Was macht man, wenn in der öffentlichen Beschaffung etwas teurer kommt, als geplant?
Genau, es braucht einen Nachtragskredit. Je nach Höhe des Betrags darf das in birsfelden der Gemeinderat in eigener Kompetenz machen. Danach kann die Gemeindekommission verdoppeln und am Ende steht dann der Souverän, also die Gemeindeversammlung. Sauber geregelt in den Paragraphen 6 — 8 der Gemeindeordnung.
Am kommenden Montag (26.9., 19:30 Uhr Sporthalle) darf deshalb die Gemeindeversammlung wieder einmal über einen Nachtragskredit befinden. In den Unterlagen wird das Traktandum 4 verheissungsvoll mit dem Titel Nachtragskredit Sanierung Friedhofstrasse für «Ohnehin-Kosten» überschrieben. Die «Ohnehin-Kosten» sollen wohl darauf hinweisen, dass das Projekt bereits abgeschlossen und abgenommen, die Rechnungen also schon bezahlt sind. Es bleibt dem Souverän also nichts anderes übrig, als abzunicken. Diskutiert werden soll lieber über das Zentrum.
Doch halt! So einfach sollten wir der Friedhofstrasse keine Durchfahrt gewähren. Wir erinnern uns, dass schon allein der Kredit drei Anläufe gebraucht hat, um überhaupt bewilligt zu werden. Vielleicht sollten wir deshalb auch beim Nachtragskredit genauer hinschauen.
Kurzer Rückblick: Im Jahr 2015 wurde das Kreditbegehren für die Sondervorlage „Erneuerung Strasse / Wasser: Friedhof- / Kirch- / Rheinstrasse“ ein erstes Mal zurückgewiesen. Danach erlebte es unter dem Titel „Lärmschutzmassnahmen und Sanierung Strassen und Wasserleitungen in der Friedhof‑, Kirch- und Rheinstrasse“ einen zweiten Versuch und weil das Projekt den Birsfelderinnen und Birsfeldern zu teuer war, musste es schliesslich 2017 zu einem dritten Projekt antraben, wobei dann nur die Günstig-Variante ohne Flüsterbelag bewilligt wurde. Titel damals “Lärmschutzmassnahmen und Erneuerung Strasse/Wasserleitung: Friedhofstrasse (Abschnitt Schul-/Hofstrasse bis Sternenfeldstrasse)“.
Nun ist die Günstig-Variante seit einiger Zeit fertig. Die Autos rollen wieder und auf der Gemeinde hat man wohl die letzten Rechnungen erhalten und bezahlt. Doch — oh, Schreck — die Günstig-Variante hat nun anstatt der bewilligten CHF 1,795 Mio. etwas mehr gekostet. Die Überschreitung beträgt rund einen Viertel.
In den Erläuterungen listet man die Begründungen dafür lückenlos und mit Preisettikett auf und weist darauf hin, dass auch Einsparungen gemacht werden konnten.
Soweit ist das fachlich durchaus nachvollziebar. Doch fragt man sich eben auch fachlich: Hätte man diese Mehrkosten einerseits nicht bereits im Projekt berücksichtigen müssen (Untersuchung des Belags mittels Stichproben auf “PAK”) oder waren die Mehrkosten nicht kurz nach Baubeginn bekannt gewesen (als man merkte, dass man den Strassenkoffer erneuern muss). Ein Baufachmann (oder ‑fachfrau) seitens Verwaltung hätte da eigentlich reagieren müssen. Eine ensprechende Person auf der Verwaltung gibt es wohl einfach nicht.
Wie kommen wir zu dieser Aussage?
Lesen wir einfachweiter im Text:
Die mit dem Projekt beauftragte Ingenieurfirma Rapp AG schlug auf Basis dieser neuen Gegebenheiten zusätzliche Untersuchungen vor, um die Kosten der noch anstehenden Etappen besser abschätzen zu können. So sollten einerseits die Tragfähigkeit des Strassenkoffers und andererseits die Materialklassifizierung, welche bestimmend ist für die Entsorgungskosten, untersuchtwerden. Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen wurde dieser Vorschlag des Ingenieurs jedoch nicht weiterverfolgt. Die Untersuchungen hätten zwar zusätzliche Planungskosten generiert, aber weitere bauliche Mehrkosten, die ohnehin angefallen wären, hätten zumindest früher erkannt werden können.
Der Baufachmann des Anbieters hat es also erkannt, der Baufachmann der Gemeinde hat es ignoriert. Und so geht es weiter:
Die weiteren fünf Bauetappen der Strassensanierung wurden in der Folge ohne zusätzliche Abklärung durchgeführt. Hinzu kam, dass der zuständige Bauführer des Tiefbauers lange Zeit krankheitsbedingt ausfiel. Dadurch verzögerten sich die Abrechnungen der jeweiligen Bauetappen massiv. Als Folge davon wurde erst nach Abschluss aller Arbeiten deutlich, dass die aufgelaufenen Mehrkosten den Umfang von rund CHF 575‘000.- erreichten.
Man könnte es auch so übersetzen: Ein Projektcontrolling wurde zu keiner Zeit wahrgenommen. Weder inhaltlich noch wirtschaftlich war die Verwaltung in der Lage, dieses Projekt fachgerecht zu begleiten. Eine Kompetenzüberschreitung kann man also gar nicht finden, weil offenbar gar niemand über Kompetenzen verfügt.
Aber gut: Die Strasse steht nun. Es war einfach ein bisschen teurer und wäre auch teurer gewesen, wenn man es früher gemerkt hätte… Denkste: Durch das fehlende Controlling dürfen wir uns auch über Kurz- und Langzeitschäden freuen:
- Kurz nach Ende der Baustelle mussten bereits “sauber” geplante Parkplatzmarkierungen wieder vom Boden gefräst werden. Überraschenderweise kam der Bus nicht mehr neben den parkierten Autos durch. Wer das bezahlt hat, wissen wir nicht so genau, aber so etwas hätte man mit etwas Fachverstand verhindern können. Den externen Planern schaut wohl niemand auf die Finger.
- Seit der Fertigstellung und die nächsten 50 Jahre bis zur nächsten Sanierung dürfen wir mit einer Strasse leben, die bei jedem Regen zu einer Seenlandschaft wird. Als Fussgänger kann man nur im Ganzkörper-Regenanzug an der Strasse flanieren. Die Entwässerung wurde entweder komplett vergessen oder derart dilletantisch geplant und/oder umgesetzt, dass einem die Tränen kommen. Bei einer Projektabnahme hätte man soetwas nicht durchkommen lassen sollen. Doch offenbar ist das Projekt nun abgeschlossen. Als versteckter Mangel geht das nie und nimmer durch. Ein paar Best-of-Bilder im Bereich Kirche finden Sie in der Bildstrecke. Weitere Bilder können Sie uns gerne schicken (Achtung: Kamera sollte wasserdicht sein). Erlebnisse bitte in der Kommentarspalte teilen.
Alles in allem: An Peinlichkeit kaum zu überbieten, wenn man daran denkt, dass gerade ein 30-Mio.-Projekt läuft, um die Schulinfrastruktur wieder in Stand zu stellen. Durchwinken geht hier nicht. Das müsste mndestens personelle Konsequenzen haben!
Hans Kästli
Sep. 24, 2022
Vielen Dank für diesen umfangreichen ” erhellenden” Beitrag !
Hans-Peter Moser
Sep. 28, 2022
Gut recherchiert. Zeigt Mängel der Verwaltung klar und deutlich auf. Übrigens gab es einmal einen Zustandskataster auf der Gemeinde, aus welchem der Strassenaufbau und die
Belagssorten ersichtlich gewesen wären. Aber vermutlich wurde dieser Kataster im Zuge der Neuorganisation der Verwaltung entsorgt,da niemand das Wissen zu dessen Gebrauch hatte.
Hans
Sep. 28, 2022
Falsche Vermutunh Hanspeter. Der Kataster ist immer noch vorhanden. Heute sogar in elektronischer Form.