Wer war Graf Cagliostro? — Wir wissen es nicht.
Zwei unvereinbare Erzählungen stehen sich gegenüber:
● Da sind Cagliostros eigene biographische Hinweise, dass er das Kind früh verstorbener, adeliger und christlicher Eltern sei und seine Jugend in Medina im Palast des Muphti Salahim gelebt habe. Im 12. Jahre sei er mit seinem Lehrer Althotas und Dienern nach Mekka gezogen und habe hier drei Jahre bei dem ihm verwandten Scherif gelebt, der endlich den »unglücklichen Sohn der Natur« zu weiteren Reisen entlassen habe. In Ägypten habe er die Weisheit jener Priester gelernt, welche die Phantasie fremder Völker so lange schon in das Innere der Pyramiden versetzte … 1766 endlich sei er in Malta angelangt und von dem Großmeister mit glänzenden Ehren empfangen worden. Hier habe er aus dunklen Andeutungen des Großmeisters zu entdecken geglaubt, daß eine Prinzessin von Trapezunt seine Mutter sei. Sein Führer Althotas sei in Malta als Christ und Priester gestorben und nun habe sich Cagliostro mit dem ihm vom Großmeister als Begleiter zugeteilten Chevalier d’Aquino nach Neapel begeben, von wo an seine Laufbahn öffentlich wurde.
● Der Kontrast zur Anklage der römischen Inquisition, wonach sich hinter dem Pseudonym ein kleiner, abgefeimter und perverser Dieb und Betrüger namens Giuseppe Balsamo verstecke, könnte nicht grösser sein.
Oder trifft eine im Internet auf Französisch zirkulierende “Déclaration de Cagliostro” — deren Authentizität ich nicht verifizieren konnte — die Wahrheit? Dort heisst es unter anderem:
Ich gehöre keiner Epoche und keinem Ort an; außerhalb von Zeit und Raum lebt mein geistiges Wesen sein ewiges Dasein, … wenn ich meinen Geist auf eine Existenzweise ausdehne, die weit von dem entfernt ist, was ihr wahrnehmt, werde ich zu dem, was ich wünsche. Indem ich bewusst am absoluten Sein teilnehme, gestalte ich mein Handeln entsprechend der Umgebung, in der ich lebe. Mein Name ist der meiner Funktion, und ich wähle ihn, wie auch meine Funktion, weil ich frei bin.
… Eines Tages, nach so vielen Reisen und Jahren, erhörte der Himmel meine Bitte: Er erinnerte sich an seinen Diener, und ich hatte die Gnade, in Brautkleider gekleidet, wie Moses vor den Ewigen zu treten. Von da an erhielt ich einen neuen Namen und einen einzigartigen Auftrag. Frei und Herr über mein Leben, dachte ich nur daran, es für das Werk Gottes einzusetzen. Ich wusste, dass er meine Taten und Worte bestätigen würde, so wie ich seinen Namen und sein Reich auf Erden bestätigen würde. Es gibt Wesen, die keinen Schutzengel haben; ich war einer von ihnen.
Halbwegs sicher ist seine Beziehung zur Insel Malta und dem Malteserorden. 1783 eilte Cagliostro aus Strassburg an das Sterbebett des Malteserritters Luigi d’Aquino, kam aber zu spät. Es ist auch ein Brief eines Freundes von Cagliostro, Charles
Abel de Loras, erhalten, worin dieser dem damaligen Ordens-Grossmeister Emmanuel de Rohan die Bitte des Magiers unterbreitete, den Rest seines Lebens in Malta verbringen zu dürfen. Die Inquisition war schneller.
Wie haben Freimaurer Cagliostro im Nachhinein beurteilt?
Wie zu erwarten sind die Ansichten geteilt:
Für René Le Forestier, ein anerkannter Historiker der freimaurerischen Hochgrade, ist die Arbeit Cagliostros mit der Freimaurerei unvereinbar:
Die ungeheure Popularität, die der Hochstapler Cagliostro mehrere Jahre lang in verschiedenen europäischen Ländern genoss, lässt sich durch eine Art Magnetismus und durch die Geschicklichkeit erklären, mit der er die traditionellen Verfahren der sogenannten Geheimwissenschaften anzuwenden wusste: Alchemie, hermetische Medizin, magische Operationen, Geisterbeschwörung usw. […] Was diesen Arbeiten ihren wahren Charakter verlieh, der ganz und gar nicht freimaurerisch war, war eine magische Operation …
Andere bekannte freimaurerische Autoren wie Robert Amadou oder Jean Pierre Bayard sehen in Cagliostro einen grossen Freimaurer und Adepten. Serge Hutin schrieb 1989: Als Praktiker der Hohen Magie, der die thaumaturgische Macht besaß, Engel und körperlose Wesen zu beschwören, war Cagliostro auch […] ein hoher Eingeweihter, der die höchsten Grade der traditionellen Initiationsbruderschaften erreicht hatte? Zweifelsohne auch!
Zum Abschluss dieser Serie zu einer der enigmatischsten Persönlichkeit im Europa des 18. Jahrhunderts wenden wir uns der Frage zu, was Cagliostro mit der damals europaweit bekannten Eremitage in Arlesheim zu tun hat, und dies wie immer
am kommenden Samstag, den 13. November.
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