In den 60er-Jahren eröffnete sich für Hein­er Koech­lin ein neues Betä­ti­gungs­feld. Anfangs 1961 unterze­ich­neten die Schweiz und Spanien ein Abkom­men über Arbeitsmi­gra­tion ähn­lich dem­jeni­gen mit Ital­ien 1948. Die Nach­frage nach “Frem­dar­beit­ern”, später wun­der­sam in “Gas­tar­beit­er” ver­wan­delt, war mas­siv gestiegen. Die Schweiz­er Wirtschafts­führer waren zufrieden, auf noch nicht so gut informierte Arbei­t­erin­nen und Arbeit­er aus Spanien auszuwe­ichen, denn die Ital­iener began­nen ver­mehrt Ansprüche auf den schweiz­erischen Sozial­staat anzumelden.

Das Prob­lem war nur, dass auf Schweiz­er Seite die Spanisch-
ken­nt­nisse mehr als dürftig waren und es nicht die ger­ing­ste Vor­bere­itung für den Emp­fang der neuen Arbeit­skräfte gab. Ein­mal lud ein Bus­fahrer “seine Ladung Spanier” aus Andalusien am Peters­graben ab, wo sie dann völ­lig ver­loren herum­standen.
Ein Anwohn­er brachte einen der völ­lig verzweifel­ten Spanier zu Koech­lin, — und das war der Beginn ein­er neuen Beratungstätigkeit: Das Buschtele­fon brachte immer mehr hil­fe­suchende  Spanier zum Spanisch sprechen­den Buch­händler am Spalen­berg. Koech­lin küm­merte sich um Aufen­thalts- und Arbeit­ser­laub­nis, ver­han­delte mit Arbeit­ge­bern und Ver­mi­etern und leis­tete Über­set­zungsar­beit.

Als ihm das Engage­ment über den Kopf zu wach­sen dro­hte, grün­dete er mit ein paar Helfern das “Komi­tee für Schutz und Beratung für spanis­che Arbeit­er”. Schliesslich gelang es ihm, das Ge-werkschaft­skartell Basel davon zu überzeu­gen, eine offizielle Beratungsstelle einzuricht­en. Koech­lin arbeit­ete dort über viele Jahre hin­weg tatkräftig als Über­set­zer und Berater mit und stellte ein Kul­tur­pro­gramm mit Vor­tragsrei­hen und ein­er Bib­lio­thek mit spanis­chen Büch­ern auf die Beine. Sog­ar eine The­ater­gruppe ent­stand, die jew­eils in Basel und Mul­house mit grossem Erfolg auf­trat.

Doch dann kam ihm die Poli­tik in die Quere: Die Kom­mu­nis­ten in Basel began­nen, seine Arbeit sys­tem­a­tisch zu unter­graben. Manch­mal ging es richtig heiss zu und her: Als Koech­lin ein­mal eine berühmte spanis­che Anar­chistin für einen Vor­trag ein­lud und diese sich erdreis­tete, die repres­sive Poli­tik Fidel Cas­tros zu kri­tisieren, explodierten die Kom­mu­nis­ten im Saal des Volk­shaus­es mit über 1000 Spaniern: “… als ein­er der Stal­in­jünger die Red­ner­in als “Faschistin” tit­ulierte, wurde Ramón (ein spanis­ch­er Anar­chist) von Wut ergrif­f­en. Er riss die Flasche, die er in der Hand hat­te, in die Höhe und hätte sie auf den Kopf des Läster­ers nieder­sausen lassen, wenn ich, der neben ihm stand, ihm nicht rechtzeit­ig in den Arm gefall­en wäre. Wäre der Stre­ich gefall­en, so hätte dies mit Sicher­heit eine all­ge­meine Prügelei aus­gelöst und diese wiederum ein Ein­greifen der Polizei. Die Fol­gen wären nicht auszu­denken gewe­sen”.

Ein­er der anar­chis­tisch gesin­nten Spanier, welch­er in der von Koech­lin gegrün­de­ten lib­ertären Gruppe mitar­beit­ete, war ein junger Werk­stu­dent an der Uni Basel: Car­los Gilly. Der aus ein­er Arbeit­er­fam­i­lie stam­mende Gilly fre­un­dete sich inten­siv mit Koech­lin und Auf­se­her an und  heiratete später sog­ar dessen Tochter. Gilly wurde unter anderem zu einem her­aus­ra­gen­den Erforsch­er  der frühen Rosenkreuzer-Bewe­gung, arbeit­ete während Jahrzehn­ten als Wis­senschaftlich­er Bib­lio­thekar an der Bib­lio­the­ca Philo­soph­i­ca Her­met­i­ca in Ams­ter­dam und lehrte bis 2004 als Pri­vat­dozent für All­ge­meine und Schweiz­er Geschichte an der Uni Basel.

1968! Das Jahr, das im West­en ein eigentlich­es poli­tis­ches, wirtschaftlich­es und kul­turelles Erd­beben aus­löste … Wie diese Grundwelle auch in der Schweiz ein paar Dinge auf den Kopf stellte, kann man in ein­er span­nend erzählten Serie des “Blick” nach­le­sen. An der Uni Basel ent­stand die Pro­gres­sive Stu­den­ten­schaft, die sich 1971 zur über­re­gionalen POCH (Pro­gres­sive Organ­i­sa­tio­nen der Schweiz) weit­er­en­twick­elte. Per­sön­liche Erin­nerun­gen tauchen bei mir auf: Sem­i­nar­boykotte, Gegensem­inare an der Uni, Flug­blät­ter mit Che Gue­vara-Kon­ter­feis und flam­menden Protesten gegen den Viet­namkrieg …

Es kon­nte nicht aus­bleiben, dass Hein­er Koech­lin wieder zu ein­er gefragten Per­son wurde. Eine kleine Gruppe Inter­essiert­er traf sich jew­eils ein­mal im Monat am Mittwochabend für Diskus­sio­nen vor dem Anti­quar­i­at und organ­isierte auch ver­schiedene Vorträge. Doch die Zusam­me­nar­beit hielt sich in Gren­zen und ver­sandete nach weni­gen Jahren wieder, denn Koech­lin erkan­nte sehr bald, dass die “neue Linke” kri­tik­los Idole wie Mao oder Fidel Cas­tro ver­her­rlichte, viel Ver­ständ­nis für Stal­ins Nach­fol­ger zeigte, — und let­ztlich von den Ideen, die ihm am Herzen lagen, wenig ver­stand:

Die oppo­si­tionelle Stu­den­ten­be­we­gung, die wieder von sich reden macht, lebt heute noch fast auss­chliesslich von Nega­tio­nen. In ihrer Mehrheit fol­gt sie irgen­dein­er bolschewisieren­den Fahne und spricht einen oft bis zur Unver­ständlichkeit karikierten pseu­do­di­alek­tis­chen Jar­gon. Soweit sie sich anar­chis­tisch nen­nt, ver­ste­ht sie darunter oft nichts anderes als einen beson­ders radikalen Extrem­is­mus, dem ein pos­i­tives soziales Ziel fehlt”. Doch etwas Hoff­nung blieb Koech­lin: “Doch kön­nte hier den­noch ein Anfang von etwas Neuem sein, das seine Form über Nieder­la­gen und Ent­täuschun­gen hin­weg erst find­en muss.” 50 Jahre später warten wir allerd­ings immer noch darauf …

Diese Zeilen find­en sich am Schluss eines Artikels mit dem Titel “Anar­chis­mus. Gefahr, Illu­sion, Hoff­nung?”, der am 29. Juni 1969 in der Son­ntags­beilage der Nation­al-Zeitung Basel erschien. Darin find­en sich ein paar grundle­gende und tief­schür­fende Ein­sicht­en über men­schliche Gesellschaftssys­teme. Die drei näch­sten Fol­gen drehen sich um zen­trale Aus­sagen in seinem Text. Es ist eine höchst lohnenswerte Lek­türe, — deshalb

Sam­stag, den 11. Juni nicht ver­passen 🙂

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