Erich Fromm macht deut­lich, dass man das “nichts wis­sen” bei Meis­ter Eck­hart rich­tig ver­ste­hen muss:
Wer ist der Mensch, der nichts weiß? Erhebt Eck­hart einen dum­men, unwis­sen­den Men­schen, eine unge­bil­de­te, unkul­ti­vier­te Krea­tur zum Ide­al? Wie hät­te er das gekonnt, da er selbst ein Mann gro­ßer Bil­dung und gro­ßen Wis­sens war, was er nie zu ver­ber­gen oder her­ab­zu­spie­len such­te, und da sein Haupt­an­lie­gen dar­in bestand, die Unge­bil­de­ten zu bil­den?

Was Eck­hart meint, wenn er davon spricht, dass man nichts wis­sen sol­le, hat zu tun mit dem Unter­schied zwi­schen dem Wis­sen in der Wei­se des Habens und dem Akt der Erkennt­nis, das heißt dem Vor­drin­gen zu den Wur­zeln und damit zur Ursa­che einer Sache. Eck­hart unter­schei­det sehr klar zwi­schen einem bestimm­ten Gedan­ken und dem Denk­pro­zess. Er betont, es sei bes­ser, Gott zu erken­nen, als ihn zu lie­ben:Die Lie­be weckt das Begeh­ren, das Ver­lan­gen. Das Erken­nen hin­ge­gen legt kei­nen ein­zi­gen Gedan­ken hin­zu, viel­mehr löst es ab und trennt sich ab und läuft vor und berührt Gott, wie er nackt ist, und erfasst ihn ein­zig in sei­nem Sein“.

Und dann zitiert Fromm einen Satz Eck­harts, der auf den ers­ten Blick schwer ver­ständ­lich ist:
Der Mensch, der die­se Armut haben soll, der muss so leben, dass er nicht [ein­mal] weiß, dass er weder sich sel­ber noch der Wahr­heit noch Gott lebe; er muss viel­mehr so ledig sein alles Wis­sens, dass er nicht wis­se noch erken­ne noch emp­fin­de, dass Gott in ihm lebt; mehr noch: er soll ledig sein alles Erken­nens, das in ihm lebt.
Er wird erst im Zusam­men­hang mit der Begrün­dung Eck­harts dafür klar:
Denn, als der Mensch (noch) im ewi­gen Wesen Got­tes stand, da leb­te in ihm nicht ein ande­res; viel­mehr, was da leb­te, das war er sel­ber. So denn sagen wir, dass der Mensch so ledig sein soll sei­nes eige­nen Wis­sens, wie er’s tat, als er (noch) nicht war, und er las­se Gott wir­ken, was er wol­le, und der Mensch ste­he ledig.

Hoher Anspruch! Was er hier ver­langt, ist im Grun­de nichts weni­ger, als den Aus­spruch von Jes­hua “Ich und der Vater snd eins” im eige­nen Leben zu ver­wirk­li­chen …

Und Erich Fromm dop­pelt nach:
Um Eck­harts Stand­punkt ver­ste­hen zu kön­nen, muss man sich über den eigent­li­chen Sinn die­ser Wor­te klar wer­den. Wenn er sagt, dass „der Mensch so ledig sein soll sei­nes eige­nen Wis­sens“ (a.a.O.), so meint er damit nicht, man sol­le ver­ges­sen, was man weiß, son­dern dass man weiß. Das bedeu­tet, dass man sein Wis­sen nicht als einen Besitz anse­hen soll, der einem ein Gefühl der Sicher­heit und Iden­ti­tät ver­leiht; man soll­te von sei­nem Wis­sen nicht „erfüllt“ sein, man soll­te sich nicht dar­an fest­klam­mern, nicht danach begeh­ren. Wis­sen soll­te nicht die Eigen­art eines Dog­mas anneh­men, das uns ver­sklavt. All dies gehört der Exis­ten­z­wei­se des Habens an.

Macht Sinn! — In der nächs­ten Fol­ge suchen wir zu ver­ste­hen, was Meis­ter Eck­hart mit “äus­sers­ter Armut” meint.

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