Troxler erneut im Luzerner Gefängnis …! Wie kam es diesmal dazu?
Erinnern wir uns: Nach dem sang- und klanglosen Aus der Mediationsakte versuchten die Patrizier einiger Städte umgehend, das Rad der Zeit zurückzudrehen und wieder die alte aristokratische Familienherrschaft zu errichten. So geschehen auch in Luzern am 16. Februar 1814 durch einen eigentlichen Putsch.
Troxler wäre nicht Troxler gewesen, wenn er nicht sofort zur Feder gegriffen und in einer Flugschrift die Gleichberechtigung aller Bürger gefordert hätte. Wenig später beteiligte er sich an einer Volkspetition, worin die Teilnahme des Volkes an der Regierung und das Ende der Stadtregierung über das Land gefordert wurde.
Mit diesen Forderungen nach Volkssouveränität standen die Bittsteller den restaurativen Bestrebungen der Regierung natürlich diametral entgegen! Die Petition wurde von dieser auch umgehend als Aufruhr gegen die öffentliche Ordnung deklariert, und ein Netz von geheimen Spitzeln machte sich auf die Suche nach den Ruhestörern. Am 5. Mai wurden sie fündig und es kam zu einer eigentlichen Verhaftungswelle. Auch Troxler wurde am 22. Mai verhaftet. Man vermutete seine Urheberschaft an der Bittschrift.
Als die Gefangenen nach Sursee in Untersuchungshaft gebracht wurden, kam es zu massiven Protesten. Um das Volk einzuschüchtern, plante die Regierung deshalb einen öffentlichen Prozess.
Das Strafrecht sah damals noch etwas anders aus als heute: Noch 1808 wurde in Freiburg ein Mörder zuerst erdrosselt und dann in gut mittelalterlicher Tradition aufs Rad geflochten. Auch im Kanton Luzern gab es die Todesstrafe, sogar bei Verspottung der Kirche oder bei Hostienfrevel. Kleinere Vergehen wurden mit Rutenstreichen oder Brandmarkung geahndet. Immerhin war inzwischen die Folterung zur Erpressung von Geständnissen abgeschafft und Verhaftungen nur mit schriftlichem Haftbefehl erlaubt.
Es gelang der Regierung allerdings nicht, Troxler die Urheberschaft zweifelsfrei nachzuweisen, aber er blieb trotzdem in Haft. Seine junge, schwangere Frau bat daraufhin die Regierung, die Haft mit ihrem Mann teilen zu dürfen. Das wurde genauso wie Besuche abgelehnt. Einzig der Austausch von Briefen war erlaubt. Deshalb wissen wir, wie sich Troxler nach ein paar Wochen Haft in seiner Zelle fühlte: „Sollte ich mich und die Wahrheit verraten? … Nicht das Gefängnis, nicht die Einsamkeit, nicht der Mangel an Unterhaltung u.s.f. all dieses ist’s nicht, was mich schmerzt, nur die Trennung von dir, unsern Kindern, und den Meinigen überhaupt, das ist’s, was weh tut! Mein Zustand bleibt daher immer der gleiche, ich sei, wo es wolle, und da ich dieses Leiden bereits über vier Wochen getragen, werd ich es doch wohl noch einige Zeit aushalten können!“
Nach fünf Wochen Haft kam Troxler auf Kaution frei. Den Unterzeichnern der Bittschrift hingegen wurde der Prozess gemacht. Sie mussten mit der Todesstrafe oder Kettenstrafen von mehreren Jahren rechnen. Aber der Regierung war inzwischen wohl klar geworden, dass sie mit solch drakonischen Massnahmen den Volksunwillen nur noch intensiver geschürt hätte. Sie begnügte sich schliesslich, den Verurteilten einen einjährigen „Hausarrest“ in ihren Gemeinden aufzubrummen.
Troxler wurde mangels Beweisen freigesprochen, musste aber die Gerichtskosten tragen.
Er dachte nicht daran. Er hatte andere Pläne: Zurück nach Wien!
Noch in Untersuchungshaft hatte er seiner Frau geschrieben: „Ob ich auf diesem Boden bleibe, ist eine grosse Frage! – Unterhalt für mich, dich und deine Kinder finde ich überall, vielleicht auch ein Vaterland, wie ich es wünsche; Luzern habe ich satt.“
Aber warum wieder Wien? Dort hatte am 18. September gerade der Kongress zur Neuordnung Europas durch die siegreichen Grossmächte begonnen. Dort sollte sich auch das Schicksal der Schweizerischen Eidgenossenschaft entscheiden! Troxler schien zu hoffen, die Verhandlungen über die Zukunft der Schweiz in irgendeiner Weise in seinem Sinne beeinflussen zu können.
Um die Luzerner Regierung zu täuschen, damit sie nicht Wind von seinen Plänen bekam, reichte er anfangs Oktober ein Revisionsbegehren gegen das Urteil ein. Dann reiste er mit seiner Familie heimlich ab, aber nicht, bevor er in einer neuen Flugschrift nochmals die Gründe aufgezählt hatte, die zur Petition führten, — und fügte diese gleich nochmals im genauen Wortlaut an …
Viele Jahre später hat Troxler seine Urheberschaft an der Petition angetönt. Sein Biograf Daniel Furrer meint dazu: „Es sollte sich in Zukunft bei allen Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit zeigen, dass Troxler an ein Recht zur Notlüge glaubte. Der Philosoph als Lügner, auch dies gehört zur Persönlichkeit Troxlers.“
“Der Philosoph als Lügner”, — das hat einen negativen Beigeschmack und wirft spannende philosophische und ethische Fragen auf: Unter welchen Umständen sind Notlügen erlaubt und notwendig, ja sogar ethischer, als die Wahrheit zu sagen?
Nehmen wir ein extremes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Im besetzten Frankreich ist ein Mitglied der Résistance verhaftet worden. Es wird nach weiteren Mitgliedern befragt, eventuell sogar gefoltert. Wir würden wahrheitsgemässe Aussagen sicherlich als schwerwiegenden Verrat taxieren.
Aber wie steht es mit der „reservatio mentalis“, wie sie der Jesuitenorden propagierte? Moralisch verwerflich, oder im Sinne von „Der Zweck heiligt die Mittel“ ethisch erlaubt? 2014 forderte sogar Papst Franziskus, Mitglied des Jesuitenordens, in Anlehnung an das bekannte Jesus-Zitat „Seid klug wie die Schlangen …“ Christen in bestimmten Situationen zu „geistlicher Gerissenheit“ und „heiliger Schläue“ auf.
Hat Troxler damals also als Philosoph ethisch einwandfrei gehandelt oder nicht? Diese Frage mögen die geneigten Leserinnen und Leser selber für sich entscheiden …
Wir werden ihn in der nächsten Folge bei seinen Bemühungen begleiten, am Wiener Kongress für eine politisch gerechtere Ordnung in einer erneuerten Schweiz zu kämpfen.
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