Viele Kritiker halten es für problematisch, dass mit der Initiative nur eine Verfassungs‑, jedoch keine Gesetzesänderung erreicht werden kann. Denn das kann bewirken, dass in die Bundesverfassung Artikel aufgenommen werden, die nicht verfassungswürdig sind. So könnte das Verbot von Waffenplätzen in Moorgebieten, die Regelung von Zweitwohnungen oder gewisse Kleider- und Bauvorschriften auch ausserhalb der Verfassung auf Gesetzesstufe geregelt werden.
Da diese Möglichkeit, wie wir im letzten Artikel gesehen haben, vom Volk zuerst gewollt, dann aber abgelehnt wurde, bleibt auf der Stufe Initiativen nur die Verfassung übrig …
Die Verfassung steht über dem Gesetz, darum sind die Hürden für Veränderungen hoch. Eine Änderung der Verfassung braucht immer eine Mehrheit von Volk und Ständen (Ständemehr). Bei Gesetzen braucht es nur eine einfache Volksmehrheit und dies nur, wenn das Referendum dagegen ergriffen wird.
Doch so einfach das in der Theorie aussieht, so schwierig ist dies in der Praxis. Wer ein Gesetz ändern oder ein neues einführen will, muss sich auf einen länger dauernden, zähen Prozess einlassen. Alle wollen dabei mitreden, von der Versicherungslobby über avenir suisse bis zur SVP wollen alle ihre Interessen einbringen, sei dies während der Entstehung des Gesetzes oder in der folgenden Vernehmlassung. Nationalrats- und Ständeratskommissionen erarbeiten Änderungen oder Gegenvorschläge und im Parlament werden diese in mehreren Durchgängen beraten, bis sie schlussendlich beschlossen werden — oder auch nicht. Und am Schluss kommt dann noch das Referendum.
Oder wie es Andreas Linn und Peter Noll schon 1956 (!) formulierten:
»Die gegenwärtige Entwicklung verschiebt die Gewichte mehr und mehr vom parlamentarischen Gesetzgeber zu den vorberatenden Instanzen; die wichtigen Entscheidungen fallen meist schon in den Kommissionen und können in der parlamentarischen Beratung kaum mehr grundsätzlich infrage gestellt werden, weil sonst die ganze mühsam erarbeitete Verständigungslösung zu Fall käme.«
Eine Verfassungsänderung, kann jedoch ohne Konsultation von Dritten einen eigenen Text verfassen, 100 000 Unterschriften sammeln und auf eine Volksmehrheit spekulieren.Die Chancen für Verfassungsinitiativen sind gestiegen. Gleichzeitig aber ist es in der Schweiz schwieriger geworden, Mehrheiten für Gesetzesrevisionen zu gewinnen – gerade wenn es um die Reform der AHV oder der Krankenkassen geht. Aus diesen Gründen gehen in der Praxis Verfassungsänderungen oft viel schlanker über die Bühne als Gesetzesrevisionen.
Was wäre denn nun eine Lösung?
Vielleicht bräuchte es anstelle der Verfassungsinitiative und der Gesetzesinitiative einfach eine »Initiative des Volkswillens«. In der wird postuliert, dass etwas in einer bestimmten Richtung geregelt oder verändert werden muss. Wie diese Änderung oder Regelung dann in die Gesetzeswerke aufgenommen wird, müssen Bundesrat und Parlament zusammen »ausjassen«. Ist es etwas Verfassungswürdiges, dann in der Verfassung, sonst in einem Gesetz oder allenfalls gar »nur« in einer Verordnung.
Wäre das eine Lösung? Wer weiss weiter?
max feurer
Apr. 13, 2021
“Initiative des Volkswillens” — tönt echt interessant :-). Sie müsste aber, wenn ich das richtig sehe, ihrerseits in der Verfassung verankert werden, oder?
Franz Büchler
Apr. 14, 2021
Selbstverständlich. Darum kommt man ja in diesem verfassungsmässig erzkonservativen Land nicht darum herum. Verfassungsmässig zum Stillstand verdonnert …