Jesus Chris­tus ist das grosse Geheim­nis der Geschichte. Wir arbeit­en unter Schmerzen und Freuden daran, es zu enthüllen. Die Geschichte, Gott in der Geschichte, arbeit­et selb­st daran, schrieb Leon­hard Ragaz.

Hier drängt sich seit­ens des birsfaelder.li-Schreiberlings ein klein­er Exkurs auf. Wie gross dieses Geheim­nis immer noch ist, lässt sich am besten mit einem Blick in das Buch von Cyn­thia Bourgeault, “The Wis­dom Jesus. Trans­form­ing Heart and Mind. A new per­spec­tive on Christ and his mes­sage” aufzeigen. Cyn­thia Bourgeault ist eine Pries­terin der Episkopalkirche und Autorin divers­er Büch­er, die — um es etwas salopp zu for­mulieren — einen neuen und frischen Wind in die christliche Botschaft brin­gen. Hören wir ihr doch ein­fach etwas zu:

In diesem Buch wer­den wir uns auf die Erkun­dung eines reich­halti­gen spir­ituellen Ter­ri­to­ri­ums begeben, das ger­ade deshalb sehr her­aus­fordernd sein kann, weil es so nah ist. Wir wer­den ver­suchen, einen neuen Blick auf Jesus zu wer­fen, einen neuen Blick auf ihn als einen Meis­ter in ein­er alten spir­ituellen Tra­di­tion, die ich Weisheit nen­nen werde. Das ist ger­ade deshalb so schwierig, weil die meis­ten von uns glauben, bere­its etwas über diesen Jesus zu wis­sen. Wir sind uns natür­lich nicht alle einig darüber, was wir wis­sen. Aber wenn Sie christlich aufgewach­sen sind, ken­nen Sie zumin­d­est die Grundzüge der Geschichte — dass er der einzige Sohn Gottes war, dass er in diese Welt kam, um zu lehren und zu heilen, dass er gekreuzigt wurde, für unsere Sün­den starb, wieder aufer­stand, in den Him­mel auf­fuhr und uns nun auf­fordert zu glauben. An was glauben? Nun, an all die Dinge, die ich ger­ade aufgezählt habe.

Dann legt sie den Fin­ger auf einen entschei­den­den Punkt:
Das vielle­icht Abs­tumpfend­ste an unserem Chris­ten­tum, wie wir es gewohnt sind — abge­se­hen davon, dass es wirk­lich eine Art kul­tureller Hin­ter­grund ist, der Fil­ter, durch den wir alles andere betra­cht­en -, ist, dass wir es im Rück­blick auf die let­zten 2000 Jahre leben.Wir ken­nen die Geschichte. Wir wis­sen, wie die Hand­lung aus­ge­ht. Wir wis­sen, wer die Gewin­ner sind und was es mit dem Siegerteam auf sich hat. Wir feiern diese Geschichte immer wieder, in unseren großen Fes­ten zu Wei­h­nacht­en und Ostern und in kleineren Abschnit­ten im Laufe des Jahres.
Wenn Sie in die katholis­che oder episkopale Kirche gehen, wer­den Sie jeden Son­ntag die Geschichte in Form des Nizänis­chen Glaubens­beken­nt­niss­es rez­i­tieren: “Wir glauben an einen Gott, den allmächti­gen Vater, den Schöpfer des Him­mels und der Erde, von allem, was ist, sicht­bar und unsicht­bar. Wir glauben an einen Her­rn, Jesus Chris­tus, Gottes einzi­gen Sohn, vom Vater gezeugt, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott; gezeugt, nicht geschaf­fen, wesens­gle­ich mit dem Vater, durch den alles geschaf­fen ist”, und so weit­er. Die Chris­ten haben dies seit dem vierten Jahrhun­dert getan. Es ist die wichtig­ste Art und Weise, wie wir uns unserem Lehrer näh­ern, durch das, was wir über ihn glauben. Und wenn Sie zu den Fun­da­men­tal­is­ten oder Evan­ge­likalen gehören, dann wis­sen Sie, dass die ganze Geschichte in der Heili­gen Schrift ste­ht. Die Bibel enthält die voll­ständi­ge und göt­tlich autorisierte Biografie Jesu und liefert den voll­ständi­gen Leit­faden für das, was Sie tun soll­ten, um ein guter Men­sch und sein Jünger zu wer­den.

Aber was ich als Aus­gangspunkt für unsere Erkun­dung vorschla­gen möchte, ist, dass all dieses Wis­sen über Jesus uns eigentlich im Weg ste­ht. Wenn wir unser Christ­sein im Rück­blick auf die let­zten 2000 Jahre leben, bringt uns das in min­destens zweier­lei Hin­sicht in Schwierigkeit­en. Erstens wiegt es uns in ein falsches Gefühl der Sicher­heit: dass wir das Gewin­nerteam sind, dass wir als Chris­ten Jesus erken­nen wür­den, wenn er auf­taucht. Aber noch prob­lema­tis­ch­er ist, dass diese Rückschau uns das wichtig­ste Werkzeug nimmt, das wir brauchen, um den Weg heute zu find­en und zu leben, um uns mit dieser Gestalt zu verbinden, über die wir so viel zu wis­sen scheinen. Dieses Werkzeug ist unsere eigene Kraft des inneren Erken­nens.

Aber natür­lich kann es sein, dass wir uns ger­ade jet­zt in einem Zeit­fen­ster ein­er beson­deren Gele­gen­heit befind­en. Wir leben in ein­er Zeit, in der der christliche Mono­lith zusam­men­bricht. Manche wür­den sagen, er ist bere­its zusam­menge­brochen. Das Main­stream Chris­ten­tum ver­liert stetig an Boden (und an Mit­gliedern).
Ein paar Zahlen gefäl­lig? 2021 trat­en in Deutsch­land ca. 360’000 Per­so­n­en aus der Katholis­chen Kirche aus. Das war ein Reko­rd. Aber er wurde 2023 mit mehr als ein­er hal­ben Mil­lion lock­er übertrof­fen. Auf evan­ge­lis­ch­er Seite mit 380’000 Mit­glieder sieht es nicht viel bess­er aus. Wat­son titelte let­ztes Jahr: Die Zahl der Kirchenaus­tritte in der Schweiz so hoch wie nie.

Cyn­thia Bourgeault ist weit davon ent­fer­nt, diese Entwick­lung zu bedauern. Ganz im Gegen­teil:
.… wir leben ger­ade in ein­er Zeit, die manche als einen großen Par­a­dig­men­wech­sel beze­ich­nen wür­den, in der es eine Gele­gen­heit gibt, wie es sie vielle­icht noch nie gegeben hat, die Kern­fra­gen wieder zu öff­nen und zu fra­gen: “Was meinen wir mit ‘Chris­ten­tum’? Was ist der Fil­ter, durch den wir schauen? Wer ist dieser Meis­ter, zu dem wir uns beken­nen und den wir in unserem Leben beken­nen, wenn wir uns Chris­ten nen­nen?”

Und sie hat ein paar span­nende Antworten auf diese Fra­gen. Dazu mehr in der näch­sten Folge am Sam­stag, den 8 Juli.

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