Schon Ende Februar verliess Troxler Wien in Richtung Potsdam, weil sein Schwiegervater erkrankt war. Die vorgerückte Schwangerschaft seiner Frau liess eine Weiterreise zurück in die Heimat erst nach acht Monaten zu, allerdings nur unter der Vorsichtsmassnahme in Form eines offiziellen preussischen Schutzbriefes: Ein nichts ahnender Kutscher namens Ignaz Troxler war kurz vorher beim Übertritt der Schweizer Grenze verhaftet worden …
Nach einem kurzen Aufenthalt in Aarau, wo er eine lebenslange Freundschaft mit Heinrich Zschokke, einem eingebürgerten Deutschen und liberalen Mitstreiter, schloss — von ihm stammt übrigens der Ausdruck „Hansdampf in allen Gassen“ -, kehrte er nach Beromünster zurück, um erneut als Arzt zu arbeiten.
Dort nahm er auch gleich wieder den Kampf für eine verbesserte ärztliche Versorgung auf. Er forderte, dass im Kanton Luzern nur noch akademisch ausgebildete Ärzte zugelassen werden sollten. Mit Hilfe befreundeter Berufskollegen kam es 1819 tatsächlich zu einer grundlegenden Reform des Medizinalwesens, in der die Zulassung zum Arztberuf an ein Universitätsstudium geknüpft wurde.
Neben seiner gut laufenden Arztpraxis veröffentlichte er eine ganze Reihe von medizinischen Fachartikeln und wurde zum bahnbrechenden Erforscher des Kretinismus, eine in den Alpenregionen weit verbreitete Schilddrüsenkrankheit. Ein Artikel über die Fähigkeit, unterirdische Erze und Mineralien in tranceartigem Zustand lokalisieren zu können, zeigt sein Interesse an aussergewöhnlichen Bewusstseinszuständen des Menschen.
Doch damit nicht genug: Auch auf politischer Ebene nahm er seinen Kampf um mehr Freiheit wieder auf, und das umfasste auch die Kirchenpolitik. Eine kleine Liebesgeschichte zwischen einem Lehrer und der Insassin eines nahen Klosters, welche das gestrenge kirchliche Auge auf sich gezogen hatte, bewog Troxler zu scharfen Angriffen auf den involvierten Generalvikar (Inquisition!!), und auf den Jesuitenorden, der für ihn zum Symbol einer rückständigen und bornierten Geisteshaltung wurde.
An erster Stelle stand aber immer noch der Kampf um eine sinnvolle neue politische Ordnung.
In Aarau hatte er geschrieben:
«Die Schweiz hat aber ihren Ruhepunkt noch nicht gefunden. so ruhig nun alles aussieht. Sie hat eine ganz falsche Base, das fühlt das Volk allgemein. Nur äussere Macht und innere List hält das lokkere gemeine Wesen zusammen. Manches Unrecht, manches Gebrechen und viel Unheil blüht ietz erst auf und kömmt an Tag — und das Volk erkennt nun aus den Früchten den Baum, den uns fremde Gärtner gepflanzt. Ich glaube nicht, daß er lange grünen wird. … Unser grösstes Übel ist, daß man nicht vom Geiste allein Heil erwartet und sich aller Art andere Bundesgenossen und Schutzgötter sucht.“ (gerade der letzte Satz wird erst verständlich, wenn man Troxlers philosophische Weltanschauung kennt — siehe Troxler 8!)
Dieser Text erschien übrigens in der Zeitschrift „Schweizerisches Museum“, deren Mitbegründer er war. Es folgten weitere Aufsätze über das Wesen der Volksvertretung, die Pressefreiheit un den Begriff des Repräsentativsystems. Dass dabei immer noch mit staatlicher Repression zu rechnen war, zeigt folgende Stelle aus einem Briefwechsel: „Auch wird man mich aus Manchem erkennen — aber ich fürchte nichts. Nur musst du recht sehr ernstlich dafür sorgen, dass Niemand das Manuskript sieht, und mir den Gefallen thun, sobald es gedruckt ist, dasselbe zurück zu ziehen, und mit diesem Brief zu verbrennen. Verbrennt werden müssen solche Schriften, wenn die Verfasser mit heiler Haut davon kommen sollen.“
Einer seiner Aphorismen lautet: „Die Staatsgewalt ist ein zweifelhaft Ding. Sie soll ein Mittel sein, sich wider die Ungerechtigkeit des Stärkeren zu verwahren, und meistens war sie ein Werkzeug, den Schwächeren zu unterdrücken.“
Diese Einsicht war der Motor, der ihn unermüdlich antrieb, für eine freiheitliche und gerechte politische Ordnung zu kämpfen.
Die vier Jahre, die von einer unglaublichen Schaffenskraft Troxlers zeugen, waren allerdings auch überschattet von familiären Tragödien: Er verlor durch Krankheit vier seiner Kinder.
Wie tief ihn und seine Frau diese Schicksalsschläge trafen, mögen zwei Briefauszüge zeigen. Beim Tod seines ältesten Sohnes schrieb er: „Ich leide an einem Schmerz, unter dem mein Herz zu brechen droht. Mein köstlichstes, mein bestes und liebstes hab ich für dies Leben verloren. Über alle Begriffe herrlich hatte sich mein Erstgeborner und Einziger körperlich und geistig entfaltet, und auf einmal und immer entreisst mir der Tod meine Freude, meine Hoffnung, meinen Stolz – zerschmettert mich, wie ein Blitz vom heitern Himmel! … Über vierzehn Tage und Nächte rang ich – einsam stehend, doch mit Zuzug von andern Ärzten, die mir aber wenig leisten konnten, als Arzt mit dem übermächtigen Tode um das Leben meines teuersten Kindes …Mein Schmerz, geteilt durch meine Minna – die gefühlvollste Mutter, wirklich auch hoch mit neuem Segen gehend – wird doppelt. Mein Leben ist ein Gewebe von Unglück …“
Als auch wenig später seine älteste Tochter Heinrike infolge einer Infektion starb, kannte seine Verzweiflung keine Grenzen mehr: „Denken Sie sich meine und meiner armen guten Minna, die in dem sehr entwickelten 8 Jahre alten Mädchen eine Vertraute und Freundin verliert, herzbrechende Lage. O mein lieber Balthasar, welch ein Verhängnis verfolgt uns! – Wir waren die glücklichsten Eltern, hatten die herrlichsten Kinder, und nun schon zwei Knaben und zwei Mädchen verloren. Unser Herz zittert und bebt bei jeder häuslichen Freude, um deren willen wir die Welt und all unsere Ansprüche auf sie geopfert haben. Ich besonders hasse nun wahrhaftig die heillose Heilkunst, die mich das Teuerste nicht retten lässt. Wenn ja, so bin ich jetzt entschlossen, der praktischen Medizin, die mich in glücklicher Behandlung anderer nur mein eigen Unglück tiefer und zermalmender fühlen lässt, zu entsagen. …“
Sein Freund Zschokke, der ebenfalls einen Sohn verloren hatte, tröstete ihn: „Du musst Dein innres Gleichgewicht wieder finden, (den Geist mit Gott im Vaterhaus, dem Weltall, alleinherrlich, erhaben über alles was vom Staub kömmt.) Vital und Guido leben noch mit uns, wie auch alle die noch leben, die wir gestorben nennen. Wir haben keine Ewigkeit zu erwarten, wir sind schon mitten in ihr.“
Troxlers Wunsch, dem Arztberuf zu entsagen und sich ein neues Betätigungsfeld zu suchen, wurde erfüllt, als er eine Berufung als Lehrer der Philosophie in Luzern erhielt. Doch Moment mal -, wie war das möglich: ausgerechnet der Revoluzzer Troxler als Philosophieprofessor im reaktionären Luzern?
Des Rätsels Lösung und die Geschichte, wie diese Berufung schon nach zwei Jahren zum nächsten Drama in Troxlers Leben führte, das einen Widerhall in ganz Europa fand, in der nächsten Folge.
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