
Dass die Exis­ten­z­wei­se des Habens und die dar­aus resul­tie­ren­de Hab­gier zwangs­läu­fig zu Ant­ago­nis­mus und Kampf zwi­schen den Men­schen füh­ren, gilt sowohl für Völ­ker als auch für ein­zel­ne Men­schen. Denn solan­ge die Völ­ker aus Men­schen bestehen, deren haupt­säch­li­che Moti­va­ti­on das Haben und die Gier ist, wer­den sie not­wen­di­ger­wei­se Krieg füh­ren. Es ist unver­meid­lich, dass sie einem ande­ren Volk nei­den, was die­ses hat, und ver­su­chen, das, was sie begeh­ren, durch Krieg, öko­no­mi­schen Druck und Dro­hun­gen zu bekom­men. Haupt­säch­lich wer­den sie die­se Metho­den gegen schwä­che­re Völ­ker anwen­den, und sie wer­den Bünd­nis­se mit ande­ren Staa­ten schlie­ßen, um stär­ker zu sein als ein stär­ke­res Volk, das ange­grif­fen wer­den soll. Sogar wenn nur eine leid­li­che Chan­ce besteht zu gewin­nen, wird ein Volk Krieg füh­ren, nicht weil es ihm wirt­schaft­lich schlecht geht, son­dern weil das Ver­lan­gen, mehr zu haben und zu erobern, tief in der Exis­ten­z­wei­se des Habens ver­wur­zelt ist.

Natür­lich gibt es Zei­ten des Frie­dens. Aber man muss zwi­schen dau­er­haf­tem Frie­den und der Art von Frie­den unter­schei­den, der eine Zeit des Kräf­te­sam­melns und der Auf­rüs­tung ist – mit ande­ren Wor­ten zwi­schen Frie­den, der ein Zustand von andau­ern­der Har­mo­nie, und Frie­den, der im Grun­de nichts als ein lan­ger Waf­fen­still­stand ist.

Womit wir bei der wich­ti­gen Fra­ge anlan­gen: Besteht heu­te über­haupt eine reel­le Chan­ce, welt­weit einen dau­er­haf­ten Frie­den zu errei­chen, — oder anders gefragt: Leben heu­te schon genü­gend Men­schen im “Seins-Modus”, um einen sol­chen ech­ten Frie­den ins Auge zu fassen?

Dazu mehr in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Frei­tag, den 6. September

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