Der Frust jen­er poli­tis­chen Kom­men­ta­toren in den USA, die mit viel Herzblut einen Sieg Don­ald Trumps zu ver­hin­dern sucht­en, ist begrei­flicher­weise gross. So  liess Ex-Arbeitsmin­is­ter Robert Reich kür­zlich seinen Gefühlen freien Lauf:
Fre­unde,
es ist ger­ade ein­mal drei Wochen und einen Tag her, dass die Welt auf den Kopf gestellt wurde und Don­ald Trump – nach­dem er einen Putsch zusam­men mit einem Angriff auf das US-Kapi­tol angezettelt hat­te, nach­dem er zweimal angeklagt wurde, nach­dem er absichtlich Richter für den Ober­sten Gericht­shof nominiert hat­te, die das Recht ein­er Frau auf Abtrei­bung beseit­igten, nach­dem er wegen schw­er­er Straftat­en verurteilt wurde, nach­dem er in einem Zivil­prozess wegen Verge­wal­ti­gung ein­er Frau für schuldig befun­den wurde – zum Präsi­den­ten wiedergewählt wurde.
In der Zwis­chen­zeit hat er eine Star-Wars-Spelunke von Men­schen nominiert, die völ­lig unqual­i­fiziert sind, um Min­is­te­rien zu leit­en oder Regierungsver­ant­wor­tung zu übernehmen – Ver­schwörungs­the­o­retik­er, Para­noik­er, Queru­lanten, rechte Schreiber­linge und unbe­darfte Mod­er­a­toren von Fox News …

Das Prob­lem ist allerd­ings, dass Trump auf demokratis­che Weise zum näch­sten Präsi­den­ten gewählt wurde. Warum eine Mehrheit trotz all dieser neg­a­tiv­en Seit­en Trumps trotz­dem zu ihm hiel­ten: Darüber wird jet­zt natür­lich heiss disku­tiert. War es die Wirtschaft? die Über­frem­dung? die Angst der weis­sen Män­ner vor Machtver­lust? die demokratis­che Kan­di­datin? usw. usw. Eine der inter­es­san­teren Analy­sen find­et sich auf dem birsfaelder.li hier, hier und hier.

Aber kein Kom­men­ta­tor hat die amerikanis­che Trump-Wäh­ler­schaft ein­fach eines einzi­gen Fehlers bezichtigt: Dummheit und Blind­heit. Hier einige Auszüge aus einem Artikel von Dan Dinel­lo auf commondreams.org:
Die Wieder­wahl des Aufrührers, der den Angriff vom 6. Jan­u­ar provoziert hat, ist eine mon­u­men­tale Ver­let­zung der Bürg­erpflicht durch das amerikanis­che Volk. Don­ald Trump wurde ein Mehrheits­man­dat erteilt – genug, um Ameri­ka niederzubren­nen.
Die Wäh­ler­schaft bestätigte, dass der schlimm­ste Men­sch, der je das Präsi­den­te­namt innehat­te, eine zweite Amt­szeit ver­di­ent. (…)

Gegen Ende der Wahl 2024 hiel­ten die Kan­di­dat­en ihre Schlus­sar­gu­mente. Trump malte die Vere­inigten Staat­en als einen dun­klen, furchter­re­gen­den und verseucht­en Ort, der von Haustiere essenden Ein­wan­der­ern, Gewaltver­brech­ern und abar­ti­gen Trans­sex­uellen wim­melt. Ameri­ka sei eine wilde Höl­len­land­schaft, in der gute, „nor­male“ Amerikan­er vergessen wer­den, während ihre weiße, het­ero­sex­uelle Welt von den Demokrat­en in etwas Fremdes und Abstoßen­des umgestal­tet wird.
Im Jahr 2020 glaubten wir, dass wir mit der Geschichte gebrochen hät­ten, mit der Ära Trump; im Jahr 2024 ist es offen­sichtlich, dass die Geschichte einen Teil von uns gebrochen hat.
Trump schürte Ver­schwörungs­the­o­rien und ver­sprach Rache. Er sin­nierte darüber, Reporter zu erschießen, ahmte mit einem Mikro­fon Oral­sex nach, ver­bre­it­ete ras­sis­tis­che Lügen und dro­hte, das Mil­itär gegen den „inneren Feind“ einzuset­zen. Er betonte jede noch so schlechte Eigen­schaft von sich. Nichts davon ver­hin­derte, dass seine Pop­u­lar­ität bei mehreren Wäh­ler­schaften im ganzen Land zunahm; es kön­nte sog­ar seinen Erfolg begün­stigt haben. (…)

Wäh­ler, die ihre Stimme für Trump abgaben, haben sich ver­acht­enswert ver­hal­ten, sind unmoralisch gewor­den, nehmen das Regieren nicht mehr ernst und haben bewiesen, dass sie unseres ver­fas­sungsmäßi­gen Erbes nicht würdig sind. Es gibt nicht nur ein Trump-Prob­lem, son­dern auch ein Wäh­ler­prob­lem. (…)

Immer wieder hören wir die wilden Lügen, an die Trumps Wäh­ler glauben, wie z. B. dass Babys nach der Geburt abgetrieben wer­den. Wir tun so, als ob sie dieselbe Real­ität wie wir teilen wür­den, als ob sie fundierte Entschei­dun­gen über legit­ime The­men tre­f­fen wür­den. Die Medi­en stellen diese leicht­gläu­bige Menge oft als kläglich missver­standen dar: Wenn die Demokrat­en nur ihre wirtschaftlichen Äng­ste ansprechen wür­den, wür­den sie vielle­icht anders wählen. Das ist ein Mythos, dem nie­mand glauben sollte. Sie sind nicht von Geburt an igno­rant. Sie haben sich dafür entsch­ieden, die Augen vor der Real­ität zu ver­schließen.

Autokra­tien leben von ver­wirrten, schlecht informierten Bevölkerun­gen. In „Ele­mente und Ursprünge totaler Herrschaft“ schrieb Han­nah Arendt: „In ein­er sich ständig verän­dern­den, unver­ständlichen Welt gelangten die Massen an einen Punkt, an dem sie gle­ichzeit­ig alles und nichts glauben und denken wür­den, dass alles möglich und nichts wahr sei. Die Massen­pro­pa­gan­da ent­deck­te, dass ihr Pub­likum jed­erzeit bere­it war, das Schlimm­ste zu glauben, egal wie absurd es war, und keine beson­deren Ein­wände dage­gen hat­te, getäuscht zu wer­den, weil es ohne­hin jede Aus­sage für eine Lüge hielt.“ (…)

Obwohl die Amerikan­er die best­genährten, reich­sten und am mas­sivsten vertei­digten Men­schen in der Geschichte des Plan­eten Erde sind, haben sie Angst. Obwohl sie mit zu viel von allem ver­wöh­nt wer­den: mehr Autos, mehr gute Straßen, mehr per­sön­liche Geräte, mehr Waf­fen und mehr Frei­heit als jedes andere Land der Welt, ist es nicht genug. Die Amerikan­er sind verärg­ert. Der Preis für Eier ist gestiegen. Ben­zin kostet nicht mehr so viel wie 1989. Hat Ameri­ka einen Dik­ta­tor gewählt, weil Chee­rios – in etwa 20 Geschmack­srich­tun­gen erhältlich – im Super­markt 5,29 $ gekostet haben?

Die Amerikan­er haben einen Fanatik­er wiedergewählt, der Hass und Spal­tung fördert und jedes Mal, wenn er in der Öffentlichkeit auftritt, unver­hohlen und scham­los lügt. Sie haben einen Mann gewählt, der von seinen eige­nen ehe­ma­li­gen Beratern als Faschist beze­ich­net wurde. Die Wäh­ler wur­den Zeuge seines Miss­brauchs der prä­sidi­alen Macht für faschis­tis­che Zwecke und ver­standen, dass eine Wieder­wahl ihn rechtlich für diese Miss­bräuche immu­nisieren würde. Ihre Stim­men bekräfti­gen, dass die Beteili­gung an ein­er Ver­schwörung zur Entrech­tung von Amerikan­ern durch die Aufhe­bung ein­er nationalen Wahl jeman­den nicht für ein nationales Amt ungeeignet macht – selb­st wenn dieser Jemand bere­its plant, dies erneut zu tun. Es gibt keine andere Erk­lärung für einen voll­ständi­gen Sieg Trumps als eine ver­ab­scheuungswürdi­ge Wider­spiegelung des amerikanis­chen Charak­ters. (…)

In den let­zten zehn Jahren haben Mei­n­ung­sum­fra­gen gezeigt, dass das Ver­trauen der Amerikan­er in ihre Insti­tu­tio­nen schwindet. Aber keine Mei­n­ung­sum­frage kön­nte diesen Werte­wan­del deut­lich­er machen als diese Wahl. Die Vere­inigten Staat­en wer­den ein anderes Land wer­den. Die Lehre aus dieser Wahl ist, dass das amerikanis­che Volk sein­er Ver­fas­sung nicht würdig ist. Sie haben einen Präsi­den­ten gewählt, der sie nie gele­sen hat und der durch sein Ver­hal­ten die grundle­gend­sten Werte und Tra­di­tio­nen unser­er Demokratie, unser­er Ver­fas­sung, ver­achtet. Wie die Hip­pies der Gegenkul­tur und die Anti-Viet­nam-Radikalen der 1960er Jahre sind die inneren Feinde Rebellen – Fremde in einem frem­den Land, im Exil in einem Land, dem sich viele von uns nicht mehr voll und ganz zuge­hörig fühlen.

Hat Dan Dinel­lo recht? Das sei dem Ermessen jed­er birsfaelder.li-Leserin und jedes birsdfaelder.li-Lesers anheimgestellt.

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Mattiello am Mittwoch 24/48
Die Reichsidee 157

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