Es hätte für Präsidentschafts-Anwärter Donald Trump nicht besser laufen können: Ein Attentat à la John F. Kennedy! Zwar blieb es bei einem harmlosen Streifschuss an seinem rechten Ohr, aber wie viele Medien rasch erkannten, bot das dramatische Geschehen Trump die Möglichkeit, sich auf einer neuen Stufe als kommenden “Messias” für die USA zu inszenieren.
Herzlose und zynische Haltung des birsfaelder.li-Schreiberlings angesichts dieses Mordversuchs am möglichen neuen amerikanischen Präsidenten?
Keineswegs: Die Tat des verwirrten 20-Jährigen ist ohne jegliche Einschränkung zu verurteilen. Sie ist ein weiteres schockierendes Beispiel dafür, wie in den USA die Politik immer mehr in einen Strudel von Gewalt hineingezogen wird. Die wilden Verschwörungstheorien, die gleich darauf sowohl auf demokratischer, mehrheitlich aber auf republikanischer Seite ins Kraut schossen, machen deutlich, wie vergiftet die gesellschaftliche Atmosphäre in “God’s own country” inzwischen geworden ist.
Dafür ist zum grössten Teil der Mann verantwortlich, der seine Gegner verbal auf brutalste Weise angreift, der andere Menschen als “Ungeziefer” bezeichnet und ihnen “Blutsvergiftung” unterstellt. Es ist der Mann, der seit seiner Niederlage unentwegt und ungehindert die Lüge verbreitet, sein Wahl sei ihm 2020 auf hinterhältige Weise gestohlen worden. Es ist der Mann, welcher der Erstürmung des Kapitols durch einen entfesselten Mob im Januar 2021 stundenlang am Fernsehen zuschaute, bis er sich auf Drängen seiner Mitarbeiter zu einer halbherzigen Verurteilung durchrang. Es ist der Mann, der bereit ist, das Wahlresultat im kommenden November anzuerkennen, — sofern er gewählt wird.
Dieser Mann ist gefährlich.
Aber dank des überlebten Mordversuchs umhüllt ihn ein neuer Nimbus: Gott persönlich hat dafür gesorgt, dass sein Leben verschont wurde, weil er noch Grosses mit ihm vorhat. So tönt es seitens der Evangelikalen. So tönt es noch lauter von seinen Anhängern, die frenetisch “Fight! Fight! Fight” schreien. Die Wahlkampfspenden sind explodiert. Elon Musk wird jeden Monat 45 Millionen Dollar in die Wahlkampfkasse schütten.
Seit dem Angriff auf Trumps Leben während einer Wahlkampfveranstaltung am Samstag in Butler, Pennsylvania, bei dem er zwar blutig, aber ansonsten unverletzt blieb, haben einige Unterstützer im Kongress und in den sozialen Medien Bibelstellen und Illustrationen geteilt, die zeigen, wie der Heilige Geist die Kugel ablenkt. Internet-Prominente wie der Boxer Jake Paul bezeichneten den Moment als Beweis dafür, “wen Gott gewinnen lassen will”, und Poster auf TheDonald, einem rechtsextremen Message Board, das nicht mit Trump verbunden ist, erwähnten Gott siebenmal so oft wie in der Woche vor der Schießerei, wie eine Analyse der Washington Post ergab.
Die Idee des göttlichen Einflusses tauchte auch auf dem Parteitag der Republikaner auf, wo ein bandagierter und düsterer Trump am Montagabend vor einer tobenden Menge in Milwaukee gefeiert wurde. Einige Delegierte und Trump-Berater, die bereits davon überzeugt waren, dass der ehemalige Präsident das Land auf einen gerechten Kurs bringen würde, sagten, dass sie diesen Glauben am Samstagabend von oben bestätigt sahen.
“Ich habe ihm das gestern Abend gesagt”, sagte der Abgeordnete Byron Donalds (R‑Fla.), der auf dem Parteitag in Trumps Loge saß, am Dienstag in einer Stadthalle in Milwaukee. Ich sagte: “Sir, die Hand Gottes liegt auf Ihnen”. Die Sprecherin der Trump-Kampagne, Caroline Sunshine, sagte am Dienstag auf Fox News, dass Trump dank “göttlicher Intervention” überlebt habe, und fügte, nachdem sie die Linke als “gottlos” bezeichnet hatte, hinzu: “Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Gute das Böse besiegt.”
(Washington Post, 16. Juli)
Eine andere amerikanische Newssite fasst zusammen:
Trump ist also nicht einfach nur ein starker Mann, sondern eine von Gott gesandte biblische Figur. Paul Djupe, Professor an der Denison University, “hat Umfragen durchgeführt, die zeigen, dass ein Drittel der Gläubigen an die moderne Prophetie die Idee unterstützt, dass Trump von Gott zum Präsidenten gesalbt wurde”, berichtete The Nation Anfang des Jahres. “Mehr als die Hälfte der Prophezeiungsgläubigen und 20 Prozent der Befragten insgesamt unterstützten Wallnaus Aufruf zur Übernahme aller führenden kulturellen Institutionen durch die Evangelikalen.”
Trumps evangelikale Unterstützer sprechen jetzt oft von geistlicher Kriegsführung, bei der dämonische Trump-Kritiker gegen den ehemaligen Präsidenten ausgespielt werden, der die Macht Gottes repräsentiert. In der beliebten Fernsehsendung FlashPoint beschrieb der Prediger Hank Kunneman aus Nebraska die strafrechtlichen Vorwürfe gegen Trump als “Kampf zwischen Gut und Böse” und fügte hinzu: “Präsident Trump hat etwas an sich, das der Feind fürchtet: Es wird die Salbung genannt.” Wallnau sagte, dass “die Hand Gottes auf ihm liegt und er nicht aufgehalten werden kann”.
In einem Video, das nach dem Attentat auf Trump veröffentlicht wurde, sprach Wallnau von einem neuen “Dekret” von Chuck Pierce, einem bekannten Autor und selbsternannten Apostel. “Herr, wir verordnen, dass er in jeder Schlüsselsituation ein Ohr hat, um zu hören, was der Geist sagt”, zitierte er Pierce. “Ob er sich nach links oder nach rechts wendet, wir verkünden ihm Weisheit wie David, und er wird dem Tod immer einen Schritt voraus sein.”
Der Mythos ist bereits in Bewegung und wird nicht nur von Trump-Anhängern, sondern auch von Mitgliedern der Familie Trump und von Trump selbst vorangetrieben. In einer E‑Mail zur Spendensammlung behauptete Trump, dass es allein Gott war, der das Undenkbare verhindert hat. (Nicht so bei Corey Comperatore, dem in den Kopf geschossen wurde, als er seine Familie auf der Tribüne beschützte.) Auf Instagram postete Lara Trump ein Bild von einem geisterhaften Jesus, der hinter ihrem Schwiegervater schwebt. “Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir”, schrieb sie in einer Bildunterschrift, die aus dem Buch Jesaja stammt.
Die Schießerei vom Samstag hat Trumps Ohr verletzt, aber nicht sein Image. Für seine treuesten Anhänger ist er jetzt vielleicht mehr als nur ein Gefäß. Er ist ein Wunder, ein Prophet, ein Krieger, und Gottes Hand ist auf ihm, wenn auch nicht auf dem Rest von uns. “Ich bete einfach, dass ihn in seiner zweiten Amtszeit das Feuer des Heiligen Geistes erfasst und wir etwas Großes erleben werden”, sagte Pastor Tony Suarez von der National Hispanic Christian Leadership Conference bei einer FlashPoint-Veranstaltung Anfang des Jahres. Sollte Trump die Wiederwahl gewinnen, wird dies als ein weiterer Segen Gottes angesehen werden. Was für die Rechten ein Segen ist, ist für alle anderen eine Katastrophe.
Dass auch der grösste Schweizer Trump-Fan, WW-Chefredaktor Roger Köppel, vor Trump ehrfurchtsvoll den Hut zieht, ist deshalb nur folgerichtig:
Man darf auf die Fortsetzung dieses Dramas gespannt sein.
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson / Fritz Brupbacher / A Basic Call to Consciousness / Leonhard Ragaz / Christentum und Gnosis / Helvetia — quo vadis? / Aldous Huxley / Dle WW und die Katholische Kirche / Trump Dämmerung