„Nun singen sie wieder“ (Max Frisch, 1945)
„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“. Aber das mit der ruhigen Niederlassung in der Schweiz ist so eine Sache. Alle sind zwar vor dem Gesetz gleich, aber trotzdem scheint es dem russischen Milliardär leichter zu fallen sich hier niederzulassen, als der schwarz arbeitenden Reinigungskraft aus Brasilien oder dem begnadeten Musiker aus Japan. (Alles belegte Beispiele aus dem „Nicht-Schengen-Raum“).
Derzeit findet ein guteidgenössisches Casting zu einer neuen Landeshymne für die Schweiz statt. www.chymne.ch. (Nicht nur guteidgenössisch, sondern auch weltoffen. Sogar Niedergelassene, Ausländer, Sozial-Fälle und Schmarotzer, Musikantenstadler und Balkanraser, können da auch mitreden).
Warum das Ganze?
Der Text sei nicht mehr zeitgemäss.
Ich würde sagen, der Text ist seiner Zeit voraus. Nur, dass wir dereinst den Herrlichen im strahlenden Morgenrot nicht mehr über Eiger, Mönch und Jungfrau sehen, sondern über Mühleberg, Leibstadt und Gösgen. Dannzumal hilft den freien Schweizern nur noch beten, wenn überhaupt. Aber vielleicht ist gerade dies der verheimlichte und unterschlagene Grund, weshalb, in Erwartung der Energiewende, nach einem neuen Lied, einem anderen Text gesucht wird. Der Atom-Lobby passt einfach das Wort „Strahlenmeer“ (oder Strahlenmehr?/Strahlensehr?) nicht. Das könnte ein einfaches Gemüt zu leicht missverstehen, bevor der Letzte die Tür geschlossen und das Licht ausgeknipst hat.
Eine Strophe von 4 mögen genügen:
Die folgenden 3 Strophen ersparen wir uns und den Lesern. Oder lesen und hören Sie auf eigene Verantwortung.
Der verkannte Berner Schiftsteller und Wortakrobat Peter Lehner hat das Hymnendilemma bereits 1973 in seinem Buch “wehrmännchens abschied” vorausblickend so formuliert:
„gagagartenlaube
lalalandeshymne
blablablasmusik
kukukultur“
Was bleibt? Ein bescheidener und sparsamer Vorschlag der birsfälder.li Redaktion:
Behaltet die Melodie, wenn es denn unbedingt sein muss, vergesst den Text, so er denn abgespeichert ist. Keiner muss mehr diesen Quatsch auswendig lernen, niemand beim Singen über den eigenen Schatten springen, die Blaskapellen brauchen keine neuen Noten und Proben, die Probleme mit der kulturellen Sprachenvielfalt, sprich singbaren Übersetzungen in die jeweils drei anderen Landessprachen, — alles vom Tisch. Eine patriotische Melodie, ohne Text. Ja klar, bei einem Fussballspiel ist ersichtlich, wer die Lippen bewegt; aber, wer hat schon einen Skifahrer, einen Tennisspieler gesehen, der die Hymne mitsingt? Wer hat sich je darüber beklagt, dass nicht?
Die Schweiz wäre damit nicht allein. Folgende acht Nationalstaaten verzichten ebenfalls auf patriotisches Blablabla und beschränken sich auf heimatliches Lalala:
Spanien, San Marino, Puerto Rico, Somalia, Mauretanien, Niederländische Antillen, Vereinigte Arabische Emirate, Bosnien-Herzegowina.
Oder wie wäre es gar, wenn die Schweiz ganz auf eine Hymne verzichten würde, dafür jedes Mal eine Schweigeminute für Arnold Winkelried einlegen würde? Bei jedem Staatsempfang, bei jeder Siegerehrung müssten dann weltweit die Kommentatoren erklären, warum geschwiegen, statt gesungen wird und ein weiterer helvetischer Mythos würde international erklärt und verbreitet. Die CH-Tourismystiker rieben sich die Hände.
Auch unsere nördlichen Nachbarn haben an ihren Hymnen gewerkelt. Die ehem. DDR hat den Text ganz gestrichen (“Auferstanden aus Ruinen, Deutschland einig Vaterland”), klang irgendwie falsch für Honecker und Konsorten, die nicht im Entferntesten ein einig Vaterland wünschten. Die BRD hat eine ganze Strophe entsorgt (“Deutschland, Deutschland über alles”). Nicht nur wegen der jüngsten Vergangenheit ziemlich anmassend, fanden auch Kanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss.
Zum Dessert noch ein paar Textauszüge aus den vorliegenden Vorschlägen, quasi als
Weisheiten zum Artikel:
„Lasst uns heute nehmen an den Händen und sie reichen auch den Fremden“
„Wohl unsrer Schweiz, aufgehoben in Gottes Hand.“
„Wir gehen Hand in Hand im Schweizerland“
„Frei wer seine Freiheit nützt, stark ein Volk, das Schwache schützt.“
„Schönheit liegt in der Natur, Vielfalt herrscht in der Kultur.“
“So stark wie unsre Berge, so stark sei dieser Traum. Es klinge durch die Dörfer und durch der Städte Raum.“
ueli kaufmann
Apr. 6, 2015
Ergänzung:
Auch der letzte Satz aus den Weisheits- bzw. Text Beispielen ist ebenso der Zeit voraus, wie das derzeitige Vaterlandslied. Ich habe das leider erst nach der Veröffentlichung bemerkt.
Jeden 1. Mittwoch im Februar wird ab 14.00 Uhr schweizweit geübt, ob die Sirenen noch in allen Dörfern, städtisch verdichteten Räumen auch hörbar klingen.
In der RS hatte ich seinerzeit gelernt, Im Atomfall: Hinlegen, Füsse gegen das Epizentrum, Luft anhalten. Da müssen wir Basler die Beine weit spreizen, Mühleberg — Leibstadt.
Immerhin, die neuen Texte sind also auch zukunftsgerichet.