Der Ritter des Malteserordens — dieser ist noch heute aktiv ist und unterhält eigene Botschaften — hiess Chevalier Luigi d’Aquino. Seine Existenz beweist, dass Malta und der Orden in Cagliostros Vorleben offensichtlich eine Rolle gespielt haben. Als er im August 1783 in Neapel eintraf, konnte er allerdings nur noch Notiz vom Ableben d’Aquinos nehmen.
So folgte er einer freimaurerischen Einladung nach Bordeaux, wo er im November eintraf. Er blieb fast ein ganzes Jahr in der Stadt, und auch hier führte er seine Heilertätigkeit intensiv fort:
Montags und mittwochs empfing er “die Bürger erster und zweiter Klasse”, samstags “die Armen, die Handwerker, das Landvolk” — Winzer, Bauern aus den Landes, Glasbläser aus der Glashütte Bacalans, Zimmerleute aus den Werften… Jeden Tag besuchte er von drei bis sieben Uhr die Kranken zu Hause, dann kam die Zeit zum Ausruhen, er empfing seine Freunde und lud sie oft zu seinem Abendessen ein. (Dalbian, Cagliostro)
Bordeaux war damals ein “Hotspot” diverser okkulter Bewegungen. Am bekanntesten war der Hochgrad-Freimaurerorden der “Elus Coën”, der von der enigmatischen Persönlichkeit von Martinès de Pasqually ins Leben gerufen worden war. Einer seiner Schüler, Louis Claude de Saint-Martin, wurde seinerseits der Begründer des Martinismus, der bis heute lebendig geblieben ist. Er machte das Werk des grossen deutschen Mystikers und Theosophen Jakob Böhme in Frankreich bekannt.
Es war offensichtlich in Bordeaux, wo Cagliostro den Entschluss fasste, einen eigenen freimaurerischen Ritus zu entwickeln, — inspiriert durch einen prophetischen Traum, der ihn zutiefst beeindruckte:
Eines Nachts, als er wegen einer leichten Unpässlichkeit im Bett liegt, sieht er sich an einen sonderbaren Ort versetzt. Ihm träumt, zwei Männer ergreifen ihn und führen ihn in einen unterirdischen Raum. Eine Tür geht auf, und zu seiner Verblüffung betreten sie einen prächtig erleuchteten Saal, in dem Männer im weissen ägyptischen Priestergewand versammelt sind … Unter ihnen erkennt er Freimaurer, die, wie er sicher weiss, nicht mehr am Leben sind. Da wird ihm klar, dass er sich unter den Erwählten des Jenseits befindet. Man legt ihm ein langes Gewand an und gibt ihm ein flammendes Schwert in die Hand. Er schreitet, von blendendem Licht umstrahlt, voran, wirft sich vor dem Thron des Allerhöchsten nieder und dankt ihm, dass er ihn unter die Grossen Erwählten berufen hat; doch eine laute Stimme ertönt und sagt: “Das soll dein Lohn sein. Aber noch musst du wirken!”
Diese Vision, die er esoterisch auslegt, hat für sein Denken wichtige Folgen. Er leitet aus ihr die Verpflichtung ab:
- noch tiefer in das Geheimnis der Eingeweihten einzudringen;
- einen ägyptischen Ritus zu stiften und als dessen Grossmeister zu fungieren.
- die Freimaurer verschiedener Richtungen zu einem übergeordneten Orden zusammenzuschliessen, der die verwirrende Vielzahl der symbolischen Riten zusammenfassen soll. (F. Ribadeau Dumas, Cagliostro — ein Lebensbericht)
Die Ordensgründung fand allerdings nicht in Bordeaux, sondern in Lyon statt — der französischen Hochburg diverser okkulter und spiritueller Bewegungen und Bruderschaften. Offensichtlich fand er in dieser Stadt eine ganze Reihe von enthusiastischen Freimaurern, die bereit waren, ihn bei der Gründung seines ägyptischen Ritus zu unterstützen.
Auch in dieser Stadt erweist sich Cagliostro durch seine Werke, die Erscheinungen, Stimmen, Gesichte, durch seine Vorhersagen als wahrer Wundermann. Durch seine Predigten, Handauflegen und Gebete zum grossen Baumeister aller Welten, den er, die Augen auf die Bibel geheftet, anruft, entflammt er, ganz Hierophant, die Gemüter. Erstaunliche Heilungen, darunter die eines reichen Grundbesitzers, dessen Zustand so hoffnungslos scheint, dass ihn sein eigener Arzt zum Magier bringt, verbreiten wieder einmal den Ruhm von seinen überragenden Heilkünsten, woraufhin natürlich die Kranken sein Haus belagern. Und ein Experiment mit dem Herzog von Richelieu, der inkognito zu ihm kommt, um in zu konsultieren, und dem er … in einem Spiegel die Bilder seiner Zukunft zeigt, bestätigen seinen Ruf als Wahrsager. (F. Ribadeau Dumas)
Eine für die Logenarbeit geeignete Lokalität wurde gesucht, gefunden und für die Eröffnungszeremonie der Loge “Triumphierende Weisheit” prachtvoll ausgestattet. Doch da erreichte ihn eine dringende Bitte seines guten Freundes aus Strassburg, Kardinal de Rohan, so rasch als möglich nach Paris zu kommen.
Wir werden uns mit den Besonderheiten des “ägyptischen Ritus” von Cagliostro später beschäftigen und ihn in der nächsten Folge am 4. September nach Paris begleiten, wo sich ein politisches Drama entfalten sollte, das ihn und seine Frau Sarafina direkt in die Bastille, das berühmt-berüchtigte königliche Gefängnis führte.
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