Offensichtlich beginnt sich der 3 Wochen-Rhythmus für die Begegnung mit unserer edlen Landesmutter zu etablieren. Hier also der neue Mitternachtsdialog, — für einmal bei angenehmeren Temparaturen.
Schreiberling: Hochedle Helvetia, ich würde den letzten Dialog vor drei Wochen gerne weiterführen, wenn du erlaubst.
Helvetia: Das sei dir gewährt.
Sch: Du hast mich ja gebeten, mich zur Frage, was es eigentlich mit dem “Ich” auf sich hat, bei C.G. Jung umzuschauen. Das habe ich getan, aber nur um festzustellen, dass die beste Zusammenfassung dessen, was Jung unter “Ich-Bewusstsein” versteht, für mich auf Wikipedia zu finden war.
H: “Wikipedia” ist — trotz gelegentlicher Schwächen — eine hilfreiche Institution.
Sch: Das sehe ich auch so. Doch dann wurde mir klar, dass mich ein anderer Aspekt dieses Themas stärker interessiert, nämlich seine Ausführungen zur “Persona” und zum “Schatten”.
H: Wie das?
Sch: Mir scheint, dass es gerade in der heutigen Zeit sinnvoll wäre, sich damit intensiv auseinanderzusetzen. Übrigens: auch dazu bietet Wikipedia eine gute Einführung.
H: Was führt dich denn zu dieser Überzeugung?
Sch: Ich erkläre das am besten an einem Beispiel: Die SVP hat es sich seit Längerem zur Gewohnheit gemacht, all jene, die sich für eine soziale Schweiz, für Menschenrechte und Umwelt einsetzen, als “Gutmenschen” zu verhöhnen.
H: “Gutmensch” tönt doch positiv?
Sch: Eben gerade nicht. “Gutmenschen” sind Menschen, die eine Maske des “Guten” tragen, aber das ist lediglich eine Show, hinter der sich höchst negative Eigenschaften verbergen: Neid, Habsucht, Falschheit, Unehrlichkeit, Feigheit, — und die Angst, den Realitäten des Lebens wirklich in die Augen zu schauen, — die Liste liesse sich beliebig verlängern. Hauptvorwurf: “Gutmenschen” predigen Wasser und trinken Wein.
H: In der Tat, kein erbauliches Bild!
Sch: Durchaus, aber “Gutmensch” kann als Totschlaginstrument für alle jene verwendet werden, die mit der heutigen Gesellschaftsordnung grundsätzlich nicht einverstanden sind. Man unterstellt ihnen, sie würden — und jetzt komme ich wieder auf Jung zu sprechen — ihren eigenen “Schatten” nicht zur Kenntnis nehmen. Hier ist ein Schema, die das Jung’sche Konzept des “Schattens”, den jede/r in sich trägt, verdeutlicht. (will Helvetia das Bild zeigen)
H: Ist nicht nötig, C.G. Jung ist mir durchaus vertraut. Doch zurück zu deiner Überzeugung, dass die Auseinandersetzung mit der “Persona” und dem “Schatten” heute dringend notwendig wäre. Dass eine Partei, die ihren eigenen Schatten hat, sich über “Gutmenschen” ereifert, könnte man ja einfach achselzuckend zur Kenntnis nehmen.
Sch: Das könnte man natürlich, wenn sowohl “Persona” als auch “Schatten” in der Weltpolitik nicht eine immer grössere Rolle spielen würden. Putin rechtfertigt seinen Angriffskrieg mit der Begründung, er müsse die Ukraine vom Faschismus befreien, Trump will Amerika gegen die bösen Kommunisten, Faschisten, Atheisten und blutvergiftenden Migranten verteidigen, Orban Ungarn vor der Zerstörung der heiligen Familie durch “Woke”-Fanatiker beschützen, und die SVP …
H: Schon gut, schon gut. Warum ereiferst du dich so? Gibt es da vielleicht auch bei dir noch einen “Schatten”, den du nicht zur Kenntnis nehmen willst?
Sch: Jetzt hast du mich aber kalt erwischt … Weisst du was? Könnte das berühmte Wort Jesu: ” „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?” genau mit dieser Problematik zu tun haben!?
H: Schon wieder “Bingo”. Du scheinst Fortschritte zu machen …
Sch: Danke für das Kompliment. Damit liegt die Lösung des Problems auf der Hand: Es gilt, sich lediglich seines eigenen Schattens bewusst zu werden, und überall auf der Erde herrscht Frieden!
H: Ausgezeichnete Idee! Dann würde ich dir vorschlagen, dass du genau das bis zu unserem nächsten Gespräch tust.
Sch: Hmm, — na ja, wenn du meinst …
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