Da Hel­ve­tia im let­zten Gespräch eine Anspielung auf die “ewige Eidgenossen­schaft” machte und sich bere­it erk­lärte, sich dazu etwas ver­tiefter zu äussern, fasste sich der Schreiber­ling kür­zlich wieder ein Herz, wan­delte nach Mit­ter­nacht über die Mit­tlere Brücke und fand — war es der magis­che Code oder der nahende Voll­mond? — bei unser­er Lan­desmut­ter erneut Gehör:

Sch: Edle Hel­ve­tia, habe Dank für deine Bere­itschaft, mir darzule­gen, was es mit der “ewigen Eidgenossen­schaft” auf sich hat. Das hat mich seit dem let­zten Mal doch etwas beschäftigt ..
Hel­ve­tia: Warum?
Sch: Auch wenn die His­torik­er heute das tra­di­tionelle Geschichts­bild von der Grün­dung der Eidgenossen­schaft nach allen Regeln der his­torischen Wis­senschaft zerpflück­en, bleibt das Bild von den wack­eren drei Man­nen auf dem Rütli, die sich gegen­seit­ig Bei­s­tand zur Wahrung ihrer Frei­heit schworen, den­noch in unseren Köpfen ver­ankert. Und sie posieren im Bun­de­shaus an promi­nen­ter Stelle!
Hel­ve­tia: Es ist ja auch ein schönes Bild, und es geht immer­hin um das höch­ste Gut für euch Men­schen: die Frei­heit!
Sch: Ein­ver­standen, aber das Prob­lem ist ja ger­ade, dass es mit der Frei­heit damals in der Inner­schweiz gar nicht soweit her war! Der Bun­des­brief von 1291 bekräftigt aus­drück­lich, dass “jed­er nach seinem Stand seinem Her­rn geziemend dienen soll”. Wern­er Mey­er und Ange­lo Garovi schreiben in ihrem Buch “Die Wahrheit hin­ter dem Mythos. Die Entste­hung der Schweiz”: “... Jeden­falls hat der Bun­des­brief in den Wald­stät­ten wed­er ein all­ge­meines Gefühl der Befreiung noch ein neues poli­tis­ches Bewusst­sein und schon gar keinen Gedanken an die “Grün­dung” eines kün­fti­gen Staatswe­sens geweckt”. Da passen die drei Schwören­den auf dem Rütli ein­fach nicht hinein. Und trotz­dem bleibt das Bild  in mir lebendig.
Hel­ve­tia: Warum?
Sch: Du bist mit deinem ewigen “Warum” ziem­lich hart­näck­ig … (sin­nt nach). Ich ver­mute, vielle­icht ver­mit­telt es noch etwas anderes als nur den Kampf um eine poli­tis­che Frei­heit, die es damals so, wie wir es heute ver­ste­hen, gar nicht gab. Die Eidgenossen sahen sich ja bis ins 17. Jahrhun­dert hinein als Teil des Heili­gen Römis­chen Reich­es.
Hel­ve­tia: Was kön­nte denn dieses “etwas anderes” gewe­sen sein? Erin­nerst du dich noch, welche Worte Friedrich Schiller den Dreien bei ihrem Schwur in den Mund gelegt hat?
Sch: Nicht wortwörtlich. Aber dafür gibt es heute ja Google und Smart­phones … Aha, hier haben wir es schon:
Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern/ in kein­er Not uns tren­nen und Gefahr./ Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, / eher den Tod, als in der Knechtschaft leben./ Wir wollen trauen auf den höch­sten Gott / und uns nicht fürcht­en vor der Macht der Men­schen.
Da erin­nere ich mich plöt­zlich an die Tell-Auf­führung von Ste­fan Bach­mann vor Jahren im Basler The­ater, wie dem Pub­likum diese Worte durch Mark und Bein gin­gen und das Spek­takel mit ein­er ste­hen­den Ova­tion endete!
Hel­ve­tia: Das hat seine Gründe. Fällt dir in diesem Schwur etwas auf?
Sch: Na ja, da wird Einigkeit beschworen, und selb­stver­ständlich die Frei­heit ..
Hel­ve­tia: Und!?
Sch: ... und das Ver­trauen auf den höch­sten Gott. — Moment mal … verbindet Schiller hier vielle­icht die Frei­heit mit diesem Ver­trauen!?
Hel­ve­tia: Wenn ich nicht die edle Lan­desmut­ter wäre, würde ich jet­zt sagen: Bin­go!
Sch: Du meinst, ich bin hier auf ein­er heis­sen Spur? Das leuchtet mir aber, ehrlich gesagt, nicht ganz ein. Ich habe “Frei­heit” und “Gott” bis jet­zt nicht unbe­d­ingt zusam­menge­bracht. Wenn ich so an die 2000 Jahre Kirchengeschichte denke …
Hel­ve­tia: Was haben die Kirchen mit Gott zu tun?
Sch: (stutzt) Du sprichst ja plöt­zlich wie der The­ologe Leon­hard Ragaz!
Hel­ve­tia: Mit Ragaz habe ich mich immer gut ver­standen ..
Sch: (schluckt leer) Ach so, den kennst du auch?
Hel­ve­tia: Natür­lich, ich bin schliesslich die Hel­ve­tia! Aber unser Gespräch nähert sich dem Ende.
Sch: Lass mich nach­denken … Vielle­icht macht es Sinn, bis zum näch­sten Mal etwas über den Zusam­men­hang “ewige Eidgenossen­schaft”, “Frei­heit” und “Gott” zu medi­tieren?
Hel­ve­tia: Das macht vielle­icht tat­säch­lich Sinn.
Sch: Und ich darf dich anschliessend wieder auf­suchen?
Hel­ve­tia: (huld­voll) Das sei dir gewährt.

Her­aus­fordernde Auf­gabe! Aber vielle­icht gibt es ja birsfaelder.li-Leserinnen und Leser, die ihre eige­nen Ideen dazu haben?

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