Am 5. April 1787 traf Cagliostro nach vie­len Jahren wieder in Basel ein. Als er gegenüber Jakob Sarasin andeutete, dass er gerne in der Eidgenossen­schaft bleiben würde, machte sich dieser auf die Suche nach einem geeigneten Aufen­thalt­sort. Eine erste mögliche Wahl fiel auf Neuchâ­tel, das allerd­ings damals noch unter preussis­ch­er Kon­trolle stand. Als aber klar wurde, dass sich die Regierung nicht gegen ein allfäl­liges franzö­sis­ches Aus­liefer­ungs­begehren stellen würde, wandte sich Sarasin an gute Bekan­nte in Biel, — und wurde fündig. Die Stadt war bere­it, Cagliostro den Land­sitz “Rock­hall” oder “Rocaille” zur Ver­fü­gung zu stellen.

Die Stadtver­wal­tung freute sich dank der neuen Gäste auf die Bele­bung des kleinen Städtchens. In einem erhal­ten gebliebe­nen Brief des Bürg­er­meis­ters David Wal­ck­er schrieb dieser an einen Fre­und in Bern:
Was sagen Sie mein theuer­ster Fre­und und Gön­ner zu dem, dass der so famose Graf Cagliostro seinen Wohn­sitz hier zu Biel auf­schlägt? Er war in ver­flossen­er Woche hier begleit­et von dem jün­geren Sar­razin von Basel und dessen Frau umb das Rock­hall  in augen­schein zu nehmen, welch­es er einst­weilen für ein Jahr lang gemiethet und grosse Lust bezeugt es zu kauf­fen. Er ist zwar wieder auf Basel zurück, umb seine Frau dorten zu erwarten, die in Zeit von einem Monat dort ein­tr­e­f­fen und Ihn hieher begleit­en soll.
Biel wird durch Ihn in aller Welt bekan­ndt wer­den. Wenn (es) nur nicht mit Nachtheil geschieht, Indem von diesem Mann in offe­nen Blät­tern Ver­schieden­heit gesprochen wird und wie es scheint eint und ander Ver­fass­er der­sel­ben Ihn gle­ich­sam in die Wette auss­chel­ten und erniedri­gen. Sein Umgang ist freymüthig, offen und hon­nett und macht ein Gemisch von unge­mein­er Leb­haftigkeit im physis­chen und moralis­chen. Nur wün­sche ich dass viel­er mein­er lieben und geschätzten Mit­bürg­eren ein bißchen enthu­si­astis­che Erwartung nicht allzu frühe getäuscht wer­den mögen.

Die Biel­er wur­den nicht ent­täuscht. Nach­dem auch seine Frau Sara­fi­na zusam­men mit dem Ehep­aar Louther­bourg aus Eng­land eingetrof­fen war, strömten von über­all her alte Fre­unde, Neugierige und erneut Kranke nach Biel, um Cagliostro wiederzutr­e­f­fen, ken­nen­zuler­nen oder sich von ihm heilen zu lassen.

In einem inter­es­san­ten Briefwech­sel eines Mr Dox­at de Cham­pvent, den er mit einem befre­un­de­ten Banki­er in Genf führte, schildert er, wie Cagliostro seine Frau heilte. Angesichts der vie­len neg­a­tiv­en Gerüchte, die damals auch schon in der Gegend zirkulierten, über­liess er seine Frau dem Heil­er voller Zweifel und Bedenken. Doch zwei Monate später schrieb er seinem Fre­und über­glück­lich:
 Mon eher ami,  J’ai le très grand plaisir de vous appren­dre que, en dépit de tous les préjugés exis­tants con­tre M. Cagliostro, il a la gloire d’avoir guéri ma femme ; au moins est-elle arrivée il y a huit jours avec de bonnes couleurs, de l’em­bon­point, de la gai­eté et un bien-être com­plet. … J’a­joute avec grand plaisir que cette guéri­son a été accom­pa­g­née de la part du comte, de tous les soins, de toutes les atten­tions, de toutes les hon­netetés imag­in­ables.

Im Mai lud Jakob Sarasin Cagliostro an die 27. Jahresver­samm­lung der Hel­vetis­chen Gesellschaft nach Olten ein, wo der Heil­er und Magi­er offen­sichtlich grossen Ein­druck machte. Ein weit­er­er Besuch im näch­sten Jahr ver­lief allerd­ings schon weniger enthu­si­astisch, denn inzwis­chen hat­te sich in Biel ein weit­eres Dra­ma ereignet, das die Gerüchteküche anheizte:
Aus bis heute ungek­lärten Grün­den — die entsprechen­den offiziellen Doku­mente in Biel sind lei­der ver­schwun­den — kam es zwis­chen Cagliostro und dem Maler Louther­bourg zu ein­er hefti­gen Auseinan­der­set­zung, in die auch der Stad­trat hineinge­zo­gen wurde. Es gab Gerüchte, Louther­bourg habe sich Pis­tole und Pul­ver ver­schafft, um Cagliostro umzubrin­gen, — oder er habe Cagliostro zum Duell gefordert, aber dieser habe gekneift. Der Bio­graph Marc Haven geht davon aus, dass es erneut um eine poli­tis­che Kabale ging.

Wie dem auch sei: Sarasin eilte erneut nach Biel und machte einen Ver­mit­tlungsver­such, lei­der verge­blich. Es sollte die let­zte Begeg­nung mit Cagliostro und Sara­fi­na wer­den, denn die bei­den planten einen Kuraufen­thalt für Sara­fi­na in Aix-les-Bains, — und kehrten nicht mehr nach Biel zurück. Doch wir wer­den in ein­er späteren Folge im Zusam­men­hang mit der Eremitage Arlesheim nochmals  auf Sarasins Beziehung zu Cagliostro zurück­kom­men.

Nach dem Abschied Cagliostros von Biel schrieb der Bürg­er­meis­ter Sigis­mund Wil­der­mett über ihn:
… Wenn er den Regun­gen seines Herzens fol­gte, war der Graf ein Mann von ausseror­dentlich­er Güte und Fein­füh­ligkeit. Das hat mich am meis­ten zu ihm hinge­zo­gen. Ich werde sein­er immer als eines Men­schen gedenken, der mit seinen Gaben, seinem guten Herzen und seinen Erfol­gen wie mit seinem Unglück einzig in diesem Jahrhun­dert daste­ht.

Näch­ste Sta­tion: Turin. Doch der König von Sar­dinien befahl ihm auf franzö­sis­chen Druck, seine Staat­en bin­nen 48 Stun­den zu ver­lassen. Weit­er nach Gen­ua, Verona und schliesslich auf Ein­ladung von guten Fre­un­den nach Rovere­to, wo das Ehep­aar am 25. Sep­tem­ber 1788 ein­traf. Von seinem dor­ti­gen Aufen­thalt gibt es ein inter­es­santes Doku­ment, das “Liber memo­ri­alis de Cale­ostro”, heute oft auch “Das Evan­geli­um von Cagliostro” genan­nt.

In der näch­sten Folge am Sam­stag, den 2. Okto­ber wer­fen wir einen Blick hinein.

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Die Reichsidee 8
Aus dem Birsfelder Anzeiger 28. Juni 1939

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