In zwei birsfälder.li-Beiträgen konn­ten Sie schon von Mari­gna­no lesen. Hier und hier haben Sie die Mög­lich­keit nach­zu­ho­len, wenn Sie etwas ver­passt haben.

In sei­ner Erst-August-Rede vor zwei Tagen bemüh­te Bun­des­rat Ueli Mau­rer wie­der ein­mal den Mythos Mari­gna­no respek­ti­ve die Fol­ge davon: »Aus die­ser Neu­aus­rich­tung ent­wi­ckel­te sich unse­re Neu­tra­li­tät«. Mythen sind schön und geben einem Land auch eine Art Geschichts­schrei­bung. Aber bit­te nicht mit fal­schen Folgerungen …

Mari­gna­no war eine Schlacht zwi­schen den Eid­ge­nos­sen und Frank­reich im Kampf um das Her­zog­tum Mailand.
Heu­te ist es eine Schlacht um die Deu­tungs­ho­heit der Fol­gen von Marignano.
Nach rechts­kon­ser­va­ti­ven Krei­sen soll damals der Grund­stein für die Schwei­ze­ri­sche Neu­tra­li­tät gelegt wor­den sein. Eben­so der Rück­zug aus Euro­pa zu sich selbst.

Dass in Mari­gna­no die »Neu­tra­li­tät der Schweiz« ihre Wie­ge hat­te ist ein Mythos, dass nach Mari­gna­no der Rück­zug der Schweiz aus Euro­pa sei­nen Ursprung hat­te ist eben­so ein Mythos. Das ver­dan­ken wir der SVP und ihren Geschichts­klit­te­rern unter der Füh­rung ihres Oberdemagogen.
Da wer­den gros­se Pro­jek­te ver­an­stal­tet mit dem Ziel »Mari­gna­no 2015 soll das Geschichts­be­wusst­sein des heu­ti­gen Men­schen wecken und för­dern und Mari­gna­no als Wen­de der Eid­ge­nos­sen­schaft in Erin­ne­rung rufen. Es geht dar­um, das 16. mit dem 21. Jahr­hun­dert anhand von Ereig­nis­sen anschau­lich und ver­ständ­lich zu verbinden.«

Und tat­säch­lich war Mari­gna­no eine Wen­de für die Eid­ge­nos­sen­schaft. Es war näm­lich vor­bei mit den gros­sen Erobe­rungs­krie­gen, aber nicht ein Hauch von Neu­tra­li­tät. Kurz nach der Schlacht von Mari­gna­no ging die Eid­ge­nos­sen­schaft eine rund 200jährige Alli­anz mit Frank­reich ein. Die Eid­ge­nos­sen führ­ten kei­ne Erobe­rungs­zü­ge mehr an, die Herr­schen­den han­del­ten aber fort­an mit Kapi­tu­la­tio­nen. Wie wären wir denn sonst zum ach so schö­nen Bere­si­na-Lied gekommen?

Flaggen von eidgenössischen Söldnertruppen (nach Marignano!)

Flag­gen von eid­ge­nös­si­schen Söld­ner­trup­pen (nach Marignano!)

Bei die­sen Kapi­tu­la­tio­nen han­del­te es sich um Ver­trä­ge zwi­schen zwei Län­dern (z.B. Kan­ton Bern und Frank­reich) die den Herr­schen­den eine schö­ne Pen­si­on ein­brach­ten und dem Ver­trags­part­ner erlaub­te im Land Söld­ner zu wer­ben. Im Gegen­satz zu den Herr­schen­den die damit sehr viel Geld ver­dien­ten, hat­ten die Söld­ner nur einen klei­nen Ver­dienst, den sie auch oft mit dem Leben bezahlten.

Und so wur­de in der Eid­ge­nos­sen­schaft gewor­ben, was nun wirk­lich gar rein nichts mit Neu­tra­li­tät zu tun hat­te. Statt selbst Krie­ge und Erobe­run­gen anzu­zet­teln wur­den die eid­ge­nös­si­schen Söld­ner ein­fach dafür ver­wen­det in ange­zet­tel­ten Krie­gen und bei Erobe­run­gen frem­der Staa­ten mitzuhelfen:
1506-2015 Päpst­li­che Schwei­zer­gar­de: 133 Mann
1597–1831 Schwei­zer­gar­de Sar­di­ni­en-Pie­mont: 150 Mann
1616–1792 Schwei­zer­gar­de König von Frank­reich: 2’400 Mann
1734–1798 Schwei­zer­gar­de König­reich Nea­pel: 1’660 Mann
1748–1796 Schwei­zer­gar­de Repu­blik der Sie­ben Ver­ei­nig­ten Pro­vin­zen: 1’600 Mann
1795–1816 Gross­bri­tan­ni­en: 3’100 Mann
1798–1803 Frank­reich 18’000 Mann
1799–1816 Gross­bri­tan­ni­en: Bestand schwankend
1803–1814 Frank­reich: 16’000 Mann
1814–1830 Frank­reich: 14’100 Mann
1814–1848 Preus­sen: 429 Mann
1814–1829 König­reich Nie­der­lan­de: 10’000 Mann
1815–1830 Schwei­zer­gar­de König von Frank­reich: ca. 2’000 Mann
1820–1835 Spa­ni­en: 12’000 Mann
1829–1861 König­reich Nea­pel: 8’000 Mann
1855-1855 Bri­tish Swiss Legi­on: 3’300 Mann
1936–1939 Spa­ni­en: ca. 800 frei­wil­li­ge­Kämp­fer gegen den Faschismus
1939–1945 Deutsch­land: ca. 1000 Schwei­zer, resp. 2000 wenn Dop­pel­bür­ger mitgezählt
1939–1945 die­nen in der Nazi-Armee, z.T. in der Waffen-SS

1848 wur­de der Abschluss neu­er Mili­tär­ka­pi­tu­la­tio­nen verboten
1859 wur­de ein Gesetz erlas­sen, das die Anwer­bung von Söld­nern verbot

Neu­tra­li­tät? Die­se wur­de den Eid­ge­nos­sen vom Wie­ner Kon­gress 1815 auferlegt!
Die Gross­mäch­te Frank­reich, Oes­ter­reich, Preus­sen, Eng­land und Russ­land garan­tier­ten der Schweiz die Unver­letz­lich­keit und Unab­hän­gig­keit in den 1815 fest­ge­leg­ten Gren­zen, die Schweiz muss­te sich dafür zur Neu­tra­li­tät ver­pflich­ten. Neu­tra­li­tät im dama­li­gen Völ­ker­recht bedeu­te­te Nicht­teil­nah­me an Krie­gen and­rer Staa­ten und kei­ne Begüns­ti­gung and­rer Staa­ten, die in krie­ge­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen stehen.

Dazu im Gegen­satz ste­hen die Zulas­sung des Durch­mar­sches ver­schie­dens­ter frem­der Trup­pen, die den­noch statt­fan­den, z.B. auch deut­scher Trup­pen und Sachen in plom­bier­ten Eisen­bahn­wag­gons im Gott­hard-Tran­sit wäh­rend des zwei­ten Welt­kriegs. Und die auch dank der CVP gelo­cker­te Waf­fen­aus­fuhr in krieg­füh­ren­de Staa­ten wie Sau­di­ara­bi­en gehört in die­ses Thema …

Wenn wir also all die Hei­mat­schüt­zer von CVP über FDP bis SVP über Neu­tra­li­tät und Unab­hän­gig­keit schwat­zen und schrei­ben hören und sehen, bit­te nicht alles vergessen …

 

… die Weis­heit zum Artikel:

Eine der wich­tigs­ten Fol­gen von Mari­gna­no war,
dass «den fran­zö­si­schen Wer­bern der Zugang zu Europas
bedeu­tends­tem Men­schen­markt geöff­net wurde».
(Jean Jacquart)

 

 

 

 

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