Als er 1787 nach sei­nem glän­zen­den Frei­spruch, sei­nem Kampf mit Moran­de, sei­nem Brief an das fran­zö­si­sche Volk und sei­nem Auf­ent­halt in Basel, wo ihm die dank­ba­re Stadt­ver­wal­tung den Titel eines Bür­gers der Stadt ver­lie­hen hat­te, pro­mi­nen­ter denn je, aber immer noch so undurch­schau­bar, in Ita­li­en ankam, traf er in Rovere­to end­lich auf einen unpar­tei­ischen Beob­ach­ter. Die­ser Pro­to­typ des “Repor­ters”, der weder Schü­ler noch Feind war, mach­te es sich zur Auf­ga­be, Tag für Tag zu beob­ach­ten und alles zu notie­ren, was er in den weni­gen Wochen, die er in der Stadt ver­brach­te, über Cagli­os­tro sehen, hören oder erfah­ren konn­te. Sei­ne Noti­zen mach­te er zu einem Buch, und da es im 18. Jahr­hun­dert Mode war, das Hei­li­ge mit dem Pro­fa­nen zu ver­mi­schen und sich über das, was ernst hät­te wer­den kön­nen, lus­tig zu machen, ver­öf­fent­lich­te er sie in latei­ni­scher Spra­che unter dem Titel: “Liber memo­ria­lis de Cale­os­tro cum esset Robore­ti” in einem an die Evan­ge­li­en ange­lehn­ten Stil.

 Das Buch wur­de als “das Evan­ge­li­um von Cagli­os­tro” bekannt; es ist das wert­volls­te Doku­ment, das wir über sei­ne Per­son besit­zen, das uns erlaubt, ein wenig von sei­ner Zeit zu erle­ben, uns vor­zu­stel­len, wie er war, was er sag­te und was die­je­ni­gen, die ihm nahe stan­den, von ihm dach­ten. Nicht nur unter die­sem Gesichts­punkt ist das Tage­buch der Pas­sa­ge nach Rovor­e­do von unschätz­ba­rem Wert, son­dern auch, weil alle Exem­pla­re die­ses Werks zusam­men mit den Papie­ren Cagli­ostros vom hei­li­gen Offi­zi­um bei der Auto­da­fé ver­brannt wur­den, die auf sei­ne Ver­ur­tei­lung durch den Papst folg­te und am 4. Mai 1791 in Rom auf der Piaz­za del­la Miner­va stattfand.

Dies schrieb der Arzt Emma­nu­el Lalan­de, ali­as Marc Haven, in der Ein­lei­tung zu die­sem Doku­ment, von dem er trotz der Ver­nich­tung durch die Inqui­si­ti­on noch ein Exem­plar in Ita­li­en auf­trei­ben konnte.

Es beginnt so:
Im ach­ten Jahr der Herr­schaft von Kai­ser Joseph kam CAGLIOSTRO nach Rovor­e­do und blieb dort. Und der­je­ni­ge, der dies schreibt, sah ihn vor­bei­ge­hen und schau­te ihn durch das Fens­ter sei­nes Hotels an, und Cagli­ostros Frau war bei ihm; es war etwa sie­ben Uhr abends. Und die einen sag­ten, er sei ein Zau­be­rer, und die ande­ren, er sei der Anti­christ, und sie strit­ten sich unter­ein­an­der. Und er ver­spot­te­te sie und sag­te: Ich weiß nicht, wer ich bin, aber das weiß ich: dass ich die Kran­ken hei­le, dass ich die Zwei­feln­den erleuch­te, dass ich den Armen Geld gebe. Viel Unsinn und Lügen sind über mich geschrie­ben wor­den, denn nie­mand kennt die Wahr­heit. Aber ich muss ster­ben, und was ich getan habe, wird man an den Noti­zen erken­nen, die ich hinterlasse.

… Von Tages­an­bruch an emp­fing er die Men­schen und pfleg­te die Kran­ken. Und ein sehr rei­cher Mann kam zu ihm, der an Nie­ren­stei­nen litt und sehr alt war und Stei­ne hat­te. Er rief: Herr, wenn du kannst, hilf mir. Und er sag­te zu ihm: Du bist alt, dei­ne Krank­heit ist hart­nä­ckig, und du suchst nach einem Heil­mit­tel? Aber komm mor­gen wie­der, dann berei­te ich eine Medi­zin für dich vor. Der Arzt, der den Kran­ken behan­del­te, hör­te dies alles und über­leg­te bei sich. Und als sie hin­aus­ge­gan­gen waren, bezeug­te er allen, dass Cagli­os­tro gut gespro­chen hat­te, und er zoll­te ihm nach den Grund­sät­zen sei­ner Kunst Tri­but. Und man erzähl­te sich im Volk, dass er ein Pro­phet sei, dass er von nie­man­dem Geld oder Natu­ra­li­en anneh­me und dass er kei­nen Unter­schied zwi­schen Armen und Rei­chen mache, son­dern nur Her­zen gewin­ne und sie zur Mit­ar­beit an sei­nem Werk der Barm­her­zig­keit ver­pflich­te. Und alle lie­fen zu ihm, mit Rezep­ten und klei­nen Beträ­gen, um Medi­ka­men­te zu kau­fen. Aber es gab vie­le, die den Kopf schüt­tel­ten und sich wei­ger­ten zu glau­ben, bis sie Ergeb­nis­se sahen.

… Aber bald dar­auf geschah es, dass der­je­ni­ge, der an Stei­nen litt, nach Ein­nah­me sei­ner Medi­zin eine gro­ße Men­ge fast eit­ri­gen Urins abgab und sich zu bes­sern begann. Und die Ärz­te waren sehr erstaunt, dass eine Pri­se Pul­ver so viel Wir­kung haben konn­te, und sie durch­such­ten ihre Bücher nach für eine Erklä­rung. … Und Cagli­os­tro sprach zu dem Arzt, der den Pati­en­ten mit den Stei­nen behan­delt hat­te, und sag­te zu ihm: “Tu, was nötig ist, damit dein Pati­ent dir einen gro­ßen Teil von dem bezahlt, was er dir schul­det, und ich wer­de dafür sor­gen, dass der Tod noch zehn Jah­re lang nicht von ihm Besitz ergreift, und ich wer­de über alles tri­um­phie­ren. Aber ich sage nicht, dass er zwan­zig Jah­re lang wei­ter­ma­chen wird.” Und die­ses Wort erfuhr der Kran­ke, der wuss­te, dass er noch min­des­tens zehn Jah­re zu leben hat­te, und war tief getröstet.

Es fol­gen vie­le wei­te­re Beschrei­bun­gen von Hei­lun­gen, aber auch — wie gehabt — Schil­de­run­gen der Angrif­fe, die schon bald von Sei­ten der Ärz­te­schaft anfin­gen, wor­auf ihm der Magis­trat der Stadt die Aus­übung der Medi­zin unter­sag­te, da er die erfor­der­li­chen Diplo­me nicht besit­ze. Cagli­os­tro wehr­te sich:
Ich habe einem Kran­ken immer nur in Gegen­wart und mit der Bil­li­gung sei­nes Arz­tes etwas ver­schrie­ben. Und allen, denen ich etwas ver­schrie­ben habe, geht es, wie Sie wohl wis­sen, bes­ser. Aus­ser­dem habe ich nie­mals eine Arz­nei ver­ord­net, ohne vor­her genau ihre Wir­kung zu beschrei­ben. Und schliess­lich habe ich nie und nim­mer einen Men­schen auf­ge­for­dert, mich auf­zu­su­chen; aber war­um soll­te ich jene abwei­sen, die aus frei­en Stü­cken zu mir kom­men? Alle sind mei­ne Zeu­gen, dass ich bis zum heu­ti­gen Tag von nie­man­dem etwas ver­langt und weder vom Gerings­ten noch vom Höchs­ten etwas ange­nom­men habe, dass ich im Gegen­teil den Armen gehol­fen und ihnen gege­ben habe, was der Behand­lung ihrer Übel för­der­lich war. 

Cagli­os­tro führ­te sei­ne Heil­tä­tig­keit jen­seits des Po in Vil­lafran­ca wei­ter, aber schliess­lich wur­de der Wider­stand so gross, dass er einer Ein­la­dung des öster­rei­chi­schen Fürst­bi­schofs von Tri­ent, Mon­si­gno­re von Thun und Hohen­stein, folg­te, wel­cher der schot­ti­schen Frei­mau­re­rei und der Alche­mie gegen­über auf­ge­schlos­sen war.
Der Bischof, der sich wie der Kar­di­nal Rohan für die christ­li­che Eso­te­rik inter­es­siert, ver­folgt die Arbei­ten des Magi­ers mit leb­haf­ter Neu­gier­de und stellt immer wie­der erstaunt sei­ne uner­schöpf­li­che Güte den Armen gegen­über, wie über­haupt sei­ne noble Gesin­nung fest, die ihm die Ach­tung der ange­se­hens­ten Bür­ger ein­trägt. (Riba­deau Dumas, Cagliostro)

Doch dann erhielt der Fürst­bi­schof einen Brief von Kai­ser Joseph II., dem Bru­der von Marie-Antoi­net­te, mit einem stren­gen Tadel, dass er einen Auf­wieg­ler wie Cagli­os­tro bei sich auf­ge­nom­men habe. Dar­auf kam von Thun auf die Idee, Cagli­os­tro sol­le sich für die Aner­ken­nung sei­nes Ägyp­ti­schen Ritus direkt an Papst Pius VI. wen­den und ihm bewei­sen, dass sei­ne Zie­le ehr­bar, ver­nünf­tig und Gott wohl­ge­fäl­lig sei­en und unter dem Schutz der Engel ste­hen würden.

Gesagt, getan: Mon­si­gno­re von Thun bat den Vati­kan auf Wunsch Cagli­ostros, ihm für sei­ne Rei­se frei­es Geleit zuzu­si­chern, wor­auf ihm der Staats­se­kre­tär des Vati­kans, Mon­si­gno­re Bon­com­pa­gnie, fol­gen­de Bot­schaft zukom­men liess:
Illus­tris­si­mo e Pre­gia­tis­si­mo Signore,
der Herr Cagli­os­tro bedarf, da in den päpst­li­chen Staa­ten nichts gegen ihn anhän­gig ist, kei­nes­wegs des siche­ren Geleits, um das er durch Ihre ehr­ba­re Ver­mitt­lung nachsucht.
Ich habe die Ehre … etc.
Gege­ben zu Rom, die­sen 4. April 1789

Cagli­os­tro war hoch­zu­frie­den und mach­te sich im Mai 1789 mit vier Emp­feh­lungs­schrei­ben von Mon­si­gno­re von Thun an vier Kar­di­nä­le des Vati­kans zusam­men mit Sara­fi­na, die ihren Vater wie­der­se­hen woll­te, auf den Weg nach Rom.

Die Fal­le begann zuzuschnappen.

Dazu mehr am kom­men­den Sams­tag, den 9. Okto­ber.

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