Henry Druey, Waadtländer Politiker und Philosoph, Freund von Troxler und 1848 einer der ersten Bundesräte, charakterisierte Troxler 1839 folgendermassen:
„Als wirklich überlegener Geist, der die schweizerische Nationalität und Demokratie in ihrem Wesen erfasst hat, stellt Troxler die Dinge über die Menschen und die Prinzipien über die Augenblicksinteressen. Er will die Freiheit und deren Gewährleistung für alle, nicht bloss für eine Partei.
So ist er nicht immer verstanden worden, und man hat ihn von verschiedenen Seiten auf vielfache Weise angegriffen. Weil nach ihm Philosophie nicht im Unglauben und Religion in Nichterkenntnis bestehen sollte, wurde er des Rationalismus verdächtigt. Als er sich gegen die Badener Artikel erhob, weil er auch in der Kirche die Wahrung der Rechte des Volkes sowohl gegen die Regierung wie auch gegen den Klerus forderte, wurde er als Ultramontaner wie auch als Demagoge abgeschätzt.
Als er betonte, dass die Revolution von 1830 in mehreren regenerierten Kantonen zugunsten einer neuen Aristokratie, die sich als liberal ausgab, unterdrückt wurde, hat man Skandal geschrieen und ihn von der Seite angeklagt, dass er mit der Reaktion gemeinsame Sache mache und von der andern Seite ihn beschuldigt, dass er den revolutionären Geist fördere.
Es ist selbstverständlich, dass er auch heute für das Volk das Recht fordert, seine Regierung zu entlassen, wie das anno 1830 der Fall war; er ist ein hyperdemokratischer oder hyperradikaler Träumer, das will heissen – denn man muss die Worte neuer Prägung gut erklären, ein transzendentaler Demokrat. Wie man sieht, bedeutet das noch mehr als ein Ultraradikaler.“
Das war zweifellos eine scharfsinnige Analyse der Position Troxlers, der im sich immer stärker anbahnenden politischen und religiösen Konflikt buchstäblich zwischen Stuhl und Bank sass. Aber nichts umschreibt wohl sein Wesen besser als der von Druey geprägte Begriff des “transzendentalen Demokraten”!
Was könnte damit gemeint sein?
Einen ersten Einblick in sein Menschenbild haben wir in Troxler 8 erhalten: die Tetraktys als Symbol für die Ganzheit des Menschen, die letztlich im Urgrund allen Seins, dem Ein Soph der Qabbalah, verankert ist. Doch die Menschen haben sich von diesem Urgrund entfremdet und abgekoppelt. Ziel aller wahren Philosophie ist es, mittels der Christuskraft erneut den Zugang zu diesem Urgrund zu ermöglichen.
Troxler war zwar Katholik, aber es wäre falsch, den Begriff “Christus” in einem kirchlich-dogmatischen Sinn zu verstehen. Für Troxler war “Christus” ein Synonym für die heilige Lebenskraft, die er in sich erfuhr, und die ihn immer wieder von neuem antrieb, für eine gerechte Gesellschaft und einen wahrhaft demokratischen Staat zu kämpfen. Man hat ihn damals deswegen als “Mystiker” beschimpft, — wie wenn der Begriff “Mystik” mit einem negativen Tabu belegt wäre …
In seiner Antrittsrede an der Universität Basel hatte Troxler seine Erkenntnisse zur “conditio humana” zusammengefasst. Hier einige seiner Gedanken aus der ausgezeichneten Analyse von Willi Aeppli:
— Man muss unterscheiden zwischen der Weltweisheit und der Weisheit des Geistes. Die Weltweisheit ist die gewöhnliche Philosophie und lediglich die Folge der Abschnürung des menschlichen Bewusstseins vom Urgrund aller Dinge. Religion und Philosophie als Weltweisheit sind Kinder dieses entzweiten Bewusstseins und zu feindlichen Brüdern geworden, die glauben sich bekämpfen zu müssen.
— Wer nicht mit dem tiefen Lebensquell, “dem Christus in uns”, verbunden ist, vernichtet sein Selbst entweder durch eine missverstandene Selbstverleugnung oder durch eine anmassende Selbstverherrlichung (Darüber könnten Psychologen und Psychiater ein Liedchen singen …)
— Eine Philosphie, die ihr System allein mit dem reflektierenden Verstand aufbaut, wird das wahre Wesen allen Seins nie erfassen können. Troxler: “Dies ist nur möglich und wirklich in dem höheren und inneren Bewusstsein, in der alle Geistes- und Seelenkräfte in sich umfassenden, und auch das Herz und ganze Gefühlssystem nicht von sich ausschliessenden, innersten Tiefe des menschlichen Gemüts”, — womit wir wieder bei der Tetraktys wären.
— “Gemüt” ist die höhere Einheit zweier sonst getrennter Seelenkräfte, nämlich die Kräfte des Verstandes und des Herzens. Dieser “Gottessinn” entsteht dann im Menschen, wenn die Kräfte des Herzens hinaufströmen in den Kopf. Er ist höchstes Erkenntnisorgan und verschafft ein Weltbild, vor dem alle philosophischen Systeme zerstäuben.
Als Troxler 1837 die “Theologia deutsch” — ein mystisches Traktat aus dem 14. Jhdt — neu herausgab und wenig später ganz im Sinne der Mystik die Menschen aufforderte, sich auf ihre eigenen geistigen Kräfte zu besinnen, die sie “zum Priester ihrer selbst” weihen könnten, stiess er sowohl bei bei seinen radikalen Mitstreitern als auch bei dogmatischen Kirchenchristen nur noch auf blankes Unverständnis. Rudolf Aeppli: “Troxler selbst gewahrt jetzt, dass er mit seinem Erleben allein dasteht, ein einsamer Rufer in der Wüste des “Materialismus”, ein Verfehmter im Gehege der Konfessionen.”
- Ob er heute wohl wieder besser verstanden wird …!?
Damals konnte er nur ohnmächtig zusehen, wie sich die Kluft zwischen den radikalen, liberalen und konservativen Gruppierungen — von “Parteien” konnte man noch nicht sprechen — hin zu der Konfrontation entwickelte, die sich schliesslich in einem neuen Bürgerkrieg entlud: dem Sonderbundskrieg im Jahre 1847!
Dazu mehr in der nächsten Folge !
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