Seit dem letzten Treffen mit unserer Landesmutter ist fast ein Monat vergangen. Die Antwort Helvetias auf das kirchliche Dogma der Erlösung von unseren Sünden durch den Opfertod Jeshua ben Josephs: “Das ist wahr und falsch zugleich”, hat den birsfaelder.li-Schreiberling auf eine längere Suche geschickt. Dabei stiess er auf die Aussage eines bulgarisch/französischen spirituellen Lehrers, Mikhael Aivanhov, die er der Helvetia unterbreiten wollte.
Schreiberling: Hochedle Helvetia, deine Bemerkung zum Tode Jeshuas am Kreuz hat mich zu einer interessanten Entdeckung geführt, über die ich gerne mit dir sprechen würde.
Helvetia: Ich bin offen.
Sch: Also … Aivanhov beginnt mit unserer falschen Gottesvorstellung:
Existiert Gott? Und wenn Er existiert, ist Er so oder so? Und was ist der Mensch im Vergleich zu Gott? Wie soll man die menschliche Natur gegenüber der göttlichen Natur definieren? Das sind Fragen, die man nicht mehr stellen darf. Man muss einfach wissen, dass Gott nicht nur unser Schöpfer, sondern auch unser Vater ist, und dass wir von der gleichen Essenz sind wie Er. Als Jesus sagte: »Mein Vater und ich, wir sind eins,« hat er die größten Geheimnisse der Religion in wenigen Worten zusammengefasst.”
H: Ich sehe den Bezug zu unserem Thema nicht ganz.
Sch: Der wird gleich klar. Ich zitiere weiter:
Manche werden sagen: »Ja, aber wir sind nicht Jesus. Er war wirklich der Sohn Gottes, während wir …« Jetzt hört mir aber mal gut zu! Wenn die Kirche aus Jesus eine Entsprechung von Gott, die zweite Person der Dreieinigkeit, Christus, ein kosmisches Prinzip machen wollte und so zwischen Ihm und den Menschen eine unendliche Distanz herstellen wollte, ist es ihre Sache. Jesus selbst hat so etwas niemals gesagt. Jesus hat niemals behauptet, aus einer anderen Essenz als die anderen Menschen zu sein. Als er sagte, er sei der Sohn Gottes, tat er das nicht, weil er andeuten wollte, dass er über dem Rest der menschlichen Gattung stünde. Im Gegenteil. Indem er sagte, er sei der Sohn Gottes, hat er auch die göttliche Natur aller Menschen unterstrichen. Was würden sonst seine Worte bedeuten: »Seid vollkommen wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!« oder auch: »Wer an mich glaubt, wird die Werke tun, die ich tue und er wird sogar noch größere vollbringen.«?
Wenn Jesus gesagt hat, dass wir die gleichen Werke vollbringen werden wie er, so bedeutet das, dass wir von der gleichen Essenz sind wie er. Warum haben die Christen diesen Aspekt seiner Lehre vernachlässigt? Weil sie auch da wieder einmal faul sind, ganz einfach; sie wollen keinerlei Anstrengung unternehmen, um den Spuren Jesu zu folgen. Sie sagen: »Da er der Sohn Gottes war, war er vollkommen. Deswegen ist es normal, dass er ein außergewöhnliches Wissen, außergewöhnliche Tugenden und Kräfte hatte. Während wir armen Unglücklichen, die wir von Natur aus unvollkommen und sündhaft sind, zwangsläufig schwach, egoistisch und bösartig sind.«
H: Das tönt durchaus einleuchtend.
Sch: Ja, aber die Folgerung, die Aivanhov daraus zieht, dürfte den Kirchen keine grosse Freude machen:
Aber nein, es ist nicht normal, wir sind Söhne Gottes, genau wie Jesus Gottes Sohn war. Der einzige Unterschied ist, dass Jesus sich seiner göttlichen Natur und seiner göttlichen Bestimmung bewusst war und dass er in diesem Sinne gearbeitet hat. Er hatte natürlich schon in früheren Inkarnationen gearbeitet und kam auf die Erde mit immensen Möglichkeiten und einer sehr klaren Vorstellung seiner Mission. Aber auch er musste eine sehr große innere Arbeit leisten, Versuchungen widerstehen, fasten, beten. Habt ihr ein wenig die Evangelien gelesen? Warum musste Jesus bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr warten, um den Heiligen Geist zu empfangen? Und warum hat der Teufel ihn versucht?
H: Und was hältst du von diesen Überlegungen?
Sch: Sie scheinen mir durchaus stimmig zu sein. Aber gleichzeitig bedeutet es, dass ich das traditionelle kirchliche Jesus-Bild definitiv loslassen muss, das — wie ich feststelle — dank meiner kirchlichen Erziehung immer noch in meinem Unterbewusstsein verankert ist.
H: Das ist tatsächlich eine Herausforderung, aber es ist heute mehr denn je nötig, sich ihr zu stellen. Doch die Frage zum Opfertod ist immer noch offen!
Sch: Natürlich. Aber im nächsten Abschnitt geht Aivanhov genau darauf ein:
Durch sein Beispiel und seinen Opfertod hat Jesus uns den Weg bereitet, damit wir, wie er selbst gesagt hat, die gleichen Werke vollbringen können wie er. Wenn wir uns dieser Ähnlichkeit zwischen Jesus und uns nicht bewusst sind, so allein deshalb, weil wir durch alle möglichen fremden Elemente unsere göttliche Natur überdecken ließen. Nun können wir sie natürlich nicht mehr erkennen. Wenn wir aber mit Liebe und Weisheit an unseren Gedanken, Gefühlen und Handlungen arbeiten, um sie zu reinigen, werden wir diese göttliche Natur allmählich in uns erwachen fühlen. Ja, wir müssen zu diesem Bewusstseinszustand kommen, in dem wir niemals mehr von Gott getrennt sind. Wir sind ein Teil von Ihm, wir existieren nicht außerhalb von Ihm.
H: Das tönt ziemlich revolutionär. Was leitest du daraus für das christliche Dogma und dein Leben ab?
Sch: Gute Frage. Da brauche ich aber etwas Zeit zum Überlegen …
H: Die sei dir gewährt.
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