Mit der Absage der gestrigen Gemeindeversammlung 2020 – auch wieder Corona-bedingt – hätte man meinen können, dass erst nach der Sommerpause der politische Zirkus wieder in Birsfelden gastieren wird. Davon sind wohl auch die Parteien ausgegangen, die sich offenbar im stillen Kämmerlein schon länger darauf geeinigt hatten, dass der nächste Urnengang still verlaufen soll.
Da die SP derzeit nicht auf das Gemeindepräsidium schielt und auch der Hafenvertreter die Krone, die neben Ruhm leider auch einiges an Arbeit bedeuten würde, nicht haben will, hält sich die Überraschung über die stille Wahl des Gemeindepräsidenten beim politisch interessierten Birsfelder in Grenzen. Die stille Wahl von Christof Hiltmann wurde mittlerweile schon erwahrt.
Beim Schulrat wäre aufgrund des Moduswechsels von Proporz zu Majorz die stille Wahl ebenfalls möglich gewesen. Spätestens seit das Wahlcouvert im Briefkasten gelegen hat, wissen wir aber, dass es hier am 28. Juni zum Urnengang kommt. Ganze sechs Linien dürfen mit Namen befüllt werden, um das Gremium neu zu bestücken. Doch wer kandidiert überhaupt? Im Wahlcouvert finden wir keinen Hinweis und wählbar wäre theoretisch jede/r Stimmbürger*in.
Von der jetzigen Besetzung (Barbara Ortega Barbara (Präsidentin), Lukas von Däniken (Vizepräsident), Denise Bucher Leuthard, Nicole Hatz, Thomas Lüthi und Mirjam Hirschi) kandidieren nur die blau eingefärbten wieder. Platz also für mindestens zwei Neue.
Die SP schlägt zusätzlich zu Denise Bucher Leuthard und Thomas Lüthi den Ex-Hardstrasse-Spitzenbeamten Samir Stroh vor. Offiziell als Parteilosen. Von den Sozialdemokraten haben wir eine Medienmitteilung bekommen und hier wird mit etwas Aufwand für die Kandidierenden geworben. Man möchte die drei Sitze verteidigen.
Die FDP schickt ihre bisherige Nicole Hatz alleine in den Wahlkampf und unterstützt den Lokal-Anzeiger mit grossformatigen Inseraten. Die Partei hätte es lieber ruhiger (und günstiger) gehabt, da sie auf stille Wahlen gehofft hatten. Darf man sicher. Sich nachher aber öffentlich zu empören, dass leider mehr Personen kandidieren, als Sitze zu vergeben sind, ist einer demokratischen Partei unwürdig. Der Wahlkampfleiter wäre hier auszutauschen. Insbesondere auch, weil man sich bei der Gemeinderatswahl mit den beiden Sprengkandidaten noch gebrüstet hat, im Februar dieses Jahres stille Wahlen verhindert zu haben.
Die CVP hofft auf das Bisher, denn bisher ist keine Werbung und ein ganzer Leserbrief für Lukas von Däniken aufgetaucht. Eine Webseite, wo man allenfalls bei Interesse noch selber nachschlagen könnte, wer das denn ist, gibt es nicht (wobei auch andere Birsfelder Parteien im Netz unsichtbar oder unaktuell sind).
Die EVP kandidiert neu mit Sabrina Maag. Wir kennen Sie nur aus blumigen Leserbriefen, die natürlich andere über sie geschrieben haben. Ob das bei einer Neukandidatur genügt?
Die wählerstärkst Partei der Schweiz hat keine geeigneten Leute und eine grüne Welle wird es auch nicht geben. Dafür kandidiert ein Parteiunabhängiger. Es ist der Sprengkandidat, der eben nicht von der FDP kommt und die stillen Wahlen verhindert hat: Luca La Rocca ist der Nutzniesser der Gasser’schen FDP-Entgleisung, denn eigentlich ist seine Kandidatur nur deshalb überhaupt etwas bekannt. Uns zumindest.
Dass für diesen Urnengang die Geisterbahn nicht bestückt wurde, ist halb so schlimm. Aber man muss fast Abonnent der Lokalzeitung sein, um überhaupt eine Ahnung zu haben, wer ins Gremium will. Da man sich zuerst wieder an demokratische Prozesse gewöhnen muss, die Parteien einen unsichtbaren Wahlkampf führen und der Wahltermin am Bündeli-Wochenende recht unpopulär plaziert wurde, wagen wir folgende Prognose: Weniger als 20% Wahlbeteiligung und viele leere Zeilen. Das Resultat wird schnell ausgezählt sein. Und das Rennen machen die Bisherigen, der parteilose SP-Kandidat und der ganz Unabhängige.
Christoph Meury
Jun 16, 2020
Die Analyse von Florian Dettwiler könnte man auch in der Feststellung zusammenfassen, dass das Parteiensystem in Birsfelden offensichtlich im Leerlauf dreht. Die Parteien sind zu reinen Wahlempfehlungsgremien mutiert. Die Granden und intellektuellen Speerspitzen der Partei verkommen zu LeserbriefschreiberInnen, welche mit luftigen Empfehlungen ihre KandidatInnen lobpreisen.
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Die Schulratswahl als langweiliges parteipolitisches Pflichterfüllungsprogramm. Mit der prognostizierten Wahlbeteiligung von weniger als 20% wird diese Wahl zur Luftnummer. Dies auch, wenn man bedenkt, dass bei Wahlen sowieso fast ein Drittel der Bevölkerung ausgeschlossen sind. Die 3’262 Birsfelder EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund und ohne Schweizerpass können sich weiterhin zu Schulfragen nicht äusseren. Auch im Schulrat bildet sich diese Diskrepanz ab. Ein Drittel der Birsfelder Bevölkerung wird in diesem Gremium nicht repräsentiert. Damit ist die Legitimation des Schulrates grundsätzlich fragwürdig. Dies alles scheint bei den Wahlempfehlungen offensichtlich irrelevant.
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Auch kein Wort über die Schule während der Coronakrise, Erfahrungen mit Homeschooling und digitalem Unterricht, Resilienz im Schulunterricht, etc. Eine strategische Überprüfung der Schule wird nicht einmal ansatzweise in Erwägung gezogen. Alles geht weiter, wie bisher…
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The same procedure as every year!
Alex Gasser
Jun 16, 2020
Lieber Florian
Ich habe mich nicht über die Wahlsituation beschwert, sondern lediglich meine Meinung dazu geäussert, so, wie du es auch tust. Solange ich in Birsfelden Steuern bezahle, darf ich auch eine Meinung haben.
Christoph Meury
Jun 17, 2020
Glücklicherweise haben schon unsere Urväter das römische Bürgerrecht weiter entwickelt und verfeinert.
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«Römische Bürger waren ursprünglich nur freie Männer, die in Rom geboren waren. Das Bürgerrecht beinhaltet verschiedene Rechte und Pflichten. So durften römische Bürger das aktive und passive Wahlrecht in der Volksversammlung ausüben, und nur ihnen war es erlaubt, eine Toga zu tragen. Im Gegenzug waren die Bürger verpflichtet, Kriegsdienst zu leisten. Von großer Bedeutung war das Bürgerrecht bei der Strafverfolgung: Römische Bürger durften nicht zu einer grausamen Hinrichtungsart wie der Kreuzigung verurteilt werden.«
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Ich wüsste nicht inwiefern im vorliegenden Fall die Veröffentlichung einer eigenen Meinung mit der Steuerpflicht in Verbindung steht.
Aber man könnte eine solche Korrelation natürlich für Birsfelden einführen:
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Unter einem Steuer-Obolus von 5’000 darf man eine eigene Meinung haben, aber sie nicht öffentlich artikulieren.
Wer dem Staat 10’000 und mehr Steuern bezahlt, darf a) eine Toga tragen b) seine Meinung öffentlich kundtun und c) kann dafür keinesfalls gekreuzigt werden.
Wer mehr Steuern abliefert, darf öffentlich & ungestraft Lügen verbreiten, wird später US-Präsident und darf die Welt täglich per Twitter terrorisieren. Damit wären alle Unklarheiten beseitigt…
Premton Haziri
Jun 18, 2020
Ich zahle zwar nicht in Birsfelden sondern – immerhin – andernorts Steuern, möchte es mir an dieser Stelle aber gleichwohl erdreisten, etwas Senf in diese Causa zu geben.
Ohne die Worte in Ihrem Leserbrief und dem obigen Kommentar auf die sprichwörtliche Goldwaage legen zu müssen, erkennt man darin wenig Anderes als eine Ode an das Zensuswahlrecht und Ausfluss eines glücklicherweise aus der Zeit gefallenen Vulgärliberalismus.
Gerade als Liberaler ist es mir ein enormes Anliegen, dass demokratische Partizipationsrechte nicht an persönliche Finanzkraft gebunden sind.
Die ohnehin schon arg erlahmte (der Misanthrop würde sagen: “verfilzte”) Birsfelder Politlandschaft verlöre jegliches Recht, sich Demokratie zu schimpfen, wenn sie nebst dem parteipolitischen Pöstliroulette nun auch finanzpolitische Überlegungen in die Abwägung einfliessen lassen würde, ob eine Wahl durchgeführt werden soll oder nicht.
Luca La Rocca wünsche ich viel Erfolg auf seiner hoffentlich nicht letzten Etappe der Ochsentour nach Bundesbern.
Birsfelden und zahlreichen anderen Schweizer Gemeinden wünsche ich im Sinne einer demokratischen Frischzellenkur zudem viele, viele Luca La Roccas.