Die Kampagne der Gegener:innen des Covid19-Gesetzes läuft bereits auf vollen Touren – um nicht zu sagen: ganz heiss.
Am Freitag warnte die SVP allen Ernstes davor, dass Ungeimpfte «ghettoisiert» würden.
Bei Wikipedia oder DWDS (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache: Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute) können sie umfangreiche Definitionen von Ghetto nachlesen.
Etwas kürzer und einfacher ist das im Kindernetz:
»Als Ghetto (auch “Getto”) bezeichnet man besondere Stadtviertel, in denen Bevölkerungsgruppen freiwillig oder gezwungen leben. So mussten in mittelalterlichen Städten in Deutschland Juden zusammen in einem Viertel leben, getrennt von den Christen. Die Bewohner konnten das Viertel aber frei betreten und verlassen.«
Und wer noch mehr Einblick braucht:
Hier können Sie sich ein bisschen in das Warschauer Ghetto einfühlen:
Geheimsache Ghettofilm (1:28)* oder Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto (1:26)
Doch damit nicht genug.
Der Schwyzer SVP-Kantonsrat David Beeler hetzte an der Corona-Demo in Rapperswil gegen den Bundesrat, sprach von einem «Genozid» und verbreitete Verschwörungstheorien. Seine Kantonalpartei findet die Wortwahl teils unglücklich, will ihn aber nicht ausschliessen.
Womit wir schon wieder bei einem Ausdruck wären, den mir meine Gegner als Nazikeule interpretieren werden. Schauen wir uns den Ausdruck in Wikipedia an:
»Ein Genozid ist seit der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht, der durch die Absicht gekennzeichnet ist, auf direkte oder indirekte Weise „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“; er unterliegt nicht der Verjährung.«
Aber nicht nur das Wort Genozid ist problematisch. Auch seine Sätze wie:
• «Unsere Polizisten schiessen auf Demonstranten, sie prügeln Frauen und alte Leute.»
• «Unser Bundesrat hat das Land verraten, er hat es verkauft an das Grosskapital.»
• «Die Verantwortlichen dieser Pandemie müsste man vor ein Kriegsgericht bringen.»
• «einen Genozid der Gedanken, der Worte, der körperlichen Unversehrtheit, ein Genozid des Kleingewerbes, unserer Restaurants, von allen Leuten, die arbeiten wollen.»
• «Wir wollen einstehen für die Freiheit und sind bereit, das Leben zu geben, wenn es sein muss.»
• «Denkt und kämpft bis zum letzten Blutstropfen.»
Meinungsfreiheit, meine ich, ist eine Sache (die Gedanken si-ind frei). Die Meinungsäusserungsfreiheit, meine ich, unterliegt etwas strengeren Regeln. Und mir stellt sich die Frage, wo eigentlich »Volksverhetzung« beginnt — und ob das nicht ein Offizialdelikt ist.
*Das Titelbild ist ein Filmstill aus diesem Film.
ibis
Okt 19, 2021
Danke für diese wichtige Einordnung!
Vergleiche mit Ghetto und Genozid sind natürlich einfach nur falsch und geschmacklos, die jetzige Situation mit den Massnahmen dramatisierend und gleichzeitig die wirklichen Schrecken aus der Geschichte banalisierend — ebenso wie die Tatsache, dass noch immer Pandemie ist und auf der ganzen Welt viel zu viele Menschen sterben — unnötig sterben zum grössten Teil.
Aber was mich tatsächlich auch noch mehr besorgt ist diese Flucht in die Opfer- und Märtyrerrolle, angestachelt durch die klar politisch motivierten Profilierungsneurose verantwortungsloser Ignoranten, welche mit den Ängsten der Menschen spielen.
Viele fühlen sich überfordert, haben Angst, empfinden Kontrollverlust oder haben tasächlich grosse Existenzsorgen.
Und statt diesen Menschen gegenüber unterstützend zu wirken, sich für Solidarität stark zu machen und die Gemeinsamkeiten zu betonen (und wir kommen nun mal nur gemeinsam aus dieser Krise) werden genau diese Ängste noch mehr geschürt und wird den Menschen, die dafür anfällig sind suggeriert, es gebe einen Gegner, der alles Böse verursache und es gebe vor allem eine Lösung dafür: Den Kampf. Und weil die anderen “die Bösen” sind, ist dann auch irgendwann Gewalt gerechtfertigt.
Deshalb: Ja, ich finde das tatsächlich weit über das Recht zur Meinungsäusserung hinausgehend.
Wer übernimmt die Verantwortung, wenn die ersten tatsächlich zur Gewalt greifen?
(Und dass man von Seiten BR und anderer Verantwortungsträger ständig aus Angst vor genau dieser “Spaltung” ständig versucht, es allen recht zu machen und das Vertrauen durch dieses zögerliche hin und her noch mehr schwächt, nützt gegen die Hetzer und Spalter eben genau überhaupt nichts, im Gegenteil! Die haben Blut geleckt und hetzen fröhlich weiter, ganz egal, wie sehr man ihnen entgegenkommt, da sie sich inzwischen komplett aus der Realität verabschiedet haben.)
max feurer
Okt 19, 2021
Guter Text von Franz Büchler — weiter so 😉 ! Und guter Kommentar von Ibis. Wir müssen uns tatsächlich mit dem Phänomen einer massiven Realitätsverschiebung vertraut machen. Erste Anzeichen dafür hat uns die Trump-Aera beschert (und deren wohlwollende Begleitung in der Schweiz durch die Weltwoche). Inzwischen bringt es eine Bloggerin auf Corona Transition tatsächlich fertig, Impfungen mit dem KZ-Arzt Mengele in Verbindung zu bringen …
Wer seriöse Information zum Thema Impfungen will, schaut man am besten immer beim Infosperber und der REPUBLIK nach.
Hans-Jörg Beutter
Okt 20, 2021
es ist vielmehr eine sehr bewusste realitäts-entfremdung, bzw. autokratische unterminierung der demokratischen institutionen und deren repräsentanten
im land der unbegrenzten (verschwörungs)möglichkeiten angezettelt, von marjorie taylor greene erstmals ausagiert – und schliesslich von den ch-marionetten im rechtsextremen setting repliziert.
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um auf die frage von büchler zurückzukommen: ich halts effektiv für volksverhetzung, die tatsächlich als offizialdelikt gehandelt werden sollte, sonst ergeht’s der schweiz wie den us-demokraten, die der autokratischen dynamik endlos nachhinken (bis es zu spät ist).
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motto: die lausigste dumpfbacke kann der demokratie gefährlich werden, wenn sie für die eigenen regelungen nicht konsequent einsteht!
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ibis bringts auf den punkt.