Am 25. Novem­ber stim­men wir nicht nur über die soge­nan­nte Selb­st­bes­tim­mungsini­tia­tive ab, son­dern auch über das Gesetz zugun­sten der Sozial­hil­feschnüf­fler (Geset­zliche Grund­lage für die Überwachung von Ver­sicherten BBl 2018 1491).
Bess­er als Nic­colò Rasel­li (von 1995 bis 2012 ordentlich­er Richter am Schweiz­erischen Bun­des­gericht in Lau­sanne) in einem Artikel in »Geschichte der Gegen­wart« kann man es nicht erk­lären (Auszug):

»Die verdeck­te Überwachung von Per­so­n­en stellt einen schw­eren Ein­griff in das Recht auf Achtung des Pri­vat- und Fam­i­lien­lebens dar (Art. 13 Abs. 1 Bun­desver­fas­sung).
Darum bedarf der Ein­griff nicht nur ein­er geset­zlichen Grund­lage – er muss auch ver­hält­nis­mäs­sig sein (Art. 36 Abs. 3 BV). Die vom Par­la­ment beschlosse­nen Überwachungsmöglichkeit­en betr­e­f­fen die AHV (Hil­flose­nentschädi­gung), die IV, die Unfall- Arbeit­slosen- und die Kranken­ver­sicherung. Damit dürften prak­tisch sämtliche Ein­wohn­er und Ein­wohner­in­nen der Schweiz unter den Anwen­dungs­bere­ich der Überwachungsregeln fall­en. Das neue Gesetz ist, mit anderen Worten, von enormer Trag­weite.

Als tech­nis­che Überwachungsmit­tel erlaubt das Gesetz nicht nur Video- und Tonauf­nah­men (ohne dabei Teleob­jek­tive und Richt­mikro­phone auszuschliessen), son­dern auch den „Ein­satz von tech­nis­chen Instru­menten zur Stan­dortbes­tim­mung.“ Bei Fahrzeu­gen sind das soge­nan­nte GPS-Track­er, doch der vage Begriff „Geräte zur Stan­dortbes­tim­mung“ schliesst selb­st den Ein­satz von Drohnen nicht aus. Sog­ar den kan­tonalen Sozialdirek­toren (SODK) gehen Tonauf­nah­men und GPS-Track­er, wie das Gesetz sie zur Überwachung von Ver­sicherten vor­sieht, deut­lich zu weit.

Das Gesetz erlaubt die Überwachung ein­er Per­son überdies nicht nur, wenn diese sich an einem all­ge­mein zugänglichen Ort befind­et, son­dern auch, wenn sie sich an einem Ort befind­et, „der von einem all­ge­mein zugänglichen Ort aus frei ein­se­hbar ist.“ Erlaubt ist damit die Überwachung pri­vater Gärten, von Balko­nen und Woh­nun­gen, mithin auch von Wohn- und Schlafz­im­mern (mit­tels Teleob­jek­tiv­en und Richt­mikro­pho­nen). Man denke dabei an neue Wohn­baut­en, wo oft ganze Fron­ten aus Fen­stern beste­hen… Demgegenüber dürfen Verdächtige im Rah­men ein­er polizeilichen Strafver­fol­gung nur „an all­ge­mein zugänglichen Orten“ observiert wer­den, wie Art. 282 der Straf­prozes­sor­d­nung fes­thält. Pri­vate Räume, auch wenn diese von einem öffentlichen Ort aus ein­se­hbar sind, bleiben für die Strafer­mit­tler tabu. Das heisst, dass die Organe der Sozialver­sicherun­gen – d.h. die auch von pri­vat­en Ver­sicherung­sun­ternehmen beauf­tragten Sozialde­tek­tive – stärk­er in die Pri­vat­sphäre von Verdächti­gen ein­greifen dürfen als die Organe der Strafver­fol­gung, sprich die Polizei. Mit anderen Worten: Das Gesetz ermächtigt die Sozialver­sicherun­gen zu Grun­drecht­se­in­grif­f­en, welche selb­st bei der Ver­fol­gung von Ver­brechen in dieser Form nicht zuläs­sig sind.

Das Gesetz wirft weit­ere grund­sät­zliche Prob­leme der rechtsstaatlichen Ord­nung auf. Zum einen: Dass das Gesetz den Ein­satz von Pri­vat­de­tek­tiv­en in ein­er so weitre­ichen­den Weise erlaubt und prak­tisch ohne Ein­schränkung Überwachun­gen von Pri­vat­per­so­n­en durchgeführt wer­den kön­nen, bedeutet nichts anderes als eine Aufwe­ichung des staatlichen Gewalt­monopols. Daran ändert auch die Absicht des Bun­desrates, Ver­sicherungs­de­tek­tive ein­er Bewil­li­gungspflicht zu unter­stellen, nichts.

Zum andern: Das Gesetz regelt die Frage nicht, ob unrecht­mäs­sig erhobene Beweis­mit­tel ver­w­ertet wer­den dürfen. Nach der laschen Prax­is des Bun­des­gericht­es hängt deren Ver­w­ert­barkeit von Fall zu Fall von ein­er Abwä­gung zwis­chen den involvierten pri­vat­en und öffentlichen Inter­essen ab. Das kommt ein­er Auf­munterung zu ille­galen Beweis­er­he­bun­gen gle­ich – nach dem Mot­to „nützt’s nichts, schadet’s nichts“ —, ziehen doch ille­gale Überwachun­gen wed­er Sank­tio­nen noch ein Ver­w­er­tungsver­bot nach sich. Im Strafver­fahren sind ille­gal erlangte Beweise nur aus­nahm­sweise ver­w­ert­bar, wenn es „zur Aufk­lärung schw­er­er Straftat­en uner­lässlich“ ist (Art. 141 Abs. 2 Straf­prozes­sor­d­nung).«

Endlich alles klar?

Hier noch ein paar Links zur Belus­ti­gung:
https://www.welt.de/wissenschaft/article139434745/Abhoeren-aus-120-Meter-Entfernung-mit-Laserlicht.html
https://www.spyshop.berlin/aufnahmegerate-29
https://www.ultima-ratio-gmbh.de/supermikrofon/
https://www.wachpunkt.de/produkt/durch-waende-hoeren-stethoskop/

Und die Weisheit zum Gewalt­monopol:

Die Frei­heit ein­er Demokratie ist nicht sich­er,
wenn die Men­schen das Wach­s­tum pri­vater Macht
bis zu dem Punkt tolerieren,
da sie stärk­er wird als der demokratis­che Staat.
Franklin D. Roo­sevelt

 

 

 

Die Europäische Menschenrechtskonvention, Teil 7: Fremde Richter und ein Lungenkarzinom
Mattiello am Mittwoch 4/40

Deine Meinung