Ich werde unterdrückt, ich werde beschuldigt, ich werde verleumdet. Habe ich dieses Schicksal verdient? Ich wende meine Gedanken nach innen und finde dort den Frieden, den die Menschen mir verweigern.
Ich bin weit gereist, bin in ganz Europa und in einem grossen Teil Afrikas und Asiens bekannt. Allenthalben habe ich mich als Freund meiner Mitmenschen erwiesen und meine Kenntnisse, meine Zeit, mein Vermögen stets unermüdlich eingesetzt, um das Los der Unglücklichen zu erleichtern. Ich habe die Medizin studiert, ich habe sie ausgeübt. Doch nie habe ich die edelste und tröstlichste aller Künste durch schnöde Gewinnsucht erniedrigt. …
Die Reichen haben die Mittel und meinen Rat umsonst empfangen. Die Armen haben von mir Arzneien und Geld erhalten.
Ich habe niemals Schulden gemacht. Meine Sitten sind rein, ja, ich wage zu sagen, streng. Ich habe niemals jemanden verletzt, weder durch Worte noch durch Taten noch durch Schriften. Die Beleidigungen, die mir angetan wurden, habe ich vergeben, das Gute, das ich getan habe, habe ich in der Stille getan. Überall Fremdling, habe ich überall die Bürgerpflicht erfüllt. Überall habe ich die Religion, die Gesetze und die Regierung geachtet. Das ist die Geschichte meines Lebens.
So beginnt die Verteidigungsschrift, die Cagliostro dem Gericht zusammen mit seinen Verteidigern unterbreitete.
In einem grossen Teil Afrikas und Asiens bekannt !? Hier stossen wir zum ersten Mal auf die Frage der Herkunft des Grafen. In der Literatur stehen sich zwei völlig entgegengesetzte Versionen gegenüber — im Nahen Osten aufgezogenes Kind von adeliger Geburt versus kleiner neapolitanischer Betrüger. Wir werden uns diesem Thema am Schluss der Serie widmen.
Zu den Anwürfen der Komtesse de la Motte meinte der Alchemist und Magier:
Die Gräfin schreibt in einem Stil, dessen einziger Vorzug darin besteht, viele Beleidigungen in wenigen Sätzen zusammenzufassen.
Es folgten nun Kreuzverhöre und Gegenüberstellungen. Die Tatsache, dass Cagliostro Ende Januar erst nach dem Abschluss des Halsband-Geschäfts in Paris eingetroffen war, wirkte für ihn entlastend. Doch die Konfrontation mit der Komtesse muss ein ziemliches Spektakel gewesen sein: Er nannte sie eine “verfluchte Gassendirne”, weil sie ihm Abträgliches über seine Frau ins Gesicht sagte, worauf sie mit einem Leuchter nach ihm warf, der den Grafen am Bauch traf; aber die Strafe folgte auf dem Fuss, denn die Kerze ging in ihr Auge.
Doch schliesslich knickte de la Motte ein und gestand, dass Cagliostro nichts mit der Affäre zu tun hatte. Als auch ihr Liebhaber bekannte, für die Fälschung der Briefe mit der Unterschrift Marie-Antoinettes verantwortlich zu sein, brach die Anklage wie ein Kartenhaus zusammen. Der Oberstaatsanwalt beantragte den Freispruch für Cagliostro und die 72 Richter schlossen sich dem Antrag einstimmig an.
Die Urteile für die Betrüger waren hart:
Der Fälscher Villette wird des Landes verwiesen … , der Herr von La Motte zu Schlägen, Peitschenhieben auf den nackten Leib, Brandmarkung und lebenslänglicher Galeerenstrafe verurteilt; die Frau von La Motte zu Stäupung, Schlägen auf den nackten Leib, Brandmarkung an beiden Schultern und lebenslänglicher Haft in der Salpêtrière.
Der Kardinal hingegen wurde zwar freigesprochen, aber in ein Exil im Massif Central geschickt. Sarafina Cagliostro war schon früher freigekommen, und als Cagliostro in der Nacht vom 1./2. Juli 1786 in sein Haus zurückkehrte, wurde er von einer riesigen Menschenmenge mit Jubel empfangen.
Ende gut, alles gut? Leider nein: Ludwig XVI. war über das Gerichtsurteil zu Rohan und dessen Freund Cagliostro über alle Massen erbost. Marie-Antoinette fühlte sich öffentlich gedemütigt und bezeichnete das Gericht als einen Haufen frechen und bestechlichen Gesindels, das sich in seiner Frechheit immer gegen die Autorität kehre. Der Graben zum Pariser Volk, das sich auf die Seite Cagliostros und Rohans gestellt hatte, begann sich zu vertiefen …
Die Rache des Königs folgte auf dem Fuss: Schon am nächsten Tag überbrachte der Baron de Breteuil dem Grafen eine Order: Befehlen Sie Cagliostro, Paris binnen acht Tagen und das Königreich binnen drei Wochen zu verlassen. Sie können meinen Brief vorzeigen.
Als Cagliostro sich mit seiner Frau von Boulogne aus nach Dover einschiffte, wurde er erneut von einer riesigen Menschenmenge verabschiedet. Aus London schrieb er später einem Freund: Die guten Leute waren sämtlich am Strand versammelt, winkten zum Schiff hinüber, riefen meinen Namen, schrieb mir zu, überschütteten mich mit ihrem Segen und baten um den meinen.
Und dann folgte eine grundlegende Kritik am Justizsystem des Ancien Regime:
Mit der Unterzeichnung eines Verbannungs- oder Haftbefehls fällt der König über den Unglücklichen, den seine allmächtige Strenge trifft, ein Urteil, aber aufgrund welcher Tatsachen fällt er es? Auf den Bericht seines Ministers hin. Und worauf stützt sich dieser? Auf die Beschwerden Unbekannter, auf undurchsichtige Informationen, die nie bekanntgegeben werden, manchmal sogar bloss Gerüchte, auf verleumderische Behauptungen, die der Hass gesät und der Neid geerntet hat. Das Opfer fühlt sich getroffen, ohne überhaupt zu wissen, woher der Schuss kommt …
Jemand hat mich gefragt, ob ich, falls die Verbannung aufgehoben würde, nach Frankreich zurückkäme? Gewiss, war meine Antwort, vorausgesetzt, die Bastille ist in eine öffentliche Anlage umgewandelt.
Drei Jahre später existierte sie nicht mehr:
Bereits zwei Tage nach der Erstürmung begann am 16. Juli 1789 der Abriss der Festung unter der Leitung des Bauunternehmers Pierre-François Palloy. Aus Steinen der Bastille ließ er detailgetreue Modelle meißeln, die in die 83 neuen Département-Hauptstädte geliefert und dort mit Pomp als Trophäen eingeweiht wurden. Aus den Schlössern der Zellen und den Ketten und Fußkugeln der Gefangenen ließ Palloy etwa 60.000 Medaillen mit Freiheitsmotiven prägen. (Wikipedia)
Cagliostro hoffte, in London sein Leben wieder in ruhigeren Fahrwassern weiterführen zu können. Das erwies sich als Illusion, denn schon bald wurde er das Opfer einer massiven medialen Hetzkampagne.
Darüber mehr am kommenden Samstag, den 18. September.
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