Dies ist der zweite von sechs Artikeln, die die Gedanken der Jury wiedergeben. Quelle: Bericht des Beurteilungs­gremi­ums. Die Jury hat eine ein­deutige Rang­folge erstellt. Wir begin­nen hier nach dem bib­lis­chen Prinzip »die Ersten wer­den die Let­zten sein«.

Die Gestal­ter dieses Pro­jek­ts waren
Architekt: Nis­sen Went­zlaff Architek­ten, Basel
Land­schaftar­chitekt: Bryum Land­schaft­sar­chitek­ten, Basel

Der Kommentar/Bericht der Jury:

Städte­bau
Die Bebau­ung gliedert sich in drei Baufelder für Wohn­nutzung und das Gemein­de­haus am Zen­trum­splatz im Süden des Perime­ters. Der Vorschlag nimmt die beste­hen­den Wegverbindun­gen auf. Sämtliche Baukör­p­er ste­hen in Nord Südrich­tung. Je zwei Wohn­baukör­p­er teilen sich ein Baufeld und span­nen einen inneren Hofraum mit pri­vat­en Gärten auf. Die Grösse der Baufelder ist so gewählt, dass beste­hende Gebäude, wie z.B. das Dorf­mu­se­um oder die alte Turn­halle – wenn gewün­scht — erhal­ten wer­den kön­nen. Das Zen­trum­sare­al ist oberirdisch dem Fuss und Veloverkehr vor­be­hal­ten.

Das neue, grosse und mit selb­st­be­wusster Geschos­sigkeit angelegte Gemein­de­haus ste­ht mit der Haupt­fas­sade direkt am „Zen­trum­splatz“. Die vorgeschla­gene Typolo­gie ori­en­tiert sich am Arche­ty­pus eines iden­titätss­tif­ten­den, öffentlichen­Stadthaus­es: Das Erdgeschoss ist über­höht, über der zen­tralen Mitte streben bei­de Seit­en zu Stadt­tür­men auf. Der Bau soll aber doch kein reines Repräsen­ta­tions und Ver­wal­tungs­ge­bäude sein. Mit der gebroch­enen Sym­me­trie und dem vielschichti­gen Auf­bau zeigt es die hybride Nutzung mit Grossverteil­er im Untergeschoss, Ein­gang­shalle, Saal, Muse­um und Café im Erdgeschoss und Gemein­de­v­er­wal­tung im Obergeschoss. Darüber liegen weit­ere grossen Büro­geschosse und zwei wiederum Ost-West ori­en­tierte Wohnauf­bauen.

Die Ost-West-Ori­en­tierung aller Wohnge­bäude erlaubt vielfältige Grun­driss und Wohn­ty­polo­gien und eignet sich gut für eine Durch­mis­chung von Wohn­for­men. Die Däch­er sollen zum Wohnen genutzt wer­den, den Erdgeschoss­woh­nun­gen wird in den Höfen pri­vater Aussen­raum als Garten zugeschla­gen. Jedes Baufeld kann sep­a­rat erschlossen und somit auch unab­hängig entwick­elt wer­den.

Mit dem Vorschlag wird ein ver­gle­ich­sweise niedriges Nutzungs­mass erre­icht. Durch die strenge Nord-Süd Ori­en­tierung entste­hen an eini­gen Stellen trotz­dem uner­wartet hohe Dicht­en mit Ein­schränkun­gen der Wohn­qual­ität oder über­mäs­sige Nähe zu beste­hen­den Schul­baut­en. Die Pri­vatisierung von Aussen­räu­men ist in dieser Dichte eher fraglich. Ob die für die Wohn­baufelder gewählte strenge Nord­süd-Zeilen-Form im Orts­massstab stark genug ist, um die gewün­schte Iden­tität zu schaf­fen, wird bezweifelt.

Die stark pro­gram­ma­tis­che Aus­rich­tung des Entwurfs mit dem grossen platzbe­herrschen­den Mul­ti­funk­tions-Bürg­er­haus und den geometrisch definierten Baufeldern ver­mag  die erwün­schte Iden­tität aus Sicht des Beurteilungs­gremi­ums nicht zu erzeu­gen. Es entste­hen kaum räum­liche Qual­itäten, die sich von der üblichen Zufäl­ligkeit der Agglom­er­a­tionsen­twick­lung abset­zen und iden­titätss­tif­tend sein kön­nten. Das städte­bauliche Muster zeigt eine gewisse Beliebigkeit und Aus­tauschbarkeit. Das grosse mul­ti­funk­tionale Bürg­er­haus kön­nte einen Beitrag zur Iden­tität leis­ten, die gewählte Massstäblichkeit wird aber Birs­felden als grossem Dorf neben der Stadt nicht gerecht. Die Akzep­tanz ein­er solchen Lösung erscheint dem Beurteilungs­gremi­um nicht gegeben. Die von den Ver­fassern for­mulierten Fra­gen­nach Entste­hung von Stadt und Iden­tität wer­den mit dem Vorschlag nur ansatzweise beant­wortet und die Chan­cen des grossen zusam­men­hän­gen­den Are­als zu wenig genutzt.

Aussen­räume
Durch die Set­zung der Gebäude entste­ht eine Wohn- und Stadt­land­schaft. Gegen die Haupt­strasse hin ist ein urbaner Platz mit dem raumein­nehmenden Stadthaus vorge­se­hen. Dieser Platz soll eine vielfältige Nutzung zulassen. Die neu vorge­se­henen Solitär­bäume dienen der Ori­en­tierung und weisen den Weg gegen die Kirch­strasse.
Die geplanten par­al­lel ver laufend­en Wohnzeilen bieten für die EG-Nutzung jew­eil­spri­vate Garten­bere­iche an.

Die Vor­zo­nen der Wohnzeilen sollen einen anderen Belag als der Hauptweg aufweisen und sig­nal­isieren so den vorge­se­henen „Vor­garten­bere­ich“ für die Bewohn­er. Der Verbindungsweg von Nor­den nach Süden weist vielfältige, unter­schiedlich aus­gestal­tete Inseln auf. Die Ver­fass­er schla­gen soge­nan­nte Klimabäume vor, welche sich den zukün­fti­gen Gegeben­heit­en des sich wan­del­nden Stadtk­li­mas anpassen kön­nen. Das Konzept sieht Raum­ab­fol­gen vom Stadt­platz über den langge­zo­ge­nen parkar­ti­gen Bere­ich zur Kirch­strasse bis hin zu pri­vat­en Gärten vor.

Die Frage beste­ht, ob die Kle­in­st­gärten zwis­chen den Wohnzeilen die vorge­se­hene Qual­ität erfüllen kann. Die grosse Dichte der vorge­se­henen Baum­grup­pen lassen kaum das Aufkom­men von Blu­men­wiesen und Rud­er­alflächen zu. Weit­er ist zu bedenken, ob die Gemeinde Birs­felden den Platz an der Haupt­strasse genü­gend bespie­len kann. Ein Konzept, das vielfältige Raum­ab­fol­gen bietet, welch­es aber auch einige Fra­gen offen­lässt.

Ökolo­gie
Das Pro­jekt weist mit rund 9‘100 m² die grösste Grün­fläche aus, die sich in der nördlichen „Wohn­land­schaft“ konzen­tri­ert, als „Park­strang“ aber auch in den Haupt­platz hineinzieht. Ein Teil der Grün­fläche wird durch pri­vate Gärten belegt, die übrige Fläche ist teils hal­böf­fentlich inkl. Aussen­mo­bil­iar, d.h. für Auswär­tige kaum aneigen­bar.

Die Ele­mente des aktuellen Lehrp­fads wer­den gemäss Bericht in die neue Anlage inte­gri­ert. Die beste­hende Rud­er­alfläche ver­schwindet, Ersatz ist vorge­se­hen, eine der bei­den geplanten Rud­er­alfluren liegt in ein­er stark beschat­teten Ecke zwis­chen Wohn­be­bau­ung und Schule. Die „Parkin­seln“ weisen zudem Rasen und Wiesen auf. Generell weist das Pro­jekt einen hohen Anteil an Bäu­men auf, ver­bun­den mit der entsprechend starken Beschat­tung. Let­ztere ist der Arten­vielfalt von Rud­er­al- und Wiesen­veg­e­ta­tion abträglich. Die Ver­net­zung der Grün­flächen ist gut.

Das Pro­jekt opfert die wertvoll­ste Baum­gruppe, der Baumbe­stand wächst gegenüber heute aber stark an. Die Auswahl der Bäume fokussiert auf „Klimabäume“, d.h. Exoten, welche mit dem (kün­fti­gen) Stadtk­li­ma gut zurechtkom­men. Dies ist
legit­im, aber der biol­o­gis­chen Vielfalt abträglich, weil heimis­che Tier­arten Exoten nur sehr bed­ingt nutzen kön­nen. Mit der Turn­halle ver­schwindet die Kolonie der geschützten Mehlschwalbe, dafür braucht es Ersatz. Als erwäh­nte Option ist der
Erhalt der Halle aber möglich.

Aufge­fall­en (Red.)
Dass das Pro­jekt den zukün­fti­gen Bewohn­ern zum Teil »pri­vate Grün­räume« zugeste­ht ist offen­bar nicht gut angekom­men. Dass durch eine Red­i­men­sion­ierung gewiss­er Wohn­baut­en beste­hende Alt­baut­en erhal­ten wer­den kön­nten (z.B. das Muse­um mit seinem vield­isku­tierten Lift), würd Wern­er Eiche vielle­icht freuen, gle­ich wie der Ver­lust der alten Turn­halle andere schmerzen wird.

Dieser Artikel ist Teil ein­er Serie zum neuen Zen­trum­spro­jekt. Hier gehts zu den bish­er erschiene­nen Artikeln.
Mit diesem Link kom­men Sie zu ein­er Artikelserie, die sich mit dem Stu­di­en­auf­trag befasst.
Und mit diesem Link kom­men Sie zu ein­er Artikelserie, die sich mit dem Kli­mawan­del befasst, der eigentlich auch im Zen­trum­spro­jekt eine Rolle spielt.

Mattiello am Mittwoch 4/13
Neues Zentrum 5: Projekt Birsfelder Mitte

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