Ein Grund­prob­lem in der heuti­gen Gesellschaft ste­ht im Zusam­men­hang mit der Frage, woher wir das Gefühl unser­er eige­nen Iden­tität und der inneren Sicher­heit beziehen. Auf­grund der Aus­führun­gen Erich Fromms ist sich­er klar gewor­den, dass es genau zwei Möglichkeit­en  gibt:

● Wie beziehen Iden­tität und Sicher­heit aus unser­er sozialen Rolle, unser­er “Per­sona” in der Gesellschaft, aus unserem Besitz, — also aus dem Haben: Wir haben einen Beruf und einen bes­timmten gesellschaftlichen Sta­tus, wir haben ein Haus, ein tolles Auto, Bankkon­ti, Aktien, usw.
Iden­tität und innere Sicher­heit wach­sen organ­isch aus unserem inneren Sein her­aus.
Das ist allerd­ings rasch­er gesagt als getan, resp. erlebt, denn
… nur in dem Maße, in dem wir die Exis­ten­zweise des Habens bzw. des Nicht­seins abbauen (das heißt aufhören, Sicher­heit und Iden­tität zu suchen, indem wir uns an das anklam­mern, was wir haben, indem wir es „be-sitzen“, indem wir an unserem Ich und unserem Besitz fes­thal­ten), kann die Exis­ten­zweise des Seins durch­brechen. Um zu „sein“, müssen wir unsere Egozen­trik und Selb­st­sucht aufgeben bzw. uns „arm“ und „leer“ machen, wie es die Mys­tik­er oft aus­drück­en.

Aber den meis­ten Men­schen fällt es zu schw­er, ihre Ori­en­tierung am Haben aufzugeben; jed­er der­ar­tige Ver­such erfüllt sie mit tiefer Angst; sie haben das Gefühl, auf jegliche Sicher­heit zu verzicht­en, als wür­den sie ins Meer gewor­fen, ohne schwim­men zu kön­nen. Sie wis­sen nicht, dass sie erst dann begin­nen kön­nen, ihre eige­nen Fähigkeit­en zu gebrauchen und aus eigen­er Kraft zu gehen, wenn sie die Krück­en des Besitzes wegge­wor­fen haben. Was sie zurück­hält, ist die Illu­sion, dass sie nicht allein gehen kön­nten und zusam­men­brechen wür­den, wenn ihr Besitz sie nicht stützt.

Ein wichtiger Schritt hin zu dieser Exis­ten­z­form des “Seins” ist die Entwick­lung der Fähigkeit, jen­seits unseres “Kopfra­dios” ganz im Hier und Jet­zt zu sein. Das ist in der Regel nur durch ein län­geres und sys­tem­a­tis­ches Train­ing erre­ich­bar. Aber wenn es gelingt, ent­deck­en wir, dass hin­ter unserem “Gedanken-Ich”  ein tief­er­er Kern — näm­lich unsere wahre Iden­tität — jen­seits allen Habens lebendig wird. Eck­hart Tolle hat diesen Weg in seinen Büch­ern und Videokursen meis­ter­haft beschrieben.

Aus­ge­hend aus diesen bei­den Exis­ten­zweisen analysiert Erich Fromm auch die bei­den Begriffe “Aktiv­ität” und “Pas­siv­ität”. ” Aktiv­sein im Haben­modus ist meist mit inner­lich­er Pas­siv­ität ver­bun­den, Pas­siv­sein im Seins­modus kann höch­ste innere Aktiv­ität bein­hal­ten. So schreibt er:

Im mod­er­nen Sprachge­brauch wird Aktiv­ität gewöhn­lich als ein Ver­hal­ten definiert, bei dem durch Aufwen­dung von Energie eine sicht­bare Wirkung erzielt wird. So wer­den beispiel­sweise der Bauer, der sein Land bestellt, der Arbeit­er am Fließband, der Vertreter, der den Kun­den zum Kauf überre­det, der Anleger, der sein eigenes Geld oder das ander­er Leute investiert, der Arzt, der seinen Patien­ten behan­delt, der Post­beamte, der Brief­marken verkauft und der Bürokrat, der Akten ablegt, als „aktiv“ beze­ich­net. Einige dieser Tätigkeit­en mögen mehr Inter­esse und Konzen­tra­tion als andere erfordern; aber das ändert nichts in Bezug auf die „Aktiv­ität“; Aktiv­ität ist all­ge­mein gesprochen gesellschaftlich anerkan­ntes, zweck­haftes Ver­hal­ten, das entsprechende gesellschaftlich nüt­zliche Verän­derun­gen bewirkt. (…)

Aktiv­ität im mod­er­nen Sinn unter­schei­det nicht zwis­chen Tätig­sein und bloßer Geschäftigkeit. Es gibt aber einen grundle­gen­den Unter­schied zwis­chen diesen bei­den Arten von Aktiv­ität, der dem ähnelt, den man zwis­chen „ent­fremde­ter“ und „nicht ent­fremde­ter“ Tätigkeit machen würde. In der ent­fremde­ten Aktiv­ität erlebe ich mich nicht als das tätige Sub­jekt meines Han­delns, son­dern erfahre das Resul­tat mein­er Tätigkeit, und zwar als etwas „da drüben“, das von mir getren­nt ist und über mir bzw. gegen mich ste­ht. Im Grunde han­dle nicht ich; innere oder äußere Kräfte han­deln durch mich. Ich bin vom Ergeb­nis meines Tätig­seins getren­nt wor­den. (…)

Bei nicht-ent­fremde­ter Aktiv­ität erlebe ich mich als han­del­ndes Sub­jekt meines Tätig­seins. Nich­t­ent­fremdete Aktiv­ität ist ein Prozess des Gebärens und Her­vor­brin­gens, wobei die Beziehung zu meinem Pro­dukt aufrechter­hal­ten bleibt. Dies bedeutet auch, dass meine Aktiv­ität eine Man­i­fes­ta­tion mein­er Kräfte und Fähigkeit­en ist, dass [II-335] ich und mein Tätig­sein und das Ergeb­nis meines Tätig­seins eins sind. Diese nicht ent­fremdete Aktiv­ität beze­ichne ich als pro­duk­tives Tätig­sein.

Und wie ste­ht es mit dem Pas­siv­sein im Seins­modus?
Dazu mehr am kom­menden Fre­itag, den 28. Juni

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