1853 gab Trox­ler — inzwis­chen 73 Jahre alt gewor­den — seine philosophis­che Lehrtätigkeit an der Uni­ver­sität Bern auf. Er hat­te nur noch wenige stu­den­tis­che Hör­er, und die Uni­ver­sität entliess ihn mit dem Min­i­mum  des geset­zlichen Ruhege­halts. Damit begann seine let­zte Leben­sphase, in der er zwar weit­er­hin mit diversen Schriften für seine Ideen auf religiösem, medi­zinis­chem und poli­tis­chem Gebi­et kämpfte, die aber auch geprägt war von Vere­in­samung und Ent­frem­dung in sein­er eige­nen Fam­i­lie. Er starb im März 1866 in seinem Heim in Aarau.

Mit dieser Folge endet mein klein­er Ver­such, dabei mitzuhelfen, eine ein­drück­liche und kämpferische Per­sön­lichkeit der Schweiz­er Geschichte dem Vergessen zu entreis­sen. Allerd­ings: Gut wozu? Kann sein Leben und Werk für unsere Gegen­wart noch Impulse setzen?

Dieser Frage möchte ich zum Abschluss anhand zweier The­menkreise nachgehen:

- 1850 pub­lizierte Trox­ler die Schrift “Der Athe­is­mus in der Poli­tik des Zeital­ters”. Darin wandte er sich scharf gegen die zeit­genös­sis­che philosophis­che und the­ol­o­gis­che Entwick­lung — z.B. bei Hegel und Feuer­bach -, welche “die Idee Gottes ver­liert oder entstellt”. Er kon­nte sich seine geliebte Eidgenossen­schaft ohne eine zutief­st im christlichen Glauben ver­ankerte Erziehung und Poli­tik nicht vorstellen. Das mag auch der Grund gewe­sen sein, warum er sich — für uns heute unver­ständlich — 1866 ablehnend äusserte, als es um die Frage der Nieder­las­sungs­frei­heit für Juden ging, obwohl er mit seinen vie­len jüdis­chen Bekan­ntschaften und Fre­und­schaften weit davon ent­fer­nt war, ein Anti­semit zu sein.

Heute ist das offizielle Kirchenchris­tum in der Schweiz im Kreb­s­gang. Basel ist sta­tis­tisch gese­hen die “unchristlich­ste Stadt” der Schweiz. Fest­ge­fügte the­ol­o­gis­che Dog­men und Mei­n­un­gen zer­bröck­eln. Seit den Ent­deck­un­gen von Nag Ham­ma­di 1945 ist defin­i­tiv klar, dass es in den ersten drei Jahrhun­derten eine bre­ite Palette von höchst unter­schiedlichen “Chris­ten­tümern” gab. Ein Artikel des Spiegel zur Gestalt der Maria Mag­dale­na macht das auf exem­plar­ische Weise deut­lich. Karl-Heinz Deschn­er zeigt in sein­er zehn­bändi­gen (!!) “Krim­i­nalgeschichte des Chris­ten­tums”, wie oft die Botschaft des Nazaren­ers in der viel­hun­dertjähri­gen Kirchengeschichte bis zur Unken­ntlichkeit verz­er­rt wurde.

Müssen wir also Trox­lers Überzeu­gung der Mot­tenkiste der Geschichte überlassen?

Ger­hard Wehr

Wal­ter Nigg

Das wäre ein kurzsichtiger Fehlschluss. Trox­lers Chris­ten­tum baute nicht auf the­ol­o­gis­chen Dog­men und kon­fes­sionellen Parteinah­men auf, son­dern auf ein­er tiefen inneren Erfahrung des lebendi­gen “Chris­tus in uns”, der mit kirch­lichen Dog­men nichts zu tun hat, — wie es im 16. Jhdt. z.B. Sebas­t­ian Franck oder Hans Denck vor­lebten (die übri­gens bei­de ihr Lebensende in Basel ver­bracht­en). Er fühlte sich jenen spir­ituellen Strö­mungen ver­bun­den, die Ger­hard Wehr oder Wal­ter Nigg auf meis­ter­hafte Weise skizziert haben. Es ist sich­er auch kein Zufall, dass Anthro­posophen die ersten waren, die dem Schöpfer des Begriffs “Anthro­poso­phie” — näm­lich Trox­ler — erneut die Ehre erwiesen.

Genau diese “mys­tis­chen Impulse” — ver­bun­den mit einem tatkräfti­gen Engage­ment für Men­schen­rechte, soziale Gerechtigkeit und  Tiefenökolo­gie** — täten auch der Schweiz von heute dur­chaus gut.
(** eine ein­drück­liche Ein­führung zu diesem Begriff bietet Thomas Berry in “Das Wilde und das Heilige”.)

- In sein­er berühmten Rede vor der Hel­vetis­chen Gesellschaft 1822 schilderte Trox­ler die alten Eidgenossen so:
“Aus ungetrübter Quelle floß das freie Leben selb­st. daseinslustig, in die Welt. Von kindlich from­mem Glauben an die all­wal­tende Got­theit gin­gen unsere Väter aus, mit kühn­stem Freisinn wider­strebten sie jed­er men­schlichen Anmaßung. mit heilig­stem Ern­ste bewahrten sie Gle­ich­heit in Ansprüchen und Recht­en unter sich, .…. Sie liefer­ten den lebendig­sten Beweis, daß Gottes­furcht, Ein­tra­cht, Gemeingeist, Frei­heitssinn, Treue, Tapfer­keit und Gerechtigkeit die Grund­la­gen sind, aus welchen Staat­en erblühen, und den Völk­ern Glück, Macht und Ruhm zuwächst.”

Wil­helm Tell Denkmal in Altdorf

Für ihn war — aus­ge­hend vom Geschichtswerk Johannes von Müllers —  die Befreiungssage mit Will­helm Tell, dem Rütlis­chwur und dem Bur­gen­bruch noch eine lebendi­ge Tat­sache. Heutige His­torik­er zeich­nen ein sehr viel nüchternes Bild, — so etwa Thomas Mais­sen in seinem span­nen­den und äusserst les­baren Buch “Schweiz­er Heldengeschicht­en — und was dahin­ter steckt”.

Trox­ler also ein geschichtlich­er Naivling? Auch hier wären vorschnelle Etiket­tierun­gen ver­fehlt. Spätestens seit den Erken­nt­nis­sen Joseph Camp­bells täten wir gut daran, die Kraft der Mythen nicht zu unter­schätzen. Dafür ist ger­ade der Mythos von Wil­helm Tell ein her­aus­ra­gen­des Beispiel. Ihm fol­gen wir deshalb in der näch­sten “biographis­chen” Rei­he. Es ist erstaunlich zu sehen, wie lebendig “der Tell” über die Jahrhun­derte hin­weg geblieben ist und wo über­all auf der weit­en Welt er aktiv war und bleibt :-).

Trox­ler sel­ber schöpfte aus dem Bild der gottes­fürchti­gen, der Frei­heit radikal verpflichteten Eidgenossen die Kraft, uner­schrock­en und genau­so radikal für eine geeinte, wahrhaft demokratis­che Schweiz zu kämpfen, — und nota bene: Friedrich Schiller hat das eben­falls sehr wohl verstanden …

Es bleibt mir am Schluss zu danken:
Emil Spiess und Daniel Fur­rer für ihre umfan­gre­ichen Biografien Trox­lers, die mir erlaubt haben, dessen Leben hier im birsfälder.li wenig­stens in groben Strichen zu erzählen.
Adolf Rohr für die wertvolle Samm­lung von Trox­lers poli­tis­chen Reden und Schriften.
— dem Trox­ler-Vere­in, der auf sein­er Web­seite, den TETRAK­TYS-Rund­briefen und ein­er begin­nen­den Schriften­rei­he das Erbe Trox­lers lebendig erhält.

In den näch­sten bei­den Kolum­nen, — wie gewohnt jew­eils am Sam­stag -, wollen wir uns zunächst ein paar Gedanken zum The­ma “Mythos des Helden” machen, bevor wir uns schliesslich Wil­helm, dem Tellen und seinen Aben­teuern rund um die Welt zuwenden.

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