Zu früh haben wir den historischen Entscheid, das deutliche Zweidrittelsmehr an der Gemeindeversammlung im Dezember als längst fälligen Schritt in die Zukunft eingeordnet. Seit gestern ist klar: Eine richtige Weiterentwicklung wird länger nicht geben. Eine Mehrheit ist offenbar zufrieden mit dem Nicht-Agieren, dem Gammelzustand, dem Dahinvegetieren. Mit einem Bierli im Kopf scheint man sich den Zustand nach wie vor Schöntrinken zu können.
Ein paar Gedanken, die sich nach dem Nein irgendwie aufdrängen:
- Die Birsfelder Parteien haben keine Basis. Trotzdem sind vier der fünf Gemeinderatsmitglieder Parteienvertreter und eigentlich der gesamte Einwohnerrat Parteienvertreter.
- Grosse Veränderungen sind in Birsfelden nicht möglich, weil jede/r ein Haar in der Suppe finden kann. Eigene Nachteile zu verhindern ist schliesslich wichtiger, als eine Gesamtentwicklung.
- Nehmen wir z.B. den durch die Anwohner bemängelten Mehrverkehr: Die durch die neuen Bewohnenden entstandenen Mehrfahrten in der Schulstrasse hätten vielleicht dazu geführt, dass weniger Verkehr die Gemeinde über die Hauptachse nur durchquert. Oder Einkaufsfahrten in die Migros hätten abgenommen, weil man zu Fuss hätte gehen können.
- Eine Mobilisierung der Partikularinteressierten ist auch an Urnenwahlen möglich. Dabei scheint das Sammeln von Unterschriften für ein Referendum hilfreich zu sein.
- Wenn man den entstandenen Schaden (reine Planungsausgaben, ohne die Eigenleistungen der Verwaltung und der potentiellen Investoren) von CHF 1,22 Mio. durch die 1391 Nein-Stimmenden teilt, gibt das ein Pro-Kopf-Schaden von knapp CHF 900. Aber keine Angst, es braucht keine Haftpflichtversicherung: Der Betrag wird nun durch 10’500 geteilt. Das ergibt nur CHF 116 pro Kopf. Da die Steuerkraft ja CHF 1’900 pro Person und Jahr beträgt, bleibt noch etwas für die übrigen Aufgaben der Gemeinde übrig.
- Warum hat die Mobilisierung der Gegnerinnen und Gegner nicht stattgefunden, als man das Ganze noch billiger hätte stoppen können? Z.B. vor dem Quartierplanverfahren. Dann wäre der Schaden um 1/3 kleiner gewesen.
- Wo wir schon beim Geld sind: Wer zahlt die Modernisierung der beiden alten Schulhäuser? Wenn der Neuanstrich der Abdankungshalle CHF 3 Mio. kostet, wieviel kostet es dann, zwei sehr alte Häuser zu sanieren und den Anforderungen an die heutigen Nutzung (Behindertengleichstellungsgesetz, Brandschutz, etc.) gerecht zu werden.
- Und soll man nun überhaupt investieren? Bzw. halten die zwei Häuser und die alte Turnhalle in diesem Zustand nochmals 10 — 20 Jahre?
Zum Schluss noch dies: Zum grünen Traum aus den 20er-Jahren (siehe Titelbild) zurück, können wir sicher nicht. Einerseits, weil der Kredit für die Sanierung des Kirchmatt-Schulhauses bereits gesprochen ist (Referendumsfrist abgelaufen!). Andererseits auch, weil das Anlegen und Unterhalten von Parklandschaften nicht gratis zu haben ist. Derzeit saniert unsere Nachbarstadt die St.-Albantor-Anlage. die Fläche ist überschaubar, die Kosten werden mit CHF 1,5 Mio. angegeben. Dafür gibt es ein bisschen Weg, Randsteine und Bänkchen. Der Rest war schon da. Und muss dann personalintensiv gepflegt werden, denn nicht alle Bierli-Trinker nehmen ihre Fläschli mit. Unsere Gemeinde wird sich so einen Luxus auch weiterhin nicht leisten können. Auch wenn es hier viele Biertrinkende gibt.
Der Autor ist übrigens selber grosser Fan des Hopfengetränks. Einfach bevor der Shit losstürmt.
Christoph Meury
Mrz 29, 2022
Die hohe Anzahl der ungültigen Stimmen zeigt, dass wir die BürgerInnen offensichtlich überfordern. Sie sollten über die zukünftige Entwicklung von Birsfelden befinden. Mit ihrem Stimmzettel über die demographische Entwicklung, über die Finanzlage der Gemeinde, über die gewünschte Mobilität im Zentrum, den Schutz von Grünräumen, Erholungs- und Aufenthaltsqualitäten, über architektonische Qualitäten und ästhetische Gestaltungen, über Klimafragen, etc. entscheiden und können als offensichtlich mündige BürgerInnen nicht einmal einen Stimmzettel ordentlich ausfüllen. Wir sollten zukünftig stärker auf Empowerment setzen und die BürgerInnen befähigen qualifizierte Entscheidungen zu treffen. Vielleicht auch alle Beteiligten ermahnen stärker auf die professionellen PlanerInnen, auf StadtentwicklerInnen, ArchitektInnen, auf Landschaftsarchitekten, Baubehörden, etc. zu hören. Den Profis zu vertrauen. Es sind ausgebildete Profis, welche ihr Handwerk gelernt haben. Es schadet dem Gemeinwesen, wenn sorgfältig geplante Projekte von Laienpredigern und Zauberlehrlingen systematisch demontiert werden und alle erarbeiteten Grundlagen und Konzepte in populistischer Manier in den Dreck gezogen und durch billige Parolen und Plagiate ersetzt werden. Damit weckt man Geister, welche niemand mehr bändigen kann. Der Vertrauensschaden ist Hüben, wie Drüben immens und das politische Desaster ist zur Zeit mit Händen greifbar. Wo sind die politischen Kräfte, welche die Scherben zusammenwischen und Remedur schaffen? Klar kann man den Gemeinderat in die Wüste schicken und neue Kräfte beschwören. Man kann auch um die Feuer tanzen und hoffen, dass über Nacht die erleuchtende Idee aus dem Himmel schiesst. Was bleibt: Ohne Kohle gibt es keine Gestaltungsspielräume, gibt es keine Träume, keine prosperierende Zukunft für Birsfelden. Mit der Absage ans Zentrumsprojekt und damit einer Neugestaltung der Dorfmitte hat man eine einmalige Chance verspielt. Ein krudes Bündel von Partikularinteressen hat die unsägliche Melange geschaffen. Es ist bitter.
Hans-Jörg Beutter
Apr 3, 2022
diese pervertierte auffassung von »empowerment« ist teil des problems – nicht dessen lösung!
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(es geht nicht um die maximale/rigide durchsetzung des planungsanspruchs bzw. der entsprechenden bubble – die ist ja bekanntlich geplatzt – sondern um das integrieren/akzeptieren/wahr-nehmen! von relevanten parallelen anliegen*)
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wiki-auszug:
»… Voraussetzungen für Empowerment innerhalb einer Organisation sind eine Vertrauenskultur und die Bereitschaft zur Delegation von Verantwortung auf allen Hierarchieebenen …«
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*die andere hälfte der einwohnerschaft besteht nicht ausschliesslich aus »populisten-opfern«, »ewiggestrigen« und »dummstusseln« – ansonsten steht zu befürchten:
im zentrum prosperiert wohl primär der frusthaufen bzw. ein friedhof für allerhand illustre planungsleichen …
ibis
Apr 4, 2022
Vielen Dank für die Begriffs(er)klärung!
Mich hat das Wort Empowerment in diesem Zusammenhang auch irritiert, zumal der Kommentar damit loslegt, dass die Stimmenden schlicht zu doof waren.
hasira
Mrz 29, 2022
Die bz, respektive Patrick Marcolli, bringt es auf den Punkt:
https://www.bzbasel.ch/basel/analyse-zur-raumplanung-kopie-von-an-diesen-zehn-vorurteilen-scheitern-grosse-projekte-in-der-region-ld.2269196
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1. Räumliche Verdichtung ist grundsätzlich zu begrüssen, aber bitte nicht bei mir oder in meiner direkten Nachbarschaft.
2. Investoren geht es immer nur ums Geld, soziale Verdrängung wird billigend in Kauf genommen.
3. Den Gemeinden geht es nur um gute Steuerzahler.
4. Grosse Überbauungen und damit einhergehend die Zerstörung von alter Bausubstanz zerstören den Charakter einer Gemeinde, bringen Identitätsverlust für die Gesellschaft.
5. Agglomeration ist «Land» und «Natur», Erholungsraum – also bitte so belassen, wie sie ist.
6. Raum- und Verkehrsplanung kann ich auch: Ich sehe jeden Tag mit eigenen Augen, was funktioniert und was nicht.
7. Mitwirkungsverfahren ist nicht zu trauen. Sie finden «pro forma» statt.
8. Auch Architekten ist nicht zu trauen. Sie denken elitär, gestalten am Geschmack des «Volkes» vorbei (ausserdem lässt sich über Geschmack sowieso nicht streiten).
9. Neue Verbindungen im öffentlichen Verkehr sind erst nötig, wenn ein Gebiet einmal baulich erschlossen ist.
10. Die Schweiz ist gebaut.
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Und die Steuern bezahlt. Mehr braucht es nicht …
Andrea Scalone
Mrz 29, 2022
Könnte es nicht sein, dass es einfach vielen Leuten so gefällt, wie es heute ist?
Könnte es nicht sein, dass viele Leute den freien Platz im Zentrum mit Cafè, Spielplatz, Grün und Bänkchen schätzen?
Könnte es nicht sein, dass viele die Multifunktionalität des Parkplatzes für Markt, Fasnacht, Chilbi usw. cool finden?
Könnte es nicht sein, dass die Planenden diejenigen, die von Anfang an am Projekt das “zu viel, zu gross” bemängelten, stets auf später vertröstet haben und “später” dadurch fünf vor zwölf wurde?
Wer all die Planungsgelder verbraten hat, wäre noch zu klären. Teilen wir es doch unter allen Birsfelderinnen und Birsfeldern auf und lernen wir etwas für weitere Planungen in der Zukunft.
Hans-Jörg Beutter
Mrz 30, 2022
es konnte sein …
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für aussenstehende klar erkennbar: im zentrum birsfeldens herrscht primär demokratie.*
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in den relativ struben zeiten nicht ganz selbstverständlich …
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*ja, sie ist beliebig träge – und sie will nicht von obem verordnet werden.
memento: zukunftsplanung ist eines ganz sicher nicht: alternativlos …
Ueli Keller
Apr 9, 2022
Unbedarft von aussen betrachtet ist auch Birsfelden in die inzwischen üblichen Widersprüche verstrickt, die sich mit der alt gewohnten Politik nicht alle und alles umfassend konstruktiv bearbeiten lassen. Weil im Rahmen der ineffizienten parlamentarischen Parteiendemokratie letztlich zu ihrem Leidwesen alle, und dies von Links bis Rechts, oft krass den Realitäten hinterherhinken, die von denen geschaffen werden, die in Tat und Wahrheit die Mächtigen sind. Als Botschafter für eine neue Politik bin ich zusammen mit immer mehr andern im Sinne einer parteienfreien Allparteilichkeit unterwegs. Mehr dazu mit folgendem Link: https://www.einestimme.ch).