Am 16. April 1791 wurde Cagliostro unter strengster Bewachung auf die päpstliche Festung San Leo bei Urbino überführt. Der Kommandant der Bewachungstruppe trug einen Brief an den Gouverneur der Festung, Sempronio Semproni, auf sich:
Joseph Balsamo, genannt Graf von Cagliostro, wird in diese Festung überführt, um dort für den Rest seines Lebens ohne Hoffnung auf Begnadigung und unter strengster Bewachung festgehalten zu werden. Auf direkten Befehl Unseres Herrn sende ich Euch diesen Brief zu zwei Zwecken: Erstens soll er bei seiner Ankunft in Centri in der Festung empfangen werden, ohne die Genehmigung des Waffenkommissars abzuwarten. Zweitens, und das ist der Wille Seiner Heiligkeit, sind Sie unmittelbar für die strengste Überwachung dieses Gefangenen verantwortlich, wobei Sie vor allem wissen sollen, dass ihm das Schreiben ohne jede Ausnahme verboten ist. Im Übrigen werden Sie in Bezug auf Verpflegung und Kleidung die für diese Art von Gefangenen übliche Behandlung anwenden. Aber wenn diese Behandlung zu viel sein sollte, müsst Ihr mir Eure Meinung sagen, denn der Heilige Vater wünscht, dass er mit Barmherzigkeit behandelt wird. Führen Sie diese hoheitlichen Anordnungen rigoros aus.
Und rigoros wurde die päpstliche Barmherzigkeit tatsächlich befolgt: Man sperrte Cagliostro zuerst in einen Kerker, im September aber schon in ein eigentliches Verliess ohne Türe. Der Zugang war nur über die Decke möglich. Eine kleine Öffnung erlaubte zugleich die Lieferung des Essens und die ständige Beobachtung des Gefangenen. Ein Fenster mit drei Sprossenreihen bot etwas Licht.
Trotz des strikten Verbots gelang es Cagliostro, sich Schreibmaterial zu verschaffen. In einem Brief an Kardinal Zelada, der sich regelmässig informieren liess, hielt die Wache fest, dass sich der Magier ein Schreibzeug aus den Strohhalmen seines Bettes gebastelt hatte.
Für die Tinte nahm er ein Stück Kerze, das auf den Boden gefallen war, und löste es in ein wenig Urin auf. Er machte daraus eine Art Paste, die er dann in weiterem Urin auflöste, um die Tinte zu erhalten. Um zu überprüfen, ob es funktioniert, habe ich das Experiment mit der Paste selbst durchgeführt. Ich schicke Euch die Strohfeder, damit Eure Eminenz den Einfallsreichtum erkennen kann, den er hat …
Und etwas später:
In dem anderen Kerker, den er bewohnte, wurde eine weitere Feder gefunden, die aus einem Stück Holz gefertigt und zwischen den Bleiplomben des Fensters versteckt war. Und auch aus dem Ende einer Kerze, die er so anfertigte, dass er damit sein Blut abzapfen konnte, mit dem er auf die Ränder der religiösen Bücher schrieb, die ihm gegeben wurden.
Cagliostro hatte unter anderem geschrieben:
Pius VI. hat mich, um der Königin von Frankreich zu gefallen, als Unschuldigen bestraft. Wehe Frankreich, wehe Rom und allen, die sie unterstützen.
Die Antwort Zeladas kam postwendend: Folter. Cagliostro begehrte auf. Aus den Briefen an Zelada:
Heute Morgen, bei der üblichen Inspektion, besaß er die Frechheit und den Mut, den Wachmann in einem herrischen Ton zu fragen, was er von ihm wolle. Der Soldat entgegnete, er wolle seine Pflicht tun, und Cagliostro beleidigte ihn so, dass der Wärter … gezwungen war, ihn zu watschen. Der Gefangene griff ihn daraufhin an, und um ihn ruhig zu stellen, … schlug ihn der Wärter mit Stöcken, woraufhin er so laut schrie, dass seine Schreie bis ins Dorf zu hören waren …
Zu meiner Überraschung fastet er weiterhin streng … Heute ist der siebte Tag, an dem er sich weigert zu essen. Ich schicke es ihm immer, aber er bittet darum, dass es an denjenigen weitergegeben wird, der es haben möchte. Er scheint etwas blasser geworden zu sein, aber das hat seinem intoleranten Geist und seiner Arroganz keinen Abbruch getan. Er hatte den Mut, das Töpfchen zum Urinieren zu nehmen und es dem Wachmann ins Gesicht zu werfen …
Ich habe einen Weg gefunden, herauszufinden, was er tut, wenn er denkt, er sei allein. Mein Stellvertreter beobachtet ihn mit Hilfe eines kleinen Lochs in der Wand, von dem er nicht weiß, dass es existiert. Wir haben gesehen, wie er etwas in der Wand versteckt hat. Er grub mit seinen Fingernägeln ein kleines Loch, um Gips zu holen, und versteckte ein Stück Eierschale, in dem sich eine dunkelgelbe Substanz befand, die man für einen in Urin gelösten Rostfarbstoff halten könnte, weil sie danach roch.
Wir haben ihm all das genommen, wie wir es jedes Mal tun, aber es ist unmöglich, ihn daran zu hindern, alles wieder zurückzunehmen, weil er von Natur aus so erfinderisch und improvisationsfreudig ist. Uns bleibt nichts anderes übrig, als ihn mit Ketten an die Wand zu fesseln, was wir nur für die Wütenden tun.
Unheimlich für den Gouverneur war auch, dass Cagliostro trotz seiner völligen Isolation wusste, was in der Welt geschah, lange bevor die Neuigkeiten per Post in der Festung eintrafen.
Im August 1795 nahm das Martyrium ein Ende. Eine in den Archiven aufbewahrte Notiz meldete:
Am 26. August 1795 wurde Giuseppe Balsamo, genannt Graf von Cagliostro, von einem schweren Schlaganfall überrascht und halb lebend in seinem Kerker aufgefunden. Die Lehrer und der Priester eilten ihm zu Hilfe, aber er lehnte ihre Hilfe ab. Da er nicht bereit war, zu beichten, erlitt er einen weiteren Anfall und starb ohne Reue gegen 4 Uhr in derselben Nacht.
Einige Autoren zum Leben Cagliostros vermuten Mord am unbequemen Gefangenen, aber konkrete Hinweise dafür fehlen.
1796 marschierte die französische Armee in Italien ein, stürmte die Festung San Leo und befreite alle Gefangenen. Im Februar 1798 wurde Pius VI. abgesetzt und 1799 nach Frankreich verschleppt, wo er im Sommer in Valence verstarb.
In den letzten beiden Folgen gehen wir der Frage nach der wahren Identität Cagliostros nach, werfen einen Blick darauf, wie Freimaurer sein Leben und Wirken posthum beurteilen, und begleiten den Magier zum Schluss nach Arlesheim in die Eremitage.
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson / Fritz Brupbacher / A Basic Call to Consciousness