Im Gegen­satz zu vie­len poli­ti­schen Kom­men­ta­to­ren, die das “Trump-Phä­no­men” als eine neue Ent­wick­lung inner­halb des poli­ti­schen Gefü­ges in den USA betrach­ten, ver­sucht Robert Kagan auf­zu­zei­gen, dass Trump und sei­ne Anhän­ge­rin­nen und Anhän­ger sich im Grun­de in einen Tra­di­ti­ons­strang ein­rei­hen, der seit der Grün­dung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten leben­dig war und eine Rol­le spielte.

Hier die Fort­set­zung der Ein­lei­tung zu sei­nem neu­en Buch “Rebel­li­on. How Anti­li­be­ra­lism is Tearing Ame­ri­ca Apart Again”:

Alle die­se anti­li­be­ra­len Grup­pen — der skla­ven­hal­ten­de Süden, die wei­ßen Süd­staa­ten­po­pu­lis­ten der Jim-Crow-Ära, der Klan, die Bir­chers, die Anhän­ger von Pat Buchanan — haben befürch­tet, dass ihre Vor­stel­lung von Ame­ri­ka als einer Nati­on mit “klei­nem Staat, maxi­ma­ler Frei­heit und einer wei­ßen, christ­li­chen Bevöl­ke­rung” ange­grif­fen wurde.
Alle haben geglaubt, dass sich eli­tä­re Kaba­len, an denen “Wall Street”, jüdi­sche Ban­ker, “Kos­mo­po­li­ten”, öst­li­che Intel­lek­tu­el­le, aus­län­di­sche Inter­es­sen und Schwar­ze betei­ligt sind, ver­schwo­ren haben, um den ein­fa­chen wei­ßen Mann unten zu hal­ten. Alle haben ver­sucht, “Ame­ri­ka wie­der groß zu machen”, indem sie die alten Hier­ar­chien und Tra­di­tio­nen aus der Zeit vor der Revo­lu­ti­on ver­tei­dig­ten und wie­der­her­stell­ten.

Die erfolg­reichs­ten Füh­rer die­ser popu­lis­ti­schen Bewe­gun­gen haben immer mit den Ängs­ten und Res­sen­ti­ments der Bevöl­ke­rung gegen­über der “Eli­te”, den “libe­ra­len Medi­en” und den Regie­rungs­bü­ro­kra­ten gespielt, die angeb­lich “das Volk” ver­ach­ten. Wie Trump haben sie sich über die kon­ven­tio­nel­len Nor­men des poli­ti­schen und sozia­len Ver­hal­tens hinweggesetzt. (…)

Was ihre Kri­ti­ker als Grob­heit und Bös­ar­tig­keit ansa­hen, betrach­te­ten ihre Anhän­ger jedoch als Stär­ke und Trotz gegen­über einer Welt, die sich gegen sie stell­te. Sie waren nicht die zah­men “Kon­ser­va­ti­ven” des klas­si­schen Libe­ra­lis­mus, die man­che Intel­lek­tu­el­le als den wah­ren “Kon­ser­va­tis­mus” Ame­ri­kas bezeich­nen. Sie waren rebel­li­sche Sys­tem­geg­ner, “Zer­trüm­me­rer”, unver­schämt anti­li­be­ral im Den­ken und Han­deln, und das hat sie popu­lär gemacht.

Die Trump-Bewe­gung ist also kei­ne ver­rück­te Anoma­lie. Wie der dämo­ni­sche Geist in einem Ste­phen-King-Roman hat sie uns schon immer beglei­tet. Im Lau­fe der Jahr­zehn­te nahm sie unter­schied­li­che For­men an, besetz­te erst die eine, dann die ande­re Par­tei, war manch­mal sehr ein­fluss­reich, manch­mal schein­bar schwach und ver­schwand. Heu­te hat sie die Kon­trol­le über die Repu­bli­ka­ni­sche Par­tei über­nom­men, so wie sie einst die Demo­kra­ti­sche Par­tei kon­trol­lier­te. Und obwohl man auf vie­le aktu­el­le, unmit­tel­ba­re Ursa­chen für ihre jüngs­te Mani­fes­ta­ti­on als Trump-Bewe­gung hin­wei­sen kann, geht die Suche nach sol­chen Ursa­chen an der Sache vorbei:

Das Pro­blem liegt nicht in der Gestal­tung des ame­ri­ka­ni­schen Sys­tems. Es ist nicht das Wahl­män­ner­kol­le­gi­um, das vor nicht all­zu lan­ger Zeit die Demo­kra­ti­sche Par­tei eben­so begüns­tig­te wie heu­te die Repu­bli­ka­ner. Es ist nicht die poli­ti­sche Pola­ri­sie­rung an sich, die die ame­ri­ka­ni­sche Poli­tik oft geprägt hat. Es ist nicht das Inter­net oder Fox News. Es ist nicht die Wirt­schaft: Die­se Bewe­gun­gen sind in guten wie in schlech­ten Zei­ten gedie­hen. Es liegt nicht an die­sem oder jenem Krieg oder an einer bestimm­ten Außenpolitik.

Das Pro­blem sind und waren immer die Men­schen und ihre Über­zeu­gun­gen. Wie in der Ver­gan­gen­heit rebel­lie­ren Mil­lio­nen von Ame­ri­ka­nern gegen die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung und den Libe­ra­lis­mus, den sie schützt, und Mil­lio­nen mehr sind aus blin­der poli­ti­scher Loya­li­tät, aus Angst und Hass auf die Demo­kra­ti­sche Par­tei und die “Woke”-Kultur und aus Unwis­sen­heit oder Gleich­gül­tig­keit gegen­über den Kon­se­quen­zen bereit, sich dem radi­ka­len anti­li­be­ra­len Flü­gel ihrer Par­tei anzu­schlie­ßen, selbst wenn dies zum Sturz des ame­ri­ka­ni­schen Regie­rungs­sys­tems und viel­leicht zur Auf­lö­sung der Nati­on führt.

Kagan schliesst die Ein­lei­tung mit der Frage:
Wie sind die Ame­ri­ka­ner an die­sen Punkt gelangt? Um die­se Fra­ge zu beant­wor­ten, muss man an den Anfang zurück­ge­hen, zum Wesen der Ame­ri­ka­ni­schen Revo­lu­ti­on und zu den Ideen, die sie her­vor­brach­te und die zu den Grün­dungs­prin­zi­pi­en der neu­en Repu­blik wurden.

Dazu mehr in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Don­ners­tag, den 5. September.

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