Eigent­lich funk­tio­nie­ren magi­sche Codes bei Voll­mond am bes­ten, aber die­ser scheint so wirk­mäch­tig zu sein, dass der Schrei­ber­ling das nächs­te Gespräch mit Hel­ve­tia auch bei Neu­mond füh­ren konn­te. Hier ist es:

Sch: Etwas ist mir beim Nach­sin­nen über den Zusam­men­hang zwi­schen „ewi­ger Eid­ge­nos­sen­schaft, Frei­heit und Gott“ klar gewor­den: Wir sind es nicht gewohnt, „Frei­heit“ mit „Gott“ in Ver­bin­dung zu brin­gen, auch wenn das unse­re Ver­fas­sung mit ihrer Prä­am­bel sehr wohl tut.
Hel­ve­tia: Hast du dir auch Gedan­ken gemacht, war­um das so ist?
Sch: Nun, es beginnt schon mit der Fra­ge, was wir uns unter die­sem „Gott“ über­haupt vor­stel­len sol­len. Hat Nietz­sche nicht schon vor vie­len Jah­ren den Tod Got­tes verkündet?
Hel­ve­tia: Und was hältst du davon?
Sch: Es scheint mir, dass Nietz­sche damit ein­fach aus­drü­cken woll­te, dass er mit einem „äus­se­ren Gott“, der „die Welt regiert“ nicht mehr viel anfan­gen konn­te: Das Bild war tot, — und der jüdi­sche Phi­lo­soph Hans Jonas bekräf­tig­te spä­ter eben­falls, dass nach Ausch­witz ein all­mäch­ti­ger Gott schlicht nicht mehr denk­bar sei.
Hel­ve­tia: Inter­es­sant, dass du von einm “toten Bild” sprichst. Heisst es nicht in den zehn Gebo­ten, man sol­le sich kein Bild von Gott machen?
Sch: Du hast recht. Da kommt mir eine Idee. Wenn es die­sen all­mäch­ti­gen Gott nicht gibt, könn­te es viel­leicht sein, dass er — wenn er wirk­lich exis­tie­ren soll­te — sich ganz im Gegen­teil völ­lig in den Hin­ter­grund zurück­ge­zo­gen hat und uns Men­schen schal­ten und wal­ten lässt, wie es uns beliebt?
Hel­ve­tia: Was heisst das in Bezug auf Freiheit?
Sch: Na ja .. dass er uns die die Frei­heit gibt, alles zu tun, was uns ein­fällt. — Moment mal, Hel­ve­tia, glaubst du das wirk­lich? Was ist denn mit dem gan­zen Sün­den­the­ma und dem Höl­len­pfuhl, der alle erwar­tet, die wie­der sei­ne Gebo­te han­deln? Wenn er uns Men­schen tat­säch­lich die abso­lu­te Frei­heit schenkt, dann dürf­te er uns ja auch nicht bestra­fen, wenn wir mas­siv über die Strän­ge hau­en, — so mit ein paar Mör­der­chen, oder einem Holocaust …
Hel­ve­tia: Nun, als Hel­ve­tia sage ich dir: Er tut das tat­säch­lich nicht.
Sch:… !? !?
Hel­ve­tia: War­um soll­te er auch? Du wirst nach ein paar Mör­der­chen lang­sam, viel­leicht sehr lang­sam erken­nen, dass du damit das ein­zi­ge Gesetz ver­letzt hast, auf dem Gott sei­ne gesam­te Schöp­fung auf­baut.
Sch: Und das wäre?
Hel­ve­tia: Die Lie­be.
Sch: Also sag mal, ich erken­ne viel­leicht kurz vor mei­nem Tod, dass mein Ver­hal­ten gegen das Gesetz der Lie­be ver­stos­sen hat, und dann ist alles wie­der gut? Das kann doch nicht so ein­fach — und unge­recht! — sein!!
Hel­ve­tia: Das ist es auch nicht, denn in einem kom­men­den Leben wirst du ganz hand­fest erfah­ren, wel­che Schmer­zen du mit dei­nem Mord ver­ur­sacht hast.
Sch: Schau mal einer an, Hel­ve­tia ist eine Anhän­ge­rin von Reinkarnationsideen!
Hel­ve­tia: (zor­nig) Ich ver­bit­te mir den abschät­zi­gen Unter­ton in dei­ner Bemer­kung, Mensch! Ist dir ent­gan­gen, dass auch im Wes­ten so gros­se Leuch­ten wie ein Goe­the, Schil­ler, Les­sing, Tol­stoi oder Ibsen die Idee, dass wir uns über vie­le Leben hin­weg in einem lang­sa­men Rei­fe­pro­zess die wah­re Frei­heit errin­gen, als ein­zig sinn­vol­le Alter­na­ti­ve betrach­te­ten: die Alter­na­ti­ve zu einem Chris­ten­tum, das mit Dog­men, Him­mel, Feg­feu­er und Höl­le han­tiert, oder die Alter­na­ti­ve zu einem sinn­ent­leer­ten Leben, das ins gros­se Nichts führt?
Sch: Habe ich dich rich­tig ver­stan­den? Du denkst, dass Gott uns sozu­sa­gen auf einer gros­sen „Spiel­wie­se“ namens Erde die vol­le Frei­heit geschenkt hat, um über vie­le Leben hin­weg durch eige­ne, viel­leicht höchst schmerz­vol­le Erfah­run­gen zu einem wahr­haft frei­en und lie­ben­den Indi­vi­du­um zu rei­fen? Das wür­de ja auch bedeu­ten, dass wir die vol­le Ver­ant­wor­tung dafür tra­gen, was wir mit unse­ren Leben so anstellen.
Hel­ve­tia: Selbst­ver­ständ­lich. Radi­ka­le Frei­heit — so wie Gott, denn wir sind ja nach sei­nem Bil­de erschaf­fen -, ist untrenn­bar mit radi­ka­ler Ver­ant­wor­tung verbunden. 
Sch: Das wür­de aller­dings heis­sen, dass du dem Cre­do des Vor­den­kers der SVP, Welt­wo­che-Chef­re­dak­tor Roger Köp­pel nicht zustimmst, wir sei­en ja sowie­so alle aus krum­mem Holz geschnitzt und sol­len ein­fach dem „lie­ben Gott“ ver­trau­en, der wer­de es dann schon richten?
Hel­ve­tia: (seufzt, ver­dreht die Augen und bleibt stumm)
Sch: Dan­ke, Hel­ve­tia! Mir ist der Zusam­men­hang zwi­schen Frei­heit und Gott tat­säch­lich etwas kla­rer gewor­den. Bleibt noch die Fra­ge der „Ewi­gen Eidgenossenschaft“.
Hel­ve­tia: Du bist frei und ver­ant­wort­lich. Mach dir sel­ber Gedan­ken dazu!
Sch: Hoch­ed­le Hel­ve­tia, wärst du bereit, mir auch dazu spä­ter wie­der eine Audi­enz zu gewähren?
Hel­ve­tia: 
(huld­voll) Das sei dir gewährt.

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Mattiello am Mittwoch 23/42
Die Reichsidee 107

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