“Verletzung der Planungssicherheit” war das Argument des Einwohnerrates Pratteln, die kommunale Initiative Salina Raurica bleibt grün als ungültig zu deklarieren.
Es wäre wünschenswert zu erfahren, auf welchen Fakten basierend dieser Entscheid zustandekam. Wer sich die bz-Berichterstattung der letzten 10 Jahre zum Salina Raurica Projekt anschaut, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die entsprechende Planung weit davon entfernt war, von Anfang an zielgerichtet auf ein fest umrissenes Projekt ausgerichtet zu sein. Wie wäre es sonst zu erklären, dass noch 2019 der Vorschlag der Basler Ärztegesellschaft, in Salina Raurica ein neues Spital zu erstellen, sowohl vom Gemeindepräsidenten von Pratteln als auch vom Arealentwickler Losinger Marazzi (“Der Bau des Spitals interessiert uns natürlich sehr”) freudig begrüsst wurde, — obwohl dann das Wohn-/Gewerbeprojekt in den Planungspapierkorb gewandert wäre?
Ganz abgesehen davon stellt sich weiterhin die Frage, ob eine herbeigeredete Planungssicherheit ein in der Verfassung verankertes Volksrecht einfach so ausser Kraft setzen kann. Mit dieser Problematik sollte sich die Baselbieter Regierung und gegebenenfalls das kantonale Verfassungsgericht in aller nötigen Tiefe auseinandersetzen, bevor ein Urteil gefällt wird.
Im Zusammenhang damit wurde auch die Befürchtung geäussert, Investoren könnten bei abgebrochener Planung Entschädigungsforderungen stellen, denn — wie der kantonale Raumplaner Martin Kolb monierte — “verstosse die von der Initiative verlangte Änderung des Zonenplans gegen den Grundsatz der Planungsbeständigkeit, die die Investoren schützt.” (bz, Aug. 2019) Es wäre interessant, diese Investorenliste kennenzulernen. Investoren investieren natürlich, weil sie sich durch die Investition Gewinn erhoffen. Dem ist nichts entgegenzusetzen, — der Ansicht hingegen, Investorenwohl stehe vor Volksrecht, sehr wohl.
Ein letztes Argument, das sowohl bei der Lancierung der Initiative Salina Raurica bleibt grün im Herbst 2019 und jetzt beim Referendum ins Feld geführt wird, ist zeitlicher Natur: Beide kämen schlichtweg einfach zu spät.
Wie stichhaltig ist dieser Vorwurf? Journalist und Ex-Leiter des Roxy-Theaters in Birsfelden Christoph Meury schrieb 2014 in der bz in Bezug auf die Salina Raurica-Planung: ” … Seither ist vielleicht hinter den Kulissen Einiges passiert. Nur die Öffentlichkeit hat darüber wenig erfahren. Will man sich auf der einschlägigen Website schlau machen erfährt man so gut wie nichts. Ausser ein paar Richtplänen und wenigen nichtssagenden PR-Sätzen erfahre ich lediglich über die Verlegung der Amphibienlaichgebiete Erhellendes. Bei ein paar mündlichen Erkundigungen trifft man vornehmlich auf beredetes Schweigen.
Irritierend ist bei dieser Recherche eigentlich nicht nur die fehlende Information, sondern auch das Verhältnis der Planer zur Öffentlichkeit. Wir reden hier von der Planung eines neuen Stadtteils. Wir reden von einem Grossprojekt. Das heisst, dass die kontinuierliche Kommunikation, der Diskurs, der informelle Austausch, Partizipationen aller Art das Wesen des neuen Stadtteils prägen werden.”
Dieser geforderte aktive Austausch fand jedenfalls mit der Pratteler Bevölkerung nicht statt. Das würde erklären, warum das Salina Raurica-Projekt tatsächlich etwas spät in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit trat. Aber auch hier gilt, dass dies die Ausübung der Volksrechte in keiner Weise beschneiden dürfte. Der Pratteler Mitinitiant des Vereins aapacke Louis Kuhn: “Werbemässig aufgepeppte “Kommunikation”, planokratischer “Diskurs” und unechte “Partizipation” ersetzt den freien, selbstverantwortlichen Entscheid der mündigen Bürger nicht.” Und spräche damit dem Vater der schweizerischen Bundesverfassung, Mitstreiter für einen unabhängigen Kanton Basellandschaft und unermüdlichen Kämpfer für mehr Volksrechte Ignaz Troxler zweifellos aus dem Herzen.
Letzlich lässt sich alles auf die einfache Frage herunterbrechen:
Wer soll das letzte Wort behalten dürfen: Investoren, Planungsgremien — oder die betroffene Bevölkerung?
In den nächsten Episoden des Salina Raurica-Krimis soll ein weiterer, noch grundsätzlicherer Aspekt behandelt werden: Als die Baselbieter Regierung um die Jahrtausendwende die Möglichkeit entdeckte, das landwirtschaftlich genutzte Gebiet in einen Goldesel für den Kanton umzuwandeln, war die Ideologie des “Schneller-Grösser-Mehr” noch fest in den meisten Köpfen verankert.
Inzwischen — gerade auch nach diesem Corona-Jahr — sind solche Überzeugungen brüchiger geworden: Brauchen wir tatsächlich immer noch mehr Wohnungen, mehr Gewerbe, mehr Beton!? Bräuchten wir vielleicht nicht eher ein neues Bewusstsein der Verantwortung gegenüber der Natur und sollten uns mit dem Thema des “Landschaftschutzes” vertiefter auseinandersetzen?
Die Fortsetzung folgt im neuen Jahr. Bis dahin allen Leserinnen und Lesern “e guets Neus” 🙂
Hier geht es zu den vorhergehenden Episoden, und hier zur nächsten.
Franz Büchler
Dez 31, 2020
Heute am Morgen früh, noch im Bett, gelesen. Passt prima:
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In liberalen Demokratien herrschte das Volk nie wirklich, und in grossen Nationalstaaten konnte es auch nicht herrschen. Aber die Annahme, dass es herrschen sollte, erlegte mächtigen potentiellen Usurpatoren seines gespenstischen Throns moderate Beschränkungen auf, trug zur Zügelung von Gesetzen bei, die die wenigen und nicht die vielen begünstigten, und regte gelegentlich zu politischem Handeln von unten an, das auf die »gemeinsamen Anliegen gewöhnlicher Menschen« gerichtet war.
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Viele Grüsse von Wendy Brown,
aus ihrem Buch »Die schleichende Revolution. Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört«, Suhrkamp 2015
Hans-Jörg Beutter
Jan 2, 2021
salina raurica ischt überall: »planungssicherheit« also … ein paradies für RAT – reiche anonyme toren
(genauer: inves-toren)
inkl. wohlwollender duldung der ansässigen bevölkerung …
notfalls dank amphibienlaich
(der glögglifrösche)
relevant: unter finaler eliminierung des öffentlichen diskurses
eine ideale spielwiese
(für steueroptimierer & kulturverächter gmbh)
mfg Ihr scheinheiliger
st. coronus
makro-zoom … das faschistoide des neoliberalen paradigma’s unter vernichtung des politischen diskurses drüber (oder: »die unerträgliche seichtigkeit des digitalen seins«)
seriöser:
https://www.republik.ch/2021/01/02/das-faschistische-missverstaendnis
(mir graut vor trump. orban, erdogan, johnson, typ 2.0 – jeweils inklusive hinreichender gehirnmasse 😉 )
Franz Büchler
Jan 2, 2021
Besser wäre St. Corona.
Sie ist nach katholischer Betrachtung die Patronin des Geldes, der Metzger und Schatzgräber.
Hans-jörg Beutter
Jan 3, 2021
kürzlich wurden zwei ortstafeln »st. corona« /am wechsel/neunkirchen, niederösterreich, entwendet. mutmasslich von souvenierjägern.
Sie haben doch hoffentlich nicht Ihr hobby gewechselt – und die frühchristliche märtyrerin gar gen salina raurica verschleppt„ Sie schlingel 😉
die patronin der schlachter & schatzjäger – echt wahr?! … oder nur speziell stimmig …
Franz Büchler
Jan 4, 2021
https://de.wikipedia.org/wiki/Corona_(Heilige)