Im November 1831 kehrte Troxler mit seiner Familie nach Aarau zurück, wo er schon früher ein Haus gekauft hatte. Frustriert schrieb er nach dem Basler Drama: „So tief und vielseitig verwundet blutet mein Herz noch und hofft und fürchtet nichts mehr.”
Doch schon zeigte sich der alte, kampfbereite Geist: “Indessen … habe mich entschlossen, meine Zeit und meine Kraft ganz dem Vaterland zu widmen so lang ich kann, ohne mich ganz zu Grunde zu richten. Wird’s dann nicht besser, so ist mein Entschluss fest gefasst – ich ziehe mit den Meinen nach Amerika!“
Das wurde zum Glück nicht nötig, denn wenige Tage später erfuhr er völlig überrascht von seiner Wahl in den Aargauer Grossen Rat! Damit tat sich ihm ein neues Wirkungsfeld auf. Allerdings musste er sehr bald erkennen, dass es eines war, mit Schriften und Zeitungsartikeln für seine Ideen zu kämpfen, und ein anderes, sich in einem solchen Gremium damit auch durchzusetzen …
Das lag sicher einesteils daran, dass seine politischen Ansichten als zu radikal empfunden wurden, aber auch daran, dass er bei seinen Voten oft über die Köpfe der schweigenden Ratsmehrheit hinweg sprach. So unterlag er gleich zu Beginn seiner Grossratskarriere beim Kampf um die Pressefreiheit, worauf sich einer seiner Gegner mokierte: “Troxler ist kaum zu befürchten, … und debütierte so transzendental und unbedeutend wie möglich.”
Ähnlich erging es ihm bei der “Polenfrage” und beim von ihm inspirierten Schulgesetzentwurf:
- Als 1833 nach dem gescheiterten Kampf um eine unabhängiges Polen 400 polnische Kämpfer bewaffnet über die Schweizer Grenze gelangten und im Berner Jura interniert wurde, forderte er, dass die Flüchtlinge auf die Kantone verteilt würden, die bereit wären, ihnen für eine gewisse Zeit Asyl zu bieten. Der Kleine Rat hingegen wollte sich mit einem finanziellen Beitrag an Bern die leidige Flüchtlingsfrage vom Hals halten, — und setzte sich im Grossen Rat problemlos durch.
- Ein fortschrittliches Schulgesetz für den Kanton Aargau lag ihm besonders am Herz, und er begründete es vor dem Grossen Rat mit bis heute gültigen Worten:
„Nicht die Veränderung der Staatsformen ist es, sondern die Erziehung der Menschen und Bürger, was sie weiser und besser, gerechter und glücklicher macht. Revolutionen rechtfertigen sich am Ende nur dadurch, dass sie Hindernisse wegräumen, welche die freie Entwicklung und Bildung der menschlichen Kräfte und der bürgerlichen Wirksamkeit erschweren oder gar unmöglich machen. Das Schlechte und Böse wegzuschaffen, dazu sind Revolutionen, wenn es nicht anders geht; das Gute und Beste aber, was der Mensch und Bürger fordern darf, kann keine Revolution geben, nur mögliche machen; es erringen kann aber nur eignes freies Streben und Wirken, und dies zu lehren, dahin zu führen, ist die Schule, ist der Unterricht, ist die Erziehung, ist die Bildung da.“
Doch auch hier folgte die Enttäuschung auf dem Fuss. Nach einem langwierigen Hin- und Her im Grossen Rat und einer öffentlichen Vernehmlassung wurde das neue Gesetz so verwässert, dass Troxler ein eigenes Konzept ausarbeitete. Es wurde dann aber im September 1834 im Grossen Rat so zerzaust, dass er zwei Tage später zutiefst frustriert sein Mandat als Grossrat niederlegte.
Ein weiterer wichtiger Grund für seine Misserfolge war, dass er sich inzwischen auch mit seinen radikalen** Mitstreitern nicht mehr so gut verstand.
Auslöser dafür war die Frage der Beziehung zwischen Staat und Kirche. Im Januar 1834 beschlossen die liberalen und mehrheitlich reformierten Kantone in den sog. Badener Artikeln, dass die römisch-katholische Kirche weitgehend unter staatliche Aufsicht gestellt werden sollte. Priester, die sich den Artikeln widersetzten und keinen Treueschwur auf die Regierung leisteten, wurden inhaftiert, erhielten hohe Geldbussen oder wurden ihres Amtes enthoben. Das führte natürlich zu einem Aufschrei der konservativen, mehrheitlich römisch-katholischen Orte.
Troxler hatte, wie wir sahen, sich als Katholik in Luzern scharf gegen die Dominanz der Kirche insbesondere in Erziehungsfragen gewendet und deswegen vor allem den Jesuitenorden scharf angegriffen. Doch jetzt wandte er sich zur Konsternierung seiner radikalen Mitstreiter gegen die Artikel, und einer meinte: “Nun bekämpft er dieselben Grundsätze, die er damals so angepriesen hatte. Wo liegt der Schlüssel zu dem Rätsel? Was will daraus werden?”
Der Schlüssel zum Rätsel liegt in diesem Kommentar Troxlers: „Ich … werde stimmen, wie ich denke, wenn auch wieder gesagt werden sollte: dieser Radikale stimmt mit den Pfaffen. Ich habe keinen Richter über mein Gewissen, als Gott den Allmächtigen.“ Er spürte offensichtlich, dass mit den Artikeln das fragile Gleichgewicht zwischen staatlicher und kirchlicher Gewalt ins Wanken geriet. Und er sollte damit recht behalten: Vom wenige Jahre später erfolgten Aargauer Klosterstreit führte bekanntlich eine direkte Linie zum Sonderbundskrieg …
Die Badener Artikel wurden übrigens nach ihrer Verurteilung durch Papst Gregor XVI., nach Aufständen im Berner Jura und nach massivem ausländischen Druck 1836 wieder aufgehoben.
Auf das Thema, das Troxler in diesen Jahren am meisten beschäftigte, sind wir allerdings noch gar nicht eingegangen: Sein Kampf um die Regenerierung des eidgenössischen Staatenbundes hin zu einem solideren Staatsgebilde, das auf dem Fundament einer echten und umfassenden Volkssouveränität aufbauen würde.
Der Konflikt zwischen Basel-Stadt und Baselland war nur die Spitze eines Eisberges von unüberbrückbar scheinenden Divergenzen gewesen: Die konservativen Orte Uri, Schwyz, Unterwalden, Neuenburg und Basel-Stadt beschlossen nämlich im November 1832, sich als “Sarnerbund” künftig gesondert in Schwyz zu treffen. Bürgerkriegsstimmung lag in der Luft, erneut drohte das Eingreifen ausländischer Mächte.
Der Bundesvertrag von 1815, den die Mächte des Wiener Kongresses diktiert hatten, war durch die politischen Entwicklungen veraltet. Eine Bundesreform drängte sich auf.
Damit begann erneut das dramatische Ringen zwischen konservativen, liberalen und inzwischen auch radikalen** Kräften um die Zukunft der Schweiz, — und an vorderster Front dabei natürlich Ignaz Paul Vital Troxler! Dazu mehr in der nächsten Folge!
** Zu Beginn der 1830er Jahre machte sich in den Reihen der Liberalen eine schärfere, doktrinäre Richtung bemerkbar: der Radikalismus. Der Begriff Radikalismus leitet sich aus dem lateinischen „radix“, die Wurzel, ab. Der Radikalismus weist damit auf seine Zielsetzung hin, nämlich die überkommene Ordnung vollständig, an den Wurzeln, zu ändern. Eine seiner Prioritäten war die Unterordnung der Kirchen in Bezug auf den Staat.
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