Die Pil­ger­fahrt nach Rom, wo es Ulen­spie­gel sogar gelang, dem Papst per­sön­lich zu begeg­nen und dabei noch hun­dert Gul­den zu ver­die­nen, bot ihm Gele­gen­heit für einen gan­zen Rei­gen von Strei­chen. Dabei spiel­te de Cos­ter mit dem Nar­ren­the­ma immer wie­der neu:

 Als die Ant­wer­per sich den Kopf zer­bra­chen, wie sie König Phil­ipp ein ver­gnüg­li­ches Spek­ta­kel bie­ten könn­ten, erklär­te sich Ulen­spie­gel dafür bereit:
Indes­sen bestie­gen die Festhe­rol­de ihre schö­nen, mit kar­me­sin­ro­tem Sam­met auf­ge­zäum­ten Pfer­de und rit­ten durch alle gro­ßen Stra­ßen, über alle Plät­ze und Kreu­zun­gen der Stadt, blie­sen die Hör­ner und schlu­gen die Trom­meln. Dabei kün­dig­ten sie den signor­kes und signor­kin­nes an, daß Ulen­spie­gel, der Narr von Dam­me, über dem Kai in der Luft flie­gen wer­de und daß der König Phil­ipp mit sei­ner hohen, erha­be­nen und hoch­ed­len Gefolg­schaft auf einer Estra­de anwe­send sein werde. …
Ulen­spie­gel ließ sei­nen Die­ner und sei­nen Esel auf der Stra­ße zurück und kroch in die Regen­trau­fe. Dort ließ er sei­ne Schel­len klin­geln und streck­te die Arme weit aus, als woll­te er flie­gen. Dann ver­beug­te er sich vor König Phil­ipp und sag­te: »Ich mein­te, daß es in Ant­wer­pen außer mir kei­nen Nar­ren gäbe, aber ich sehe, daß die Stadt voll davon ist. Wenn ihr mir gesagt hät­tet, daß ihr flie­gen wer­det – ich hät­te es nicht geglaubt; aber wenn ein Narr daher­kommt und euch sagt, er wer­de es tun, so glaubt ihr ihm. Wie wollt ihr, daß ich flie­ge, wenn ich doch kei­ne Flü­gel habe?«

Die einen lach­ten, die andern fluch­ten, aber alle spra­chen: »Die­ser Narr sagt immer­hin die Wahrheit.«

● Als er dem Land­graf von Hes­sen anbot, ihn und sei­nen Hof­staat zu malen, prä­sen­tier­te er ihnen nach einem Monat in Saus und Braus eine weis­se Wand mit dem Hinweis:
“Edler Herr Land­graf, und Ihr, Frau Land­grä­fin! Hoher Herr von Lüne­burg, und ihr ande­ren, schö­ne Frau­en und tap­fe­re Kapi­tä­ne! Ich habe eure lieb­li­chen oder krie­ge­ri­schen Gesich­ter nach bes­tem Kön­nen hin­ter die­sem Vor­hang por­trä­tiert. … geru­het aber, euch in Geduld zu fas­sen, und las­set mich ein Wort oder sech­se sagen: Schö­ne Frau­en und tap­fe­re Kapi­tä­ne, die ihr alle von edlem Blu­te seid, ihr könnt mei­ne Bil­der sehen und bewun­dern, wenn aber ein Bas­tard unter euch ist, er wird nichts sehen als die wei­ße Wand. Und nun geru­het, eure edlen Augen zu öffnen.”

Wie schon in der Geschich­te mit des Kai­sers neu­en Klei­dern, sind alle des Lobes voll. Aber hier macht ein wei­te­rer Narr der Nar­re­tei ein Ende:
“Plötz­lich sprang der Narr, der auch anwe­send war, drei Fuß hoch in die Luft, schüt­tel­te sei­ne Schel­len und sag­te: »Möge man mich als Bas­tard betrach­ten, als bas­tar­die­ren­den Bas­tard der Bas­tar­de­rei, ich wer­de es mit Trom­pe­ten und Fan­fa­ren aus­ru­fen, daß ich da eine nack­te Mau­er sehe, eine wei­ße, nack­te Mau­er. So wahr mir Gott bei­ste­he und alle sei­ne Hei­li­gen!« »Wenn die Nar­ren sich in die Rede men­gen«, sag­te Ulen­spie­gel, »dann ist’s für die Wei­sen an der Zeit zu gehen.”

De Cos­ter lüf­tet sogar ein Geheim­nis. Als Thyl eines Tages mit einem Trupp feucht­fröh­li­cher Fla­men reis­te, die sich ger­ne auch ander­wei­tig ver­gnüg­ten, “tat sich ins­be­son­de­re Ulen­spie­gel dabei her­vor, des­sen Gespon­sin spä­ter einen Kna­ben gebar, den sie Eulen­spie­gel­ken nann­te, weil die Gute die Bedeu­tung des Namens ihres Zufalls­gat­ten nicht rich­tig ver­stand, und viel­leicht auch zur Erin­ne­rung an die Stun­de, in der der Klei­ne gemacht wor­den war. Und das ist jenes Eulen­spie­gel­chen, von dem es irr­tüm­li­cher­wei­se heißt, es hät­te in Knitt­lin­gen, im Lan­de Sach­sen, das Licht der Welt erblickt.”
Womit die Din­ge end­lich geklärt sind 🙂

Bei sei­ner Rück­kehr nach Dam­me holen ihn aller­dings die Schre­cken der Inqui­si­ti­on wie­der ein: Sein Vater Cla­es lan­det nach einem Ver­rat als Ket­zer auf dem Schei­ter­hau­fen. Sei­ne Mut­ter und Ulen­spie­gel sel­ber wer­den aufs Grau­sams­te gefol­tert, weil sie das Ver­steck eines Geld­schat­zes, den Cla­es von sei­nem Bru­der geerbt hat­te, nicht ver­ra­ten wol­len. Die detail­lier­ten Schil­de­run­gen der Hin­rich­tung und der Fol­ter durch de Cos­ter machen einen beim Lesen noch heu­te schaudern …

“Auf den Schei­ter­hau­fen rauch­te das Fleisch der Opfer, und Ulen­spie­gel gedach­te, ein­sam wei­nend, Clae­sens und Soetkins.
Eines Abends such­te er Kathe­li­ne auf, um sie zu bit­ten, daß sie ihm hel­fe, all das Unge­mach der Welt zu lin­dern und zu rächen. Sie war mit Nele allein, und die bei­den plau­der­ten beim Lam­pen­schein. Bei dem Geräusch, das Ulen­spie­gels Ein­tre­ten mach­te, hob Kathe­li­ne schwer den Kopf wie eine Frau, die aus tie­fem Schlaf erwacht. Er sag­te zu ihr: »Die Asche Clae­sens schlägt über mei­ner Brust, ich will das Land Flan­dern erret­ten. Ich fle­he dar­um zu dem gro­ßen Gott des Him­mels und der Erde, aber er ant­wor­tet mir nicht.« Kathe­li­ne erwi­der­te: »Der gro­ße Gott kann dich nicht hören, du mußt zuerst mit den Geis­tern der Ele­men­tar­welt spre­chen, die, von zwei­er­lei Natur, einer himm­li­schen und einer irdi­schen, die Kla­gen der armen Men­schen auf­neh­men und den Engeln über­brin­gen, die sie vor den Thron tragen.”

Kathe­li­ne, die Mut­ter Neles, ihrer­seits nach einer Fol­ter hal­birr, aber bewan­dert in der Hexen­kunst, mischt den bei­den einen Zau­ber­trank “und  sag­te ihnen, sie soll­ten ihre Bli­cke inein­an­der­tau­chen, damit ihre zwei See­len zu einer ver­flös­sen. Ulen­spie­gel sah Nele an, und die süßen Augen die­ses Mäd­chens ent­zün­de­ten ein gro­ßes Feu­er in ihm. Dann hat­te er, durch die Wir­kung der Mix­tur, ein Gefühl, als ob ihn Tau­sen­de von Krab­ben zwick­ten. Dar­auf leg­ten sie ihre Klei­der ab, und sie waren schön anzu­se­hen im Schein der Lam­pe, er in sei­ner stol­zen Kraft, sie in ihrer lieb­li­chen Anmut, aber sie konn­ten ein­an­der nicht sehen, denn schon waren sie gleich­sam ent­schlum­mert. Nun beug­te Kathe­li­ne Neles Hals auf Ulen­spie­gels Arm und leg­te sei­ne Hand auf das Herz des Mäd­chens. Und sie blie­ben nackt bei­ein­an­der liegen.”

Was folgt, ist eine der Sze­nen, die den Roman weit hin­aus­he­ben über eine his­to­ri­sie­ren­de Eulen­spie­gel­ge­schich­te und ihm eine wei­te­re tie­fe Dimen­si­on ver­lei­hen. Und mit ihr endet das ers­te Buch.

Vier wei­te­re Bücher har­ren der Lek­tü­re. Thyl nimmt nun aktiv am nie­der­län­di­schen Befrei­ungs­kampf teil, beglei­tet von sei­nem treu­en Freund Lam­me Goe­d­zak mit dem gros­sen Magen, bereit, jeder­zeit dem flan­dri­schen Bier und flan­dri­schen Deli­ka­tes­sen zu huldigen.

Wir hin­ge­gen ver­las­sen die bei­den und Nele defi­ni­tiv. Wer Lust auf ein ein­drück­li­ches Lese­aben­teu­er hat, fin­det eine gemein­freie Aus­ga­be des Romans als PDF hier. Auf Amazon/Kindle gibt es eben­falls eine kos­ten­freie Ausgabe.

(Die Holz­schnit­te stam­men vom berühm­ten Illus­tra­tor des Ulen­spie­gel, Franz Masere­el).

In der nächs­ten Fol­ge wen­den wir uns dem wohl geheim­nis­volls­ten Nar­ren zu.

 

 

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