so titelte der WW-Jour­nal­ist Urs Gehriger voll­mundig im Sep­tem­ber 2020.

Deut­lich desil­lu­sion­iert­er schrieb er let­zte Woche nach dem Kapi­tol-Dra­ma: “Seit sein­er Nieder­lage zim­mert Trump eine Dolch­stossle­gende. Eigentlich habe er gewon­nen, erdrutschar­tig, aber man habe ihm den Sieg gestohlen. Beweise blieb er schuldig. Bis zum ober­sten Gericht stell­ten sich alle Instanzen gegen den Präsi­den­ten. Unbeein­druckt rief er am Mittwoch seine Anhänger nach Wash­ing­ton. Im Kongress stand der let­zte Akt an, der Biden als Präsi­dent bestäti­gen sollte. Aufges­tachelt von Trumps Rede marschierten Tausende zum Kapi­tol. Hitzköpfe stürmten die heili­gen Hallen der US-Demokratie. Gezück­te Waf­fen. Schüsse. Eine tote Frau. Und die ganze Welt war am TV live dabei.”

Haben wir da ger­ade ein­er Ver­wand­lung Gehrigers vom Saulus zum Paulus (oder umgekehrt 😉 ) beige­wohnt!?

Nicht ganz, denn er schreibt am Schluss: “Was am Schwarzen Mittwoch geschah, ist nicht das Werk eines Mannes. Es ist die Folge ein­er lan­gen Spal­tung, ange­heizt von Brand­s­tiftern hüben wie drüben.”

Und damit sind wir schon wieder mit­ten in der alt­be­währten Welt­woche-Tak­tik, die poli­tis­che Real­ität zu vernebeln, so gut es eben noch möglich ist, nach­dem sie Don­ald Trump während vier Jahren als Heils­bringer wahrer Demokratie regel­recht hochge­jubelt hat.

Fakt ist doch, dass Trump seinen Anhängern seit Monat­en wieder und wieder ein­häm­merte, die Präsi­dentschaftswahlen im Novem­ber wür­den so oder so durch die Demokrat­en gefälscht. Er häm­merte auch weit­er drauf los, als die Wahlfälschungs-Kla­gen seines Anwalt­sheers eine nach der andern wie Seifen­blasen zer­platzten, — weil es diese Fälschung ganz ein­fach nicht gab. Er wieder­holte — völ­lig abge­hoben in sein­er Wah­n­welt — seine scham­losen Lügen noch am Tage der Bestä­ti­gung des neuen Präsi­den­ten durch den Kongress und rief deshalb seine Anhänger zum Marsch auf das Kapi­tol auf.

Chefredak­tor Roger Köp­pel zeigt gross­es Ver­ständ­nis sowohl für die Hal­tung Trumps als auch für die Wut sein­er Anhänger. Auszug aus seinem “Welt­woche Daily”-Podcast:

“Aber wir müssen uns doch ern­sthaft damit auseinan­der­set­zen, warum es möglich war und möglich ist, dass soviele Amerikan­er, und zwar nicht nur die in Wash­ing­ton, es sind Mil­lio­nen von Amerikan­ern, die sich nach den let­zten Wahlen unzufrieden fühlen, die nicht mehr damit ein­ver­standen sind mit dem, wie die Dinge laufen in ihrem Land, die sich vor allem nach den let­zten Wahlen um das Wichtig­ste gebracht sehen, was es in der Demokratie gibt, näm­lich um ihre Stimme. Und das ist nicht etwas, das Trump erfun­den hat, son­dern das ist ein ganz weit ver­bre­it­etes Unbe­ha­gen bei Mil­lio­nen von Amerikan­ern. Die Umfra­gen zeigen, 83% der Repub­likan­er sind der Mei­n­ung, dass diese let­zten Wahlen nicht in Ord­nung waren, dass da mas­sive Ver­fälschun­gen stattge­fun­den haben. Wir haben 30% der unab­hängi­gen Wäh­ler, die dieser Auf­fas­sung sind. Das sind Zahlen, die man nicht ein­fach weg­wis­chen kann.”

Man reibt sich die Augen. Er sagt tat­säch­lich: “Das sind Zahlen, die man nicht ein­fach weg­wis­chen kann”. — Doch, man kann, weil diese 83% und 30% ganz ein­fach das Resul­tat der Pro­pa­gan­da eines ver­lo­ge­nen und amoralis­chen Dem­a­gogen sind …

Und natür­lich ist Trump gemäss Köp­pel an der Kapi­tol-Schande völ­lig unschuldig:
“Was sagte Trump in sein­er Rede? Ich zitiere: “Wir sind gekom­men um zu fordern, dass der Kongress das Richtige tut und nur die Wäh­ler zählt, die recht­mäs­sig sind und die recht­mäs­sig vorge­se­hen sind. Ich weiss, dass alle hier bald zum Kapi­tol marschieren wer­den, um friedlich und patri­o­tisch ihre Stim­men zu Gehör zu brin­gen.” Zitat Ende. Ich wieder­hole, friedlich und patri­o­tisch. Wer von Gewal­taufrufen schwafelt, ver­bre­it­et Fake-News.”

Tat­säch­lich!?

Gemäss divers­er Zeu­ge­naus­sagen hat­te Trump nicht die ger­ing­ste Absicht, die gewalt­same Beset­zung des Kapi­tols zu verurteilen. Auszug aus dem Artikel in der NYT  (als Trump’sche Fake-News Zeitung für die Welt­woche allerd­ings völ­lig irrel­e­vant), Trump Told Crowd “You Will Nev­er Take Back Our Coun­try with Weak­ness”:

” … Seine ehe­ma­lige Kom­mu­nika­tions­di­rek­torin Alyssa Farah drängte ihn öffentlich, die gewalt­täti­gen Demon­stran­ten zu verurteilen. Aber der Präsi­dent wider­stand wieder­holten Appellen von Beratern, einige direkt an ihn gerichtet, andere an Her­rn Mead­ows und andere Helfer.

Trump wies  gemäss einem Zeu­gen zunächst Anfra­gen die Nation­al­gar­de zu mobil­isieren zurück. Es brauchte die Inter­ven­tion von Her­rn Cipol­lone und anderen Offiziellen …

Als Ver­bün­dete des Präsi­den­ten began­nen, mit ihrer Abscheu über das, was im Kapi­tol stat­tfand, an die Öffentlichkeit zu gehen und ihn dazu drängten sich zu äußern, überre­de­ten die Mitar­beit­er des Weißen Haus­es Trump schließlich zu einem Tweet, in dem er die Gewalt nicht verurteilte.

Dann überzeugten sie ihn, dass er ein Video-State­ment abgeben müsse. Begin­nend mit ein­er weit­eren Erk­lärung, dass die Wahl “gestohlen” wor­den war, sagte Trump seinen Anhängern, “nach Hause zu gehen”, und endete mit den Worten “Ich liebe euch”. Face­book ent­fer­nte das Video, und Twit­ter später auch.

Dann machte er deut­lich, dass er den Tag als (gerecht­fer­tigten) Aus­druck sein­er Wahlankla­gen betra­chtete. “Das sind die Dinge und Ereignisse, die passieren, wenn ein heiliger Erdrutsch-Wahlsieg so kurz­er­hand und bösar­tig großen Patri­oten weggenom­men wird, die so lange schlecht und unfair behan­delt wur­den”, schrieb Trump auf Twit­ter. “Geht mit Liebe & in Frieden nach Hause. Remem­ber this day for­ev­er!

Und er lobte sie mit dem Kom­pli­ment “You are very spe­cial” .….

Damit hat­te er für ein­mal recht, wenn man sich anschaut, wer sich da alles in das Kapi­tol gedrängt hat­te: Neo-Nazis, QAnon and Camp Auschwitz (halt auf englisch, aber die Bilder allein sprechen schon für sich ..)

Lohnt es sich, auf die Hal­tung der Welt­woche zu den Vorkomm­nis­sen in Wash­ing­ton hinzuweisen? — Sie sei doch ein nicht ernst zu nehmendes Pro­pa­gand­ablättchen, heisst es manch­mal von link­er Seite. Das ist ein Fehlurteil: Immer­hin ist sie das inofizielle Sprachrohr der grössten Partei in der Schweiz, welche den poli­tis­chen Diskurs der let­zten Jahrzehnte wie keine zweite geprägt hat.

Zum Schluss sei — sozusagen als Gegengewicht — noch eine wirk­lich ernst zunehmende Analyse der Ereignisse von Tim­o­thy Sny­der vorgestellt: The Amer­i­can Abyss.
Sny­der ist His­torik­er und Autor von “Blood­lands: Europa zwis­chen Hitler und Stal­in”, Black Earth: Der Holo­caust und warum er sich wieder­holen kann, Der Weg in die Unfrei­heit: Rus­s­land — Europa — Ameri­ka  und — im aktuellen Kon­text höchst lesenswert — Über Tyran­nei: Zwanzig Lek­tio­nen für den Wider­stand.

Zwei Lek­tio­nen daraus seien hier vorgestellt:

Halte an der Wahrheit fest. Wer Fak­ten aufgibt, gibt die Frei­heit auf. Wenn nichts wahr ist, dann kann nie­mand die Macht kri­tisieren, weil es keine Grund­lage dafür gibt. Wenn nichts wahr ist, dann ist alles Spek­takel. Der größte Geld­beu­tel zahlt für die blendend­sten / blind machen­den “Lichter”.

Finde die Dinge selb­st her­aus. Ver­bringe mehr Zeit mit lan­gen Artikeln. Unter­stütze inves­tiga­tiv­en Jour­nal­is­mus mit Abon­nements von Print­me­di­en. (Es dür­fen auch online-Medi­en wie die “REPUBLIK” sein 😉 ). Mache dir klar, dass manch­es im Inter­net dazu da ist, dir zu schaden. Lerne Seit­en ken­nen, die Pro­pa­gan­dakam­pag­nen unter­suchen (einige davon kom­men aus dem Aus­land). Übern­imm Ver­ant­wor­tung für das, was du mit anderen kom­mu­nizierst.

Am 20. Jan­u­ar wird Joe Biden als näch­ster Präsi­dent der Vere­inigten Staat­en von Ameri­ka verei­digt. Es deutet alles darauf hin, dass trotz der demokratis­chen Kon­trolle über den Kongress vier schwere Jahre auf ihn warten: Die sozialen Ver­w­er­fun­gen, der schreiende Gegen­satz zwis­chen Arm und Reich, die kor­rumpierte poli­tis­che Land­schaft und die lauernde Hydra des “Trump­is­mus” wer­den dafür sor­gen.

Der Poli­tik­wis­senschaftler Yasha Mounk schreibt: “Die amerikanis­chen Insti­tu­tio­nen sind ern­sthaft beschädigt wor­den. Selb­st wenn man es sehr opti­mistisch betra­chtet, wird es Jahrzehnte dauern, bis sie das alte Ver­trauen und die alte Würde zurück­er­langt haben wer­den. Die gestri­gen Bilder wer­den uns noch viele Jahre nachge­hen.”

Hof­fen wir trotz allem, dass die amerikanis­che Demokratie, die dank Ignaz Trox­ler unser­er Bun­desver­fas­sung zu Gevat­ter stand, aus dieser aktuellen tiefen Krise gefes­tigt her­vorge­hen wird.

Und es dürfte span­nend sein zu ver­fol­gen, wie die Welt­woche mit dem demokratisch und recht­ens gewählten neuen Präsi­den­ten umge­hen wird …


 

 

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