Neu­er­dings ist Donald Trump wie­der auf Good­will-Tour in evan­ge­li­ka­len Krei­sen, um sich im Novem­ber deren Stim­men zu sichern. So gesche­hen an einer Ver­an­stal­tung der Faith and Free­dom Coali­ti­on, wo er unter ande­rem dafür warb, in allen Schu­len der Ver­ei­nig­ten Staa­ten — ob staat­lich oder pri­vat — eine Tafel mit den Zehn Gebo­ten anzubringen.

Sein Kom­men­tar auf “Truth Social”:

I LOVE THE TEN COMMANDMENTS IN PUBLIC SCHOOLS, PRIVATE SCHOOLS, AND MANY OTHER PLACES, FOR THAT MATTER. READ IT — HOW CAN WE, AS A NATION, GO WRONG??? … BRING BACK TTC!!! MAGA2024.”

Trump weiss, was er tut. Am miss­glück­ten Staats­streich­ver­such im Janu­ar 2021 waren Evan­ge­li­ka­le, die aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten eine christ­li­che Theo­kra­tie machen wol­len, pro­mi­nent ver­tre­ten, wie die Autoren des Buches “Chris­ti­an Natio­na­lism and the Janu­ary 6, 2021 Insur­rec­tion” auf­zei­gen. Es lohnt sich des­halb, einen ver­tief­ten Blick dar­auf zu wer­fen, was es mit die­sem christ­li­chen Natio­na­lis­mus und sei­ner Ver­bin­dung mit Donald Trump auf sich hat.

Die Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin Dr. Anthea But­ler schreibt dazu im Buch­ka­pi­tel “Was ist weis­ser christ­li­cher Nationalismus”:
Ein­fach aus­ge­drückt ist es die Über­zeu­gung, dass die Grün­dung Ame­ri­kas auf christ­li­chen Prin­zi­pi­en beruht, dass das wei­ße pro­tes­tan­ti­sche Chris­ten­tum die bestim­men­de Reli­gi­on des Lan­des ist und dass das Chris­ten­tum die Grund­la­ge dafür sein soll­te, wie die Nati­on ihre Geset­ze, Prin­zi­pi­en und Poli­tik formt.

Aber wel­che Art von Chris­ten­tum und wel­che Art von Natio­na­lis­mus? Das ist die Fra­ge. Bei dem Auf­stand am 6. Janu­ar gab es zahl­rei­che Bei­spie­le für den wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus: Das Gebet in der Senats­kam­mer. Die unzäh­li­gen christ­li­chen Bil­der, die von den Auf­stän­di­schen getra­gen wurden.

Die Sze­ne in der Senats­kam­mer wäh­rend des Auf­stands ist die bes­te phy­si­sche Beschrei­bung des Phä­no­mens. Ihr Gebet im Ple­nar­saal — das sie mit “Jesus Chris­tus, wir rufen dei­nen Namen an”  began­nen — deu­tet auf die Fäul­nis im Kern des reli­giö­sen Natio­na­lis­mus hin: die Annah­me, dass Chris­tus im Mit­tel­punkt der Bemü­hun­gen steht, das wei­ße pro­tes­tan­ti­sche Chris­ten­tum im Diens­te der wei­ßen männ­li­chen auto­kra­ti­schen Auto­ri­tät zu eta­blie­ren und zu för­dern.

In jün­ge­rer Zeit hat Gene­ral Micha­el Flynn behaup­tet: Wenn wir eine christ­li­che Nati­on unter Gott sein wol­len, was wir müs­sen, müs­sen wir auch eine Reli­gi­on haben. Er fuhr fort: “Eine Nati­on unter Gott und eine Reli­gi­on unter Gott”. “Eine Nati­on unter Gott und eine Reli­gi­on unter Gott” ist ein wei­te­res Bei­spiel dafür, wie der wei­ße christ­li­che Natio­na­lis­mus funk­tio­niert. Die eine Reli­gi­on ist das Christentum.

Um die­ses Phä­no­men zu ver­ste­hen, muss man wis­sen, wie der wei­ße christ­li­che Natio­na­lis­mus als ver­bin­den­des The­ma für eine bestimm­te Art von Erzäh­lung über Ame­ri­ka funk­tio­niert hat. Die­ses Nar­ra­tiv lässt sich wie folgt zusammenfassen:

1. Ame­ri­ka ist eine von Gott ein­ge­setz­te Nati­on, die christ­lich ist.

2. Die Grün­der Ame­ri­kas woll­ten nicht die Reli­gi­on als eini­gen­des Ele­ment der Nati­on abschaf­fen, son­dern eine auf christ­li­chen Prin­zi­pi­en basie­ren­de Nati­on mit wei­ßen Män­nern an der Spit­ze errichten.

3. Ande­re (ame­ri­ka­ni­sche Urein­woh­ner, ver­sklav­te Afri­ka­ner und Ein­wan­de­rer) wür­den die­se Dar­stel­lung Ame­ri­kas als christ­li­che Nati­on akzep­tie­ren und sich ihr unter­ord­nen und ihre Füh­rung akzeptieren.

4. Ame­ri­ka hat einen beson­de­ren Platz nicht nur in der Welt­ge­schich­te, son­dern auch in der bibli­schen Schrift, ins­be­son­de­re in Bezug auf die Wie­der­kunft Christi.

5. Es gibt kei­ne Tren­nung zwi­schen Kir­che und Staat.

Die­ses Nar­ra­tiv wur­de im Lau­fe der Geschich­te unse­rer Nati­on auf ver­schie­de­ne Wei­se ver­wen­det, in Frie­dens­zei­ten, im Krieg, bei der Expan­si­on und bei inter­nen Kon­flik­ten.

Das Fol­gen­de ist eine Zusam­men­fas­sung die­ser Geschich­te und zeigt, wie der wei­ße christ­li­che Natio­na­lis­mus die Geschich­te unse­rer Nati­on beein­flusst hat und eine Rol­le in unse­rer gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on spielt.

Die Skla­ve­rei in Ame­ri­ka ermög­lich­te den wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus durch die Behaup­tung, dass ver­sklav­te Afri­ka­ner kei­ne Men­schen sei­en — zum Teil unter Beru­fung auf bibli­sche Recht­fer­ti­gun­gen, um dies zu unter­stüt­zen. Pas­to­ren und gewähl­te Ver­tre­ter der Skla­ven­hal­ter im Süden recht­fer­tig­ten die Skla­ve­rei, selbst wenn die Ver­sklav­ten das Chris­ten­tum annah­men. Abhand­lun­gen von Leu­ten wie Tho­mas Dew und James Hen­ry Thorn­well ver­tei­dig­ten die Skla­ve­rei und die wei­ße Vor­herr­schaft mit bibli­schen Argumenten.

Ihre Leh­ren beein­fluss­ten die Kon­fes­sio­nen; bald spal­te­ten sich Bap­tis­ten, Metho­dis­ten und Pres­by­te­ria­ner in der Fra­ge der Skla­ve­rei. Als der Süden den Krieg erklär­te, wur­den die Kon­fö­de­rier­ten Staa­ten von Ame­ri­ka als christ­li­che Nati­on gegrün­det, was in der Ver­fas­sung der Kon­fö­de­rier­ten ver­an­kert wurde:
“Wir, das Volk der Kon­fö­de­rier­ten Staa­ten, jeder Staat in sei­nem sou­ve­rä­nen und unab­hän­gi­gen Cha­rak­ter han­delnd, um eine dau­er­haf­te und föde­ra­le Regie­rung zu bil­den, Gerech­tig­keit zu schaf­fen, die inne­re Ruhe zu gewähr­leis­ten und den Segen der Frei­heit für uns und unse­re Nach­kom­men zu sichern — unter Beru­fung auf die Gunst und Füh­rung des all­mäch­ti­gen Got­tes — ver­ord­nen und errich­ten die­se Ver­fas­sung für die Kon­fö­de­rier­ten Staa­ten von Amerika.”

Der Schutz Got­tes und die Anru­fung von Got­tes Gunst und Füh­rung soll­ten eine Schlüs­sel­klau­sel die­ser Ver­fas­sung und spä­te­rer Appel­le an den christ­li­chen Natio­na­lis­mus sein. Nach dem Bür­ger­krieg und der Zer­stö­rung der Kon­fö­de­ra­ti­on mach­te die “Reli­gi­on der ver­lo­re­nen Sache” — wie der His­to­ri­ker Charles Rea­gan Wil­son sie nann­te — die Nie­der­la­ge der Kon­fö­de­ra­ti­on zu einer edlen Sache, die sich wei­ter­hin auf christ­li­che The­men, die Vor­herr­schaft der Wei­ßen und die Sakra­li­sie­rung ihrer Kriegs­to­ten kon­zen­trier­te. Sie schuf auch ein effek­ti­ves Nar­ra­tiv über die Moral und den Adel der wei­ßen Süd­staat­ler trotz ihres Auf­ruhrs gegen die Uni­on. Sie nutz­ten Denk­mä­ler, um ihre Sache zu unter­stüt­zen, und schu­fen phy­si­sche Monu­men­te, die spä­ter zu Sam­mel­punk­ten für moder­ne Kon­flik­te wur­den, wie etwa die Kund­ge­bung in Char­lot­tes­ville im August 2017.

Gewalt wur­de auch zu einem wirk­sa­men Mit­tel, um den wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus zu för­dern. Der KKK wur­de aus­drück­lich als eine Orga­ni­sa­ti­on gegrün­det, die den wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus buch­stäb­lich zum Aus­druck brach­te. Wei­ße Gewän­der, bren­nen­de Kreu­ze und Ritua­le ver­ban­den sich mit natio­na­lis­ti­schem Gedan­ken­gut und Bil­dern, um in ganz Ame­ri­ka Schre­ckens­sze­nen zu schaf­fen, wie sie am deut­lichs­ten auf dem Klan-Marsch von 1925 zuta­ge traten.

Wie die Auf­stän­di­schen tru­gen sie sowohl Kreu­ze als auch ame­ri­ka­ni­sche Flag­gen, um ihre Vor­herr­schaft zu demons­trie­ren. Von den 1870er Jah­ren bis zur Bür­ger­rechts­be­we­gung und dar­über hin­aus war der Klan ein unver­kenn­ba­res Sym­bol des wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus, sei es bei öffent­li­chen Auf­mär­schen oder bei pri­va­ten Schikanen.

Im 20. Jahr­hun­dert kam der wei­ße christ­li­che Natio­na­lis­mus auf ver­schie­de­ne Wei­se zum Aus­druck. Der Ame­ri­ka­nis­mus, die Über­zeu­gung, dass Ame­ri­ka die bes­te Nati­on ist, wur­de mit der Reli­gi­on ver­bun­den, um die kom­mu­nis­ti­sche Bedro­hung zu bekämp­fen. Der von vie­len reli­giö­sen Füh­rern wie Bil­ly Gra­ham und ande­ren ver­tre­te­ne Glau­be, dass Ame­ri­ka als christ­li­che Nati­on über den Kom­mu­nis­mus tri­um­phie­ren wür­de, war wichtig. 

Sie wur­de auch gegen die Bür­ger­rechts­be­we­gung ins Feld geführt, die von vie­len wei­ßen Ame­ri­ka­nern als ein Aus­wuchs der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung ange­se­hen wur­de. Die­se Kom­bi­na­ti­on aus Patrio­tis­mus, Ableh­nung des Kom­mu­nis­mus und Wider­stand gegen die Bür­ger­rechts­be­we­gung mani­fes­tier­te sich in vie­len Orga­ni­sa­tio­nen, die in den 1950er Jah­ren ent­stan­den, dar­un­ter der White Citi­zens’ Coun­cil und die John Birch Socie­ty. Im Gegen­satz zur Bru­ta­li­tät des KKK gaben die­se Orga­ni­sa­tio­nen dem wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus ein harm­lo­se­res, aber gefähr­li­ches Gesicht.

In den 1970er Jah­ren und dar­über hin­aus fand der wei­ße christ­li­che Natio­na­lis­mus an ver­schie­de­nen Orten in der ame­ri­ka­ni­schen Land­schaft ein Zuhau­se. Die Repu­bli­ka­ner appel­lier­ten an das wei­ße Chris­ten­tum und den Natio­na­lis­mus durch ihre Hal­tung gegen­über der Ein­wan­de­rung, durch Reden gegen die Kri­mi­na­li­tät und den Dro­gen­krieg. Der berühm­te Wil­lie-Hor­ton-Wer­be­spot (der 1988 von den Unter­stüt­zern von Geor­ge H.W. Bushs Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tur gezeigt wur­de) kom­bi­nier­te Ras­se und Poli­zei­ar­beit, um Angst, Recht und Ord­nung und Ras­sis­mus als wirk­sa­me Mit­tel ein­zu­set­zen, um wei­ße Wäh­ler zu den Urnen zu bringen.

Das 21. Jahr­hun­dert brach­te nach dem 11. Sep­tem­ber eine neue Wel­le des wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus. Die von den Anschlä­gen erschüt­ter­te Nati­on stig­ma­ti­sier­te Mus­li­me, Sikhs und ande­re, die auf­grund ihrer reli­giö­sen Über­zeu­gun­gen und ihrer angeb­li­chen Ver­bin­dung zu den gewalt­tä­ti­gen Ereig­nis­sen des 11. Sep­tem­ber 2001 als “anders” ange­se­hen wur­den. Dies wur­de auch durch die Kreuz­zugs­rhe­to­rik genährt, auf die sich Prä­si­dent Geor­ge W. Bush nach dem 11. Sep­tem­ber 2001 und im “Krieg gegen den Ter­ror” berief, um Ame­ri­kas Rol­le als christ­li­che Nati­on im Kampf gegen die Ungläu­bi­gen, die das Land ange­grif­fen hat­ten, zu stär­ken. Für vie­le kon­ser­va­ti­ve Chris­ten in Ame­ri­ka soll­te dies zu einem neu­en “Hei­li­gen Krieg” wer­den, der die Rand­ele­men­te des wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus in den Main­stream brin­gen würde.

Schließ­lich brach­te die Wahl von Prä­si­dent Barack Oba­ma, dem ers­ten afro­ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten der Nati­on, sowohl Rand­ele­men­te des wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus als auch den reli­giö­sen wei­ßen christ­li­chen Main­stream-Natio­na­lis­mus zum Vor­schein.

Der Bir­the­ris­mus (damals von Donald Trump tat­kräf­tig ange­heizt) wur­de zu einem Instru­ment, mit dem sei­ne ame­ri­ka­ni­sche Staats­bür­ger­schaft durch bös­ar­ti­ge Gerüch­te über sei­nen Namen und sein Chris­ten­tum in Fra­ge gestellt wur­de. Der Auf­stieg der Tea Par­ty im Jahr 2009, die als “wirt­schaft­li­che” Bewe­gung bezeich­net wur­de, war in Wirk­lich­keit auch eine Bewe­gung, die ihren Zweck in der Ras­sen­feind­lich­keit gegen den Prä­si­den­ten und in der För­de­rung von Ver­schwö­rungs­theo­rien und Bir­the­ris­mus fand. 

Es war ein vor­be­rei­te­tes Ter­rain für den Auf­stieg des wei­ßen christ­li­chen Natio­na­lis­mus, der am 16. Juni 2015, als Donald Trump sei­ne Kan­di­da­tur für das Amt des Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Staa­ten bekannt gab, defi­ni­tiv auf der Bild­flä­che erschien.

Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hei­ner Koech­lin / Simo­ne Weil / Gus­tav Mey­rink / Nar­ren­ge­schich­ten / Bede Grif­fiths / Graf Cagli­os­tro /Sali­na Rau­rica / Die Welt­wo­che und Donald Trump / Die Welt­wo­che und der Kli­ma­wan­del / Die Welt­wo­che und der lie­be Gott /Leben­di­ge Birs / Aus mei­ner Foto­kü­che / Die Schweiz in Euro­pa /Die Reichs­idee /Voge­sen Aus mei­ner Bücher­kis­te / Ralph Wal­do Emer­son / Fritz Brup­ba­cher  / A Basic Call to Con­scious­ness Leon­hard Ragaz / Chris­ten­tum und Gno­sis / Hel­ve­tia — quo vadis? / Aldous Hux­ley / Dle WW und die Katho­li­sche Kir­che / Trump Däm­me­rung

Mattiello am Mittwoch 24/26
Die Reichsidee 138

Deine Meinung