Im Mai 1830 war Troxler mit seiner Familie nach Basel gezogen, denn ihm war die Ehre zuteil geworden, an der Universität Basel den Lehrstuhl für Philosophie zu besetzen. Begeisterte Studenten bereiteten ihm in Rheinfelden einen grossen Empfang. Doch schon ein Jahr später, im August 1831, war er — inzwischen sogar Rektor der Universität — erneut auf der Flucht:
„Ich sah selbst den Pöbel furchtbar gereizt, nahm all’ die Zeichen einer mehr als je drohenden Gefahr wahr […]. Menschen stürmten, Pferde und Wagen wurden durch die Strasse getrieben; die Tore wurden besetzt, das Militär sammelte sich – es war zwei Uhr nachmittags [am 20. August 1831], da ging ich unglücklich und glücklich durch das Riechenertor aus der Stadt Basel und über die Schweizergrenze nach Grenzach, von da in meine Heimat.“
Was war geschehen? Basel galt ja in jenen Jahren durchaus als liberal. An der Uni hatten eine ganze Reihe deutscher Professoren, die den restaurativen Mächten als Aufrührer galten, eine Anstellung gefunden. Die Universität erschien deshalb in den Augen der konservativen Mächte sogar als revolutionäre Hochburg, und der preussische König verbot seinen Untertanen, in Basel zu studieren.
Um zu verstehen, was zum abrupten Ende der Karriere Troxlers in Basel führte, müssen wir etwas weiter ausholen und einen Blick auf die politischen Geschehnisse in Europa und in Basel werfen.
1830! Das Jahr, in dem die “Hydra der Revolution” in Europa erneut ihr Haupt erhob, — zuerst in Frankreich in der sog. Julirevolution, in der sich Bürgertum und Arbeiter gegen die absolut reaktionäre Politik des Bourbonen Karl X. erhoben und ihn zur Abdankung zwangen. Eugène Delacroix hat die Stimmung damals in diesem berühmt gewordenen Bild eingefangen. (Nebenbei: 300 Schweizer Söldner verloren in den Kämpfen ihr Leben, — auf seiten Karl X., und das war das Ende des Solddiensts in Frankreich). Mit dem Amtsantritt von Louis-Philippe wandelte sich Frankreich in eine konstitutionelle Monarchie.
Während weitere Aufstände — vor allem in Deutschland — nicht von Erfolg gekrönt waren, hatte die Julirevolution in der Eidgenossenschaft durchaus Folgen. In Luzern z.B. kam es nach massivem Druck der Bevölkerung zur Wahl eines Verfassungsrats, der den Weg — mit intensiver publizistischer Unterstützung von Seiten Troxlers — für eine liberale Verfassung frei machte.
Aber nicht nur in Luzern, auch im Baselbiet schritt man tatkräftig zu einer Umgestaltung der Beziehung zwischen Stadt und Land: Im November 1830 verlangten die Vertreter der Landschaft in Bad Bubendorf ebenfalls die Bildung eines Verfassungsrats und drohten, im Notfall militärisch gegen die Stadt vorzugehen. Als dies im Aargau mit dem Freiämtersturm im Dezember dann tatsächlich geschah, zog man in Basel die Konsequenzen und erarbeitete in Windeseile eine neue Verfassung, in der dem Land im Grossen Rat mit 79 gegen 75 eine leichte Überzahl an Sitzen zugestanden wurde.
Doch das reichte den Baselbietern nicht mehr: Eine Volksversammlung in Liestal verlangte eine Sitzverteilung nach Köpfen (5/7 der Sitze) und die Bildung eines wie in Luzern vom Volk gewählten Verfassungsrats. Ein neuer Handstreich gegen die Stadt wurde geplant und ein provisorische Regierungskommission unter der Leitung von Stephan Gutzwiller aus Therwil gebildet. Die Landmiliz wurde aufgestellt, doch die städtische Miliz war schneller, stiess nach Liestal vor und zerstreute die bewaffneten Landschäftler. Die provisorische Regierungkommission floh nach Aarau.
Schliesslich kam es im Februar 1831 zu einem Kompromiss mit der von der Stadt vorgeschlagenen Sitzverteilung, dem die Stadt einstimmig und die Landschaft immerhin mit einer Zweidrittels-Mehrheit zustimmte. Damit hätte die Geschichte der Basler Unruhen friedlich enden können, wenn — ja wenn …
Die Basler Regierung hatte nämlich nach dem Aufstand der Landschaft zwar eine allgemeine Amnestie verkündet, 30 “Rädelsführer” davon aber ausgenommen. Das war im Nachhinein gesehen ein grosser Fehler, denn diese Rädelsführer gaben nun nicht klein bei, sondern schürten erneut Unruhen, was wieder zu militärischen Intervention seitens der Stadt und schliesslich sogar zur Besetzung der Landschaft durch eidgenössische Truppen führte. Das half allerdings nicht viel. Das Chaos wurde noch grösser, weil ein Teil der Gemeinden sich von Basel trennen, ein anderer hingegen bleiben wollte (z.B. Gemeinden im Reigoldswiler- und Homburgertal, denen Basel militärischen Schutz versprach.)
Wer sich etwas detaillierter mit diesem doch ziemlich dramatischen Trennungsprozess auseinandersetzen möchte, findet hier und hier gute Übersichten.
Die inzwischen heillos zerrüttete Beziehung zwischen Stadt und Land endete schliesslich im August 1833 mit einer definitiven militärischen Auseinandersetzung im Gefecht bei der Hülftenschanz in der Nähe von Pratteln, als die Basler den vermeintlich bedrohten stadttreuen Gemeinden zu Hilfe kommen wollten. Die Landschäftler siegten. Daraufhin mussten Tagsatzungstruppen erneut eingreifen, und die Tagsatzung beschloss die definitive Trennung von Stadt und Land.
Wer eine spannend erzählte Geschichte zum Hülftenschanz-Gefecht lesen möchte, findet sie hier: Huelftenschanz 1833
Wie Troxler nun schon bald nach seinem Antritt an der Universität in diese Wirren hineingezogen wurde, die ihm, wenn nicht den Kopf, so doch den Kragen kosteten, wird uns in der folgenden Episode beschäftigen.
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson
Elisabeth Hischier
Nov 2, 2019
Lieber Max
Diese kurze Zusammenfassung der der Geschehnisse dieser revolutionären Zeit hast du spannend, gekonnt und humvorvoll beschrieben! Danke.
Bin gespannt auf die nächste Geschichte.