Felix und Hei­ner Koech­lin um 1935

Als Mit­glie­der der Sozia­lis­ti­schen Jugend sahen sich Hei­ner Koech­lin und sein Bru­der Felix schon bald mit den tie­fen Grä­ben kon­fron­tiert, wel­che die Lin­ke nach der Macht­er­grei­fung Sta­lins spalteten.
Die Geschich­te der bru­ta­len Nie­der­schla­gung des Auf­stan­des der Kron­städ­ter Matro­sen 1921 gegen die bol­sche­wis­ti­sche Macht­mo­no­po­li­sie­rung war für Koech­lin der ent­schei­den­de Aus­lö­ser für sei­ne immer kri­ti­sche­re Hal­tung gegen­über dem Kom­mu­nis­mus, ins­be­son­de­re in des­sen stalin’scher Aus­prä­gung. “Nie­der mit Hit­ler und Sta­lin! Es lebe die sozia­lis­ti­sche Revo­lu­ti­on”, rie­fen die Brü­der anläss­lich einer 1. Mai-Kund­ge­bung zusam­men mit ihren Freun­den der Sozia­lis­ti­schen Jugend. “Hin­aus mit den Schäd­lin­gen aus der Arbei­ter­be­we­gung”, tön­te es aus der kom­mu­nis­ti­schen Jugend­grup­pie­rung zurück.

Sozia­lis­ti­sche Jugend 1934 in Basel

Also Unter­stüt­zung der Sozi­al­de­mo­kra­ten! Anläss­lich der Bas­ler Gesamt­erneue­rungs­wah­len 1935 fuh­ren sie mit einem klei­nen Last­wa­gen durch die Quar­tie­re und brüll­ten die Namen der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Kan­di­da­ten. Gute alte Zeit 😉 Der Erfolg blieb dank einer Lis­ten­ver­bin­dung mit den Kom­mu­nis­ten nicht aus, doch Koech­lin dazu spä­ter: “Das rote Basel, für das wir so eif­rig gewor­ben hat­ten, war eine gros­se Ent­täu­schung. An der Lage der Arbei­ter­schaft änder­te sich kaum etwas.”

Damals wur­de er auch mit dem Schick­sal der vie­len poli­ti­schen Flücht­lin­ge kon­fron­tiert. Als ein scho­ckie­ren­des Bei­spiel erleb­te er 1939  die Geschich­te eines jüdi­schen Flücht­lings, der wegen uner­laub­ten Hau­sie­rens mit Blei­stif­ten ver­haf­tet wor­den war. Ange­sichts der dro­hen­den Aus­lie­fe­rung ver­such­te er sich in der Arrest­zel­le im Badi­schen Bahn­hof das Leben zu neh­men, indem er sich die Hand­ge­len­ke auf­schnitt, was ihm aber miss­lang. Man nahm ihm drei Fran­ken für die Rei­ni­gung der Zel­le ab und schaff­te ihn umge­hend aus. Sol­che Erfah­run­gen lies­sen Koech­lin noch 1979 harsch urtei­len: “Ein­zel­ne Per­sön­lich­kei­ten haben sich für die Flücht­lin­ge ein­ge­setzt. Behör­den, Orga­ni­sa­tio­nen und Kir­chen haben alle ver­sagt.”

Im glei­chen Jahr ende­te auch sei­ne Mit­glied­schaft bei der Sozia­lis­ti­schen Jugend. Bas­ler Kom­mu­nis­ten ver­schrien die bei­den Brü­der an einer Ver­samm­lung in Zürich als Poli­zei­spit­zel, wor­auf sie kur­zer­hand aus dem Saal gewor­fen wur­den. “Das Ent­täu­schen­de dabei war, dass wir von unse­ren schein­bar guten Freun­den aus Basel, mit denen wir froh­ge­mut nach Zürich gefah­ren waren, “im Namen der Ein­heit” im Stich gelas­sen wur­den.”

Damit begann für Koech­lin der Weg zum Anar­chis­mus und zu den “hei­mat­lo­sen Linken”.

Kro­pot­kin um 1900

Die­ses mensch­li­che Wär­me aus­strah­len­de Buch mach­te mich zum Anar­chis­ten”, schrieb Koech­lin in sei­nen Memoi­ren. Es han­del­te sich um die Lebens­er­in­ne­run­gen von Pjotr Kro­pot­kin, dem rus­si­schen ade­li­gen Geo­gra­phen, der dank einem Kon­takt mit der liber­tä­ren Jura­fö­de­ra­ti­on in Neu­châ­tel zum Anar­chis­ten gewor­den war und heu­te vor allem dank sei­nem Werk “Gegen­sei­ti­ge Hil­fe in Tier- und Men­schen­welt” — einer Wider­le­gung der The­sen des Sozi­al­dar­wi­nis­mus — in der öffent­li­chen Erin­ne­rung geblie­ben ist.

Dazu kam die dra­ma­ti­sche Episode
des kur­zen anar­chis­ti­schen Som­mers 1936 im Spa­ni­schen Bür­ger­krieg, der vor allem auf Befehl Sta­lins durch kom­mu­nis­ti­sche Unter­drü­ckung ein jähes Ende fand. Koech­lin wid­me­te ihm übri­gens vie­le Jah­re spä­ter die his­to­ri­sche Stu­die “Die Tra­gö­die der Frei­heit”. Eine span­nen­de fil­mi­sche Rück­schau mit vie­len berüh­ren­den Inter­views über­le­ben­der Anar­chis­ten fin­det sich hier.

Lui­gi Bertoni

Ent­schei­dend war aber die direk­te per­sön­li­che Begeg­nun­gen mit ita­lie­ni­schen Anar­chis­ten wie Lui­gi Ber­to­ni und die Aus­ein­an­der­set­zung mit “hei­mat­lo­sen Lin­ken” wie Manès Sper­ber oder Arthur Koest­ler, die ihren urei­gens­ten Weg aus­ser­halb von Par­tei­dok­tri­nen gingen.

Das Volks­haus 1940

Im 1923 vom Kan­ton für die Arbei­ter­schaft gebau­ten Volks-haus an der Reb­gas­se lern­te Koech­lin schliess­lich jene Freun-de ken­nen, die ihn über vie­le Jah­re beglei­ten wür­den, allen vor­an der Emi­grant Ignaz Auf­se­her, der nach einer lan­gen Odys­see aus Ost­ga­li­zi­en über Deutsch­land, Spa­ni­en und Frank­reich 1939 schliess­lich als Flücht­ling in Basel lan­de­te. Mit Auf­se­her soll­te er eini­ge Jah­re nach dem 2. Welt­krieg das bekann­te Bücher­an­ti­qua­ri­at am Spa­len­berg aufbauen.

Charles Maur­ras

Es konn­te nicht aus­blei­ben, dass er ange­sichts sei­ner aus bür­ger­li­cher War­te dubio­sen Kon­tak­te frü­her oder spä­ter ins Visier der Bun­des-poli­zei geriet. Bei einer Akti­on gegen einen Vor­trags­abend des fran­zö­si­schen Rechts­extre­mis­ten und Anti­se­mi­ten Charles Maur­ras in Basel auf Ein­la­dung der Bas­ler Socié­té d’Etu­des fran­çai­ses griff die Poli­zei ein, und Koech­lin hat­te sei­nen ers­ten Ein­trag in der Staats-schutz­fi­che, wie er 1989 anläss­lich der Fichen-Affä­re zur Kennt­nis neh­men durf­te. Es soll­te nicht der ein­zi­ge bleiben.

Als sich 1944 der zwei­te Welt­krieg dem Ende näher­te, sahen die Koech­lin-Brü­der und ihre Freun­de eine neue Zeit der Frei­heit auf­däm­mern, und sie ver­fass­ten eine Flug­schrift mit dem Titel “Die kom­men­de Revo­lu­ti­on”. Sie ist erfüllt von jugend­li­chem Enthu­si­as­mus — Koech­lin war 25 — und fass­te nichts weni­ger als eine radi­kal erneu­er­te Gesell­schaft auf sozia­ler Grund­la­ge ins Auge, doch auf föde­ra­lis­ti­scher und frei­heit­li­cher Basis (hier ein paar weni­ge Auszüge).

Der Auf­ruf endet mit einer Absa­ge an jeg­li­chen Zwang: “Der Auf­bau des Sozia­lis­mus braucht einen neu­en Men­schen, der sich von vie­len Vor­ur­tei­len der bür­ger­li­chen und auto­ri­tä­ren Zeit frei­ge­macht hat. Die­ser Befrei­ungs­pro­zess geht nicht auto­ma­tisch vor sich, er kann nicht von oben ange­ord­net wer­den. Er fin­det nur statt in der frei­en geis­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung. Wir müs­sen daher kon­se­quent ein­ste­hen für die Frei­heit der Rede, der Schrift, der Wis­sen­schaft, der Reli­gi­on, für die Ver­samm­lungs- und Orga­ni­sa­ti­ons­frei­heit.

Auf die­ser Grund­la­ge woll­te Hei­ner Koech­lin sein Leben und sei­nen Kampf um sozia­le Gerech­tig­keit auf­bau­en. Dar­über mehr in der nächs­ten Episode.

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