Rentier
Früher gab es auch in der Schweiz den Begriff des Rentier. Die weibliche Form war Rentière, womit auch klar wird, dass es hier nicht um ein nordisches Hornvieh geht. Rentier werden in Wikipedia schön beschrieben, darum der Link.
Wer davon lebt bei irgendwelchen Gelegenheiten Werte abzuschöpfen, ist also ein Rentier. Er produziert nichts, er bietet keine Leistung an, er kassiert nur.
Es gibt sehr viele verschiedene Formen des Kassierens. Schauen wir uns einige an.
Eine der ältesten Formen ist wohl die Pacht.
Dabei geht es um Boden, den jemand hat (warum und wie auch immer) und es geht um jemanden der diesen Boden nicht hat, aber haben will oder haben muss.
Ein Bauer braucht das Land um etwas anzubauen, zu pflanzen, und dann zu ernten. Sehr viele Bauern sind Pächter. Sie zahlen einen Pachtzins an den Eigentümer. Früher zahlten sie mit Produkten, die sie geerntet hatten (z.B. den Zehnten).
Dazu schrieb Adam Smith:
»Sobald in einem Land aller Boden in Privateigentum ist, möchten auch die Grossgrundbesitzer, wie alle Menschen, dort ernten, wo sie nicht gesät haben. Sie fordern selbst für den natürlichen Ertrag eine Rente.
Das Holz des Waldes, das Gras des Feldes und alle Früchte der Natur auf dieser Erde, die der Arbeiter, solange der Boden noch allen gehörte (Allmend), nur einzusammeln und zu ernten brauchte, erhalten nunmehr selbst für ihn einen Preis. Er muss nämlich von nun an für die Erlaubnis zum Ernten der Früchte etwas bezahlen, indem er dem Landbesitzer einen Teil von dem abgibt, was er durch seine Arbeit eingesammelt oder erzeugt hat. Dieser Teil nun oder, was auf das gleiche herauskommt, der Preis dieses Teils bildet die Bodenrente, die zugleich eine dritte Komponente im Preis der meisten Güter ist.«
Und Thomas Paine dazu:
»Die Erde wurde nicht von den Menschen erschaffen … Nur der Wert ihrer Kultivierung, nicht die Erde selbst, kann persönliches Eigentum sein.«
Die Pacht ist also keine Bezahlung für die Erzeugung von etwas Nützlichem!
Ähnlich ist es mit den Mieten
Wenn Bodenbesitzende Immobilien bauen und darin z.B. Wohnungen vermieten, profitieren sie eigentlich vor allem vom Bodenbesitz. Die Miete ist ein zusätzliches Einkommen. Wenn Boden rar ist, und jemand bauen will oder muss, steigen die Bodenpreis manchmal fast ins unermessliche. Die Bodenbesitzenden kommen so zu Macht. Macht zum Beispiel über die Pläne von Nichtbesitzenden.
Wer im Haus eines Besitzenden wohnt, bezahlt für die zur Verfügungstellung der Wohnung einen Preis, einen Preis, den der Vermietende nur dank seinem Bodenbesitz verlangen kann …
Überall, wo Bodenbesitz im Spiel ist, besteht in irgendeiner Form auch ein Machtgefälle zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden.
Thomas Paine:
»Jeder Bodeneigentümer schuldet der Gemeinschaft eine Grundrente für den von ihm beanspruchten Boden.«
Ob das mit den bescheidenen Steuern heute tatsächlich kompensiert wird, lasse ich hier mal offen …
Was mir bei der Beschäftigung mit dem ganzen Thema in den Sinn kam, war ein Lied, das ich mit meinen Primarschulkindern bei der Behandlung des Mittelalters jeweils lernte, das »Lied der Stände«:
Ein Kaiser oder König sitzt ganz oben an,
Er ist der allergrösste seiner Zeit,
Er stammt und wird gewählt vom Adelsstand,
Und Adel das ist Macht und Ehrbarkeit.
Es folgen Fürst und Herzog, Grafen die das Land
Besitzen und die sprechen auch Gericht,
Dann ist die grosse Anzahl uns bekannt,
Die Besseres sind, bloss Adel sind sie nicht.
Da wären auch die Ritter zu platziern, es muss
Nicht jeder Ritter sein, der Adels ist.
Denn Ritter wird auch mancher reiche Mann,
Der stolz gestellt sein Eigentum geniesst.
Dahinter drängt sich dicht der Bürger aus der Stadt,
Der Ratsherr und der Kaufmann mit dem Geld,
Der nicht nur einen Krämerladen hat,
Der handelt vielmehr mit der halben Welt.
Ihm folgt ganz allgemein des Stadtvolks bunte Schar,
Die Handwerksleut und die im Taglohn stehn,
Und quer durch die verschiednen Stände war
Die grosse Macht der Kirche klar zu sehn.
Ganz unten aber, da ist der, dem nichts gehört,
Der Bauer, der sein Leben lang nur schafft.
Und Tag für Tag die über sich ernährt,
Und bleibt ihm nichts als seine Arbeitskraft.
Irgendwie stellte sich dann die Frage:
Wer sind heute die Kaiser, Könige, Fürsten, Herzöge, usw. und wer die Bauern?
Dies ist eine Artikelserie zur 99%-Initiative. Alle erschienenen Artikel mit diesem Link.
Und noch ein Text zur Sache:
»Verlassen Sie mein Land!«, fordert der Landbesitzer einen Fremden auf.
Worauf ihn der Fremde fragt, woher er denn sein Land habe.
»Von meinem Vater«, war die Antwort.
»Und woher hatte der es?«
»Von seinem Vater und der von seinem Vater und so weiter!«
»Aber der eine Ihrer Vorfahren, der es als Erster besessen hat, wie ist er an das Land gekommen?«
»Er hat mit jemandem um das Land gekämpft!«
»Gut«, sagte der Fremde, » dann werde ich mit Dir um das Land kämpfen.
Wenn es in Ordnung war, das Land so in Besitz zu nehmen, dann muss es auch in Ordnung sein, es auf dieselbe Weise zurückzuerobern. Und wenn es nicht in Ordnung war, nun, dann sollte es zurückerobert werden.«Autor unbekannt
ibis
Jul 26, 2021
Kleine intuitive Abschweifung zu den Rentieren der Tierwelt, wenn es erlaubt ist:
Diese sind im eigentlichen Sinn ja keine Horntiere, denn sie gehören zu den Hirschen und damit eben zu den Geweihträgern. (Geweihe sind aus Knochen, nicht aus Hornsubstanz)
Das erwähne ich nicht wegen Düpflischisserei, sondern weil sie diese Besonderheit haben, dass sie eben nicht ihre Hörner und damit ihren Status dauerhaft “besitzen”, sondern das Geweih immer wieder abwerfen und neu aufbauen.
Ob sich das “rentiert”?
Tatsache ist: Bei den Rentieren besitzen auch die Weibchen Geweihe. Der Zyklus von Zeiten mit und Zeiten ohne Geweih ist bei Männchen und Weibchen versetzt.
Männchen brauchen ihres für Rangkämpfe während der Paarungszeit. Verlieren es aber direkt danach im Herbst. Und damit geht auch ihr sozialer Status in der Herde flöten. Sie landen als einzig Geweihlose ganz unten in der Hierarchie.
Die Weibchen tragen das Geweih länger. Den ganzen Winter durch, denn sie brauchen es auch, um ihre Jungen zu verteidigen.
Wenn sie es dann abwerfen, hat das Männchen wieder seinen Kopfputz und darf ein paar Monate der Boss sein.
Ich finde diese Idee von Besitz und Macht, die nicht auf Dauer angelegt ist, hat sehr viel für sich.
Hans-Jörg Beutter
Jul 26, 2021
in Ihrer tierischen parabel werden dem erblichen besitz/machtanspruch quasi hörner aufgesetzt – donniwetti: nidschlächt! 😉
(rudolph the red-nosed reindeer)
Franz
Jul 26, 2021
Danke »ibis«, für mich ist das, bis jetzt, so etwas wie der Kommentar des Jahre.
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Mir kam gerade der Anfang von Carmina burana in den Sinn: O Fortuna …
https://www.youtube.com/watch?v=GXFSK0ogeg4