Vor weni­gen Jahren pub­lizierte Dieter Thomä, Philosoph und bis vor kurzem Pro­fes­sor an der Uni­ver­sität St. Gallen, ein Buch mit dem Titel “Warum Demokra­tien Helden brauchen. Plä­doy­er für einen zeit­gemässen Hero­is­mus”. Im Klap­pen­text heisst es dazu:
Men­schen sehnen sich seit jeher nach Licht­gestal­ten. Passt das heute noch in unser aufgek­lärtes Welt­bild? Ja, sagt Dieter Thomä. Er wen­det sich gegen diejeni­gen, die sich in ein­er pos­therois­chen Gesellschaft ein­richt­en, und zeigt, wie leb­los eine Demokratie ist, in der alle gle­ich sind. Sie tut gut daran, das Helden­tum nicht denen zu über­lassen, die autoritär oder fun­da­men­tal­is­tisch denken. Denn eine Demokratie wird nicht nur von Insti­tu­tio­nen zusam­menge­hal­ten, son­dern auch von Indi­viduen, die sich für eine Sache ein­set­zen, die gröss­er ist als sie selb­st. Sie machen aus der Kampfes­lust eine Tugend und wagen neue Wege.

Ein bis heute her­aus­ra­gen­des Beispiel dafür — wenn auch lei­der in der Schweiz immer noch viel zu wenig bekan­nt — ist das Leben von Ignaz I.P. Trox­ler, dem eigentlichen Meis­ter­ar­chitek­ten des schweiz­erischen Bun­desstaats. Während seines jahrzehn­te­lan­gen Kampfes wan­derte er in Gefäng­nis, musste mehr als ein­mal fliehen und ver­lor zweimal seine Arbeit — zulet­zt als Rek­tor der Uni­ver­sität Basel. Aber nie ver­lor er sein Ziel aus den Augen: die grundle­gende Regener­ierung der krank gewor­de­nen Eidgenossen­schaft. Heute ste­ht die Schweiz als Staat deswe­gen auf soli­den Füssen, aber die Gewit­ter­wolken nehmen weltweit rasch zu, und vielle­icht sind wir früher aufge­fordert als uns lieb ist, erneut mutig für die Demokratie einzuste­hen.

Erich Fromm hat sich inner­halb des Kon­textes von “Haben oder Sein” eben­falls Gedanken dazu gemacht und analysiert, was uns hin­dert, als Gesellschaft mutig zu neuen Ufern aufzubrechen:
Sich nicht vor­wärts zu bewe­gen, zu bleiben, wo man ist, zu regredieren, kurz, sich auf das zu ver­lassen, was man hat, ist eine sehr große Ver­suchung, denn was man hat, ken­nt man; man fühlt sich darin sich­er, man kann sich daran fes­thal­ten. Wir haben Angst vor dem Schritt ins Ungewisse, ins Unsichere, und ver­mei­den ihn deshalb; denn obgle­ich der Schritt nicht gefährlich erscheinen mag, nach­dem man ihn getan hat, so scheint doch vorher, was sich daraus ergibt, riskant und daher Angst erre­gend zu sein. Nur das Alte, Erprobte ist sich­er oder wenig­stens scheint es das zu sein. Jed­er neue Schritt birgt die Gefahr des Scheit­erns, und das ist ein­er der Gründe, weshalb der Men­sch die Frei­heit fürchtet.

Nach­dem er aufgezählt hat, wie stark wir in unserem Leben von “Haben” geprägt sind, fährt er fort:
Trotz dieser Sicher­heit des Habens bewun­dern wir aber Men­schen mit ein­er Vision von etwas Neuem, die neue Wege bah­nen, die den Mut haben, voranzuschre­it­en. In der Mytholo­gie verkör­pert der Held sym­bol­isch diese Exis­ten­zweise. Der Held ist ein Men­sch, der den Mut hat, zu ver­lassen, was er hat – sein Land, seine Fam­i­lie, sein Eigen­tum – und in die Fremde hin­auszuziehen, nicht ohne Furcht, aber ohne ihr zu erliegen. In der bud­dhis­tis­chen Tra­di­tion ist Bud­dha der Held, der all seinen Besitz aufgibt, jegliche Gewis­sheit, die ihm die hin­duis­tis­che The­olo­gie bot, seinen Rang, seine Fam­i­lie, und einen Weg des Lebens in der Abgeschieden­heit geht. Abra­ham und Moses sind solche Heldengestal­ten in der jüdis­chen Tra­di­tion. Der christliche Held ist Jesus, der nichts hat und – in den Augen der Welt – nichts ist, doch aus überquel­len­der Liebe zu allen Men­schen han­delt.

Wir bewun­dern diese Helden, weil wir im Tief­sten fühlen, dass ihr Weg auch der unsere sein sollte – wenn wir ihn ein­schla­gen kön­nten. Aber da wir Angst haben, glauben wir, dass wir es nicht kön­nen und dass nur der Held es kann. Der Held wird zu einem Idol; wir über­tra­gen auf ihn unsere Fähigkeit, voranzuschre­it­en, und dann bleiben wir, wo wir sind, denn wir sind keine Helden.

Diese Über­legun­gen kön­nten so ver­standen wer­den, dass es zwar wün­schenswert, aber im Grunde ver­rückt und gegen das eigene Inter­esse ist, ein Held zu sein. Das stimmt jedoch keines­falls. Die Vor­sichti­gen, die Besitzen­den wiegen sich in Sicher­heit, doch notwendi­ger­weise sind sie alles andere als sich­er. Sie sind abhängig von ihrem Besitz, ihrem Geld, ihrem Pres­tige, ihrem Ego – das heißt von etwas, das sich außer­halb ihrer selb­st befind­et. Aber was wird aus ihnen, wenn sie ver­lieren, was sie haben? Und in der Tat gibt es nichts, was man haben und nicht auch ver­lieren kann. Am offenkundig­sten natür­lich Besitz, und damit gewöhn­lich auch Stel­lung und Fre­unde und man kann jeden Augen­blick sein Leben ver­lieren; irgend­wann ver­liert jed­er es unaus­bleib­lich.

Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann ver­liere, was ich habe? Nichts als ein besiegter, gebroch­en­er, erbar­menswert­er Men­sch, Zeug­nis ein­er falschen Lebensweise. Weil ich ver­lieren kann, was ich habe, mache ich mir natür­lich ständig Sor­gen, dass ich ver­lieren werde, was ich habe. Ich fürchte mich vor Dieben, vor wirtschaftlichen Verän­derun­gen, vor Rev­o­lu­tio­nen, vor Krankheit, vor dem Tod, und ich habe Angst zu lieben, Angst vor der Frei­heit, vor dem Wach­sen, vor der Verän­derung, vor dem Unbekan­nten. So lebe ich in ständi­ger Sorge und lei­de an chro­nis­ch­er Hypochon­drie, nicht nur in Bezug auf Krankheit­en, son­dern hin­sichtlich jeglichen Ver­lusts, der mich tre­f­fen kön­nte; ich werde defen­siv, hart, mis­strauisch, ein­sam, von dem Bedürf­nis getrieben, mehr zu haben.

Was braucht es, dieses ängstliche “Haben”-Dasein zu ver­lassen und in uns “den inneren Helden” zu erweck­en?

Dazu mehr in der kom­menden Folge am Fre­itag, den 23. August.

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