Wo sah Bede Grif­fiths Licht am Horizont?

Inter­es­san­ter­wei­se nicht im Pan­op­ti­kum der real exis­tie­ren­den Reli­gio­nen, das Chris­ten­tum mit ein­ge­schlos­sen. Das zeigt schon eine klei­ne Aus­wahl sei­ner Aus­sa­gen in “A New Visi­on of Rea­li­ty”:
Jede Reli­gi­on neigt dazu, sich auf sich selbst zu zen­trie­ren, ihre eige­nen exklu­si­ven Struk­tu­ren von Gesetz und Auto­ri­tät auf­zu­bau­en und sich so dem Wir­ken Got­tes zu verschließen.
● Wenn eine Reli­gi­on sich bedroht fühlt, klam­mert sie sich an ihre alten Tra­di­tio­nen und kon­zen­triert sich auf sich selbst, so dass sie unfä­hig wird, wei­ter zu wach­sen oder auf die Bewe­gung des Geis­tes zu reagieren.
● Jede Reli­gi­on neigt dazu, eine Mau­er der Tren­nung zu errich­ten, die sie vom Rest der Mensch­heit trennt. In man­cher Hin­sicht ist dies unver­meid­lich, da eine Reli­gi­on ihre eige­nen ein­zig­ar­ti­gen Wer­te bewah­ren muss.
● Das Chris­ten­tum hat im Lau­fe der Zeit sei­ne eige­ne Struk­tur von Gesetz und Reli­gi­on, von Ritu­al und Dog­ma und Orga­ni­sa­ti­on auf­ge­baut, die nun zu einer Bar­rie­re gewor­den sind, die die christ­li­chen Kir­chen vom Rest der Mensch­heit trennt.
● So haben auch der Islam, der Hin­du­is­mus und der Bud­dhis­mus ihre eige­nen Struk­tu­ren von Gesetz und Ritu­al ent­wi­ckelt und sind von­ein­an­der getrennt.
● Wir müs­sen ler­nen, über all die­se Unter­schie­de in den äuße­ren For­men der Reli­gi­on hin­aus­zu­ge­hen und das ver­bor­ge­ne Geheim­nis zu ent­de­cken, das im Her­zen aller Reli­gi­on liegt.

Es mag des­halb als Wider­spruch anmu­ten, wenn Grif­fiths der Gestalt Jes­huas  ben Joseph / Jesus Chris­tus trotz­dem eine ent­schei­den­de Rol­le auf dem Weg der Mensch­heit zurück zur gros­sen Ein­heit zuweist. Doch bei nähe­rem Hin­se­hen täuscht der Ein­druck, denn er schil­dert die­sen Jesus als radi­ka­len Revo­lu­tio­när und Pionier:
Was er sei­nen Jün­gern mit­teil­te, war die Gabe sei­nes Geis­tes, der sie in alle Wahr­heit füh­ren soll­te.

Das gros­se Pro­blem heu­te ist, dass die Gestalt die­ses Revo­lu­tio­närs nach 2000 Jah­ren Kir­chen­ge­schich­te ent­we­der ver­blasst oder völ­lig ver­knö­chert ist. Was wis­sen wir denn genau über ihn?

Gut, wir haben die vier Evan­ge­li­en. Aber sie ent­stan­den lan­ge nach sei­nem Tod, wider­spre­chen sich in der Schil­de­rung sei­nes Lebens lau­fend, und sie wur­den aus einer Viel­zahl von kur­sie­ren­den Schrif­ten und Zeug­nis­sen aus­ge­wählt, um als “offi­zi­el­ler Kanon” als Grund­la­ge für eine lang­sam ent­ste­hen­de, fest struk­tu­rier­te Gemein­schaft zu die­nen, die schliess­lich zur “ecclesia/ Kir­che” wurde.

Die­se Kir­che tat alles, um alle jene Schrif­ten zu ver­nich­ten und aus dem Mensch­heits­ge­dächt­nis zu til­gen, die nicht in das offi­zi­el­le Dog­ma von der Erb­sün­de und von Jesus als dem “allei­ni­gen Soh­ne Got­tes” pass­ten, der am Kreuz all unse­re Sün­den  auf sich nahm.

Ihre Säu­be­rungs­ak­ti­on war so radi­kal und erfolg­reich, dass erst nach der Ent­de­ckung der Nag Ham­ma­di-Codi­ces im Jah­re 1945 — dar­un­ter das Evan­ge­li­um der Maria Mag­da­le­na oder das Tho­mas-Evan­ge­li­um mit sei­nen 114 Logien — wie­der deut­lich wur­de, wie­vie­le Evan­ge­li­en exis­tier­ten, die heu­te ein neu­es Licht auf die Gestalt Jesu werfen.

Seit eini­ger Zeit ist klar, dass die reli­giö­sen, kul­tu­rel­len und wirt­schaft­li­chen Ver­flech­tun­gen zwi­schen dem Nahen Osten und dem eigent­li­chen Osten viel inten­si­ver waren als bis­her ange­nom­men. Eine Tra­di­ti­on, die ver­sucht, den weis­sen Fleck im Leben Jesu zwi­schen sei­nem Tem­pel­auf­tritt mit elf Jah­ren und sei­ner drei­jäh­ri­gen Mis­si­on aus­zu­fül­len, pos­tu­liert als Vor­be­rei­tung für sei­ne Mis­si­on in Paläs­ti­na diver­se Rei­sen nach Ägyp­ten, Grie­chen­land, Per­si­en bis hin nach Indi­en und Tibet.

Sämt­li­che Theo­lo­gen ver­wei­sen sol­che Mut­mas­sun­gen pau­schal ins Land der Fan­ta­sie. War­um eigent­lich? Kratzt allei­ne schon eine sol­che Vor­stel­lung am Bild eines von Anfang an per­fek­ten “allei­ni­gen Soh­nes Got­tes”, der kei­nen Lern­pro­zess durch­lau­fen muss­te, wie gewöhn­li­che Sterb­li­che das in der Regel tun?

Als Mor­ton Smith nach der Ent­de­ckung eines Brief­frag­ments von Cle­mens von Alex­an­dria im Klos­ter Mar Saba, das auf ein gehei­mes zwei­tes Mar­kus-Evan­ge­li­um ver­weist, mit sei­nem Buch “Jesus The Magi­ci­an” am tra­di­tio­nel­len Jesus­bild kratz­te, ging ein Auf­schrei der Empö­rung durch die theo­lo­gi­sche Land­schaft. Es wur­de alles ver­sucht, das Frag­ment als Fäl­schung hin­zu­stel­len, doch des­sen Authen­ti­zi­tät ist inzwi­schen zwei­fels­frei nachgewiesen.

Oder neh­men wir das Dog­ma der unbe­fleck­ten Emp­fäng­nis. Da mag das dog­ma­ti­sche Chris­ten­tum lan­ge behaup­ten, Jeshua/Jesus sei “ganz Gott und ganz Mensch” gewe­sen. “Der allei­ni­ge Sohn Got­tes” — unbe­fleckt emp­fan­gen, auf dass jeg­li­cher Zusam­men­hang mit der sexu­el­len Sei­te der Mensch­seins von Anfang an gekappt wer­de — steht so weit über der Mensch­heit, dass man ihn am bes­ten ein­fach in den vie­len Kir­chen am Kreuz hän­gen lässt. Dort soll er dann ruhig von der Fein­des­lie­be und dem “Bal­ken im eige­nen Augen” pre­di­gen. Haupt­sa­che, er mischt sich nicht in das rea­le Leben ein …

Auch nur ein kur­zer Blick auf die Kir­chen­ge­schich­te mit all den Reli­gi­ons­krie­gen, den Ket­zer­ver­fol­gun­gen, dem Fest­hal­ten an star­ren Hier­ar­chien, dem Aus­schluss aller weib­li­cher Spi­ri­tua­li­tät und der tota­len Zer­split­te­rung in kon­kur­rie­ren­de Glau­bens­be­kennt­nis­se lässt den Ver­dacht auf­kom­men, dass am tra­di­tio­nel­len Jesus­bild even­tu­ell etwas, oder sogar eini­ges, nicht stim­men könnte.

Wie sieht Grif­fiths die Gestalt Jesu?
So wie Isra­el sich in sich selbst ver­schlos­sen hat und das Heil in sei­ner eige­nen begrenz­ten Exis­tenz sah, so haben sich die christ­li­chen Kir­chen in sich selbst ver­schlos­sen und sich von der Mensch­heit als Gan­zes getrennt . Aber in der grö­ße­ren Per­spek­ti­ve, die wir heu­te erken­nen kön­nen, ist Jesus für die gan­ze Mensch­heit gestor­ben, und die Erlö­sung, die er erlangt hat, wur­de für die gan­ze Mensch­heit gewon­nen. Wir dür­fen nie ver­ges­sen, dass die gan­ze Mensch­heit in ihrer tiefs­ten Wirk­lich­keit ein Wesen ist, so wie die gan­ze Schöp­fung ein Wesen ist.

Für Grif­fiths ist Jes­hua ben Joseph zu Jesus Chris­tus gewor­den, weil er im Lau­fe sei­nes Leben in sich die tie­fe Spal­tung, die Tren­nung vom gött­li­chen Urgrund über­wand und damit zu einem Pio­nier für eine Mensch­heit gewor­den ist, der die­se Mög­lich­keit eben­falls offen steht, — wenn sie denn sei­ne Leh­ren ernst nimmt und in die Pra­xis umsetzt. Das geht aller­dings nicht von heu­te auf mor­gen, son­dern ist ein Weg, der sich in der Regel über meh­re­re Leben hin­weg zieht. Die­ses Prin­zip der Reinkar­na­ti­on, das im frü­hen Chris­ten­tum noch leben­dig war, wur­de aller­dings aus meh­re­ren Grün­den aus dem Dog­men­ge­bäu­de der Kir­che entfernt.

Jesus, der neue Adam, der Men­schen­sohn, der stell­ver­tre­ten­de Mensch, macht eine tota­le Über­ga­be an den Geist, an Gott, an den Vater, und dadurch über­win­det er die Tren­nung der Mensch­heit vom Vater, von Gott, und ver­ei­nigt die Mensch­heit als einen Leib in sich selbst. Er reißt alle Schran­ken nie­der, die errich­tet wor­den sind, und ver­söhnt schließ­lich die Schöp­fung mit sich selbst, als eine neue Schöp­fung. Das ist dann die Geburt einer neu­en Mensch­heit und kann als eine neue Stu­fe der Evo­lu­ti­on ange­se­hen werden.

Ange­sichts der patri­ar­cha­len Prä­gung des Chris­ten­tums soll aller­dings die Fra­ge erlaubt sein: Wo bleibt Gott, die Mutter!?

Unser gegen­wär­ti­ger Bewusst­seins­mo­dus ist dua­lis­tisch, aber wie die Mys­ti­ker aller Reli­gio­nen erkannt haben, ist die letzt­end­li­che Rea­li­tät nicht-dual. Die­ser neue Modus des Seins und des Bewusst­seins ist das Nir­wa­na des Bud­dha, das Brah­man-Atman der Upa­nis­ha­den, das Al Haqq der mus­li­mi­schen Mys­ti­ker und das Him­mel­reich des christ­li­chen Evan­ge­li­ums. Hier und nur hier kön­nen wir den Treff­punkt aller Reli­gio­nen finden.

Die­ser “neue Modus des Seins” war für Grif­fiths offen­sicht­lich eine geleb­te Erfah­rung, und sie zeig­te ihm die Ein­heit in der Viel­falt der Reli­gio­nen. Zur glei­chen Erkennt­nis kamen übri­gens auch die Ver­tre­ter der Phi­lo­so­phie Peren­nis, z.B. Frith­jof Schuon, der neben­bei bemerkt zusam­men mit Titus Burck­hardt, dem gros­sen Ken­ner des Sufis­mus, in Basel die Schul­bank drückte.

In der nächs­ten Fol­ge wer­fen wir anhand des Buches von Richard Hooper “Jesus, Bud­dha, Krish­na, Lao Tzu. The Par­al­lel Sayings” einen kon­kre­ten Blick auf die­sen “Treff­punkt aller Reli­gio­nen”, bevor wir dann wie­der zu Grif­fiths zurück­keh­ren, — und dies wie immer am kom­men­den Frei­tag, den 2. Juli

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