Brup­ba­cher dekla­rier­te sich klar als Anhän­ger einer mate­ria­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung, aber gleich­zei­tig war ihm die Ent­wick­lung einer frei­en mensch­li­chen Indi­vi­dua­li­tät ein Her­zens­an­lie­gen. Immer wenn er fühl­te, dass ihn sein poli­ti­sches Enga­ge­ment als Mensch zu ver­schlin­gen droh­te, such­te er den Befreiungsschlag.So reis­te er regel­mäs­sig nach Paris, um sei­nen inne­ren Hori­zont zu weiten:
Da ich nicht arbei­ten moch­te, fuhr ich nach Paris und spa­zier­te dort wochen­lang umher, ging viel in Kunst­mu­se­en und schau­te mir vor allem alles an, was so recht ver­geis­tigt war. Alles gefiel mir, was man als Gotik bezeich­net, und noch eini­ges mehr, was ich als Gotisch bezeich­ne­te, wie etwa Gust­ave Moreau. Nie haben mir die Frat­zen an der Not­re-Dame einen so tie­fen Ein­druck gemacht wie damals, über­haupt alles, was am Leben ver­zeich­net und frat­zen­haft war, auch etwa Gre­co oder Man­te­gna, und dann die Boti­cel­li­schen Bil­der und ande­res aus der Frührenaissance. (…)
Ich begriff damals sehr vie­le Züge der Gotik und führ­te sie zurück auf die sozia­len Zustän­de jener Zeit, die dem Men­schen viel Leid zufüg­ten und ihm doch soviel Luxus gestat­te­ten, daß er die­ses Leid aus­drü­cken konn­te. Ich emp­fand denn auch als Goti­ker so recht die Schön­heit der Sain­te-Cha­pel­le, in der die lei­den­de Krea­tur durch die Schön­heit archi­tek­to­ni­scher For­men und durch Far­ben geheilt wird
.

Er war ein pas­sio­nier­ter Leser: Ich las Brie­fe, Memoi­ren, Bio­gra­phien, Roma­ne, Dra­men. Ich ver­grub mich in die Welt­li­te­ra­tur. Schrieb mir die Ein­fäl­le auf, die mir dabei kamen. Immer das Augen­merk gerich­tet auf das Akti­ve im Men­schen. Auf das, was nicht nur war, son­dern auch sein sollte. (…)
Er ver­grub sich in Geschichts­wer­ke, las Homer und Mon­tai­g­ne — immer auf der Suche nach dem leben­di­gen Leben.

Dazu gehö­ren auch sei­ne elf Nord­afri­ka­rei­sen. Fritz Brup­ba­cher und sei­ne Frau lies­sen sich vom ori­en­ta­li­schen Zau­ber gefan­gen­neh­men. So schil­dert er sei­nen ers­ten Ein­druck von Tan­ger:
Man war wie in einem Mär­chen. Die gewöhn­lichs­ten mensch­li­chen Hand­lun­gen wur­den in so son­der­ba­ren Ver­klei­dun­gen vor­ge­nom­men und mit einem sol­chen Lärm, daß sie eben nicht mehr die­se Hand­lun­gen waren. Man wur­de von Far­ben, Bewe­gun­gen und Tönen über­schüt­tet. Die vie­len Bil­der aus der Bibel, die vie­len Esel­chen mit Josef, Maria und dem Kin­de, die vie­len Hei­lan­de mit den Pal­men­we­deln und die Asso­zia­tio­nen, die es dar­aus gab, hoben einen in eine ande­re Welt.
Oder sei­ne ers­ten Wüstenerfahrungen:
Das Mär­chen­haf­tes­te aber war ein Son­nen­un­ter­gang in der Stein­wüs­te und ihren vio­let­ten Ber­gen zwi­schen Bis­kra und Negri­na. Wäre man nicht gar so furcht­bar uneu­ro­pä­isch gesund gewe­sen, man hät­te wahr­haf­tig sei­ne See­le durch die Sin­ne hei­len kön­nen. Unbe­schreib­lich schön war auch der ers­te Blick in die Sand­wüs­te, den wir unmit­tel­bar am Ran­de der ganz und gar zivi­li­sier­ten ägyp­ti­schen Stadt Helio­po­lis taten.

Doch Brup­ba­cher wäre nicht Brup­ba­cher gewe­sen, wenn er hin­ter die­sem Zau­ber nicht auch das Elend brei­ter Bevöl­ke­rungs­schich­ten gese­hen hätte:
Trotz aller Abwen­dung von der hei­mi­schen Wirk­lich­keit und trotz der unwill­kür­li­chen Idea­li­sie­rung der Kino­welt, die wir durch­wan­der­ten, dran­gen durch die Rit­zen die­ses Kinos noch genug Wirk­lich­kei­ten hin­durch, die uns auch das Sozia­le der durch­reis­ten Gegen­den stück­wei­se begrei­fen ließen.
Die ers­ten Male fiel uns dies Sozia­le nur auf, wenn es gar kraß war. Etwa, wenn wir sahen, wie grau­sam die Ein­ge­bo­re­nen in Algier oder in Kai­ro auf offe­ner Stra­ße von Poli­zis­ten und Pri­va­ten behan­delt wurden. (…)
Wir sahen sehr viel Elend. Sobald man sich den Men­schen ärzt­lich näher­te, schwand all der schö­ne Reiz, den ihre Erschei­nung auf der Stra­ße und den Plät­zen ver­brei­tet hat­te. Und sie erschie­nen als das, was sie waren : arme, hilf­lo­se, gequäl­te Wesen. Was wir als Frem­de nicht erfuh­ren, was uns aber spä­ter unse­re Freun­de erzähl­ten, war, daß die­se armen, gequäl­ten und hilf­lo­sen Wesen, wenn sie sich gegen die Regie­rung weh­ren wol­len, am Kra­gen genom­men und wegen ein paar sub­ver­si­ven Wor­ten in die Wüs­te ver­schickt werden.

So ist es nicht ver­wun­der­lich, dass Brup­ba­cher auch mit dem gra­vie­ren­den Kon­flikt mit der KP krea­tiv umging:
Sein Hass auf die auto­ri­tä­re und hier­ar­chi­sche Par­tei wur­de ver­wan­delt in Inter­es­se an Kir­chen­ge­schich­te, an der christ­li­chen Phi­lo­so­phie des Mit­tel­al­ters, vor allem der nomi­na­lis­ti­schen Scho­las­tik, an deren Denk­wei­se er vie­le Ähn­lich­kei­ten mit dem sta­li­nis­ti­schen Mar­xis­mus ent­deck­te, und an der Geschich­te des Jesui­ten­or­dens. Der unter­drück­te Wil­le zum Lebens­ge­nuss tat sich güt­lich an der Lek­tü­re der spät­rö­mi­schen Lite­ra­tur, an Ovid, Horaz, Lukrez, Juve­nal und Mar­ti­al. (Lang, Kri­ti­ker, Ket­zer, Kämpfer)

Und er ver­fass­te eine Hom­mage an Baku­nin, den eigent­li­chen Anti­po­den von Karl Marx.
Als Mot­to wähl­te Brup­ba­cher jenen Abschnitt aus der berühm­ten “Beich­te”, wo Baku­nin sich aus­lässt über die ein­zi­ge Trieb­kraft sei­nes Lebens: “Was die letz­te­re anbe­langt, so kann sie in eini­gen Wor­ten defi­niert wer­den: die Lie­be zur Frei­heit und ein unaus­sprech­li­cher Hass gegen jede Unter­drü­ckung — noch stär­ker, wenn sie die ande­ren, als wenn sie mich betraf. Mein Glück im Glü­cke ande­rer zu suchen, mei­ne eige­ne Wür­de in der Wür­de all derer, die mich umga­ben, frei sein in der Frei­heit der ande­ren — das ist mein Glau­be, das ist das Stre­ben mei­nes gan­zen Lebens.” — Mit einer sol­chen Ein­stel­lung war der Aus­schluss aus der KP 1933 pro­gram­miert. (Lang, Kri­ti­ker, Ket­zer, Kämpfer)

1933 — das Jahr, in dem Brup­ba­cher von der KP aus­ge­schlos­sen wur­de, war auch das Jahr, in dem sich in Deutsch­land der Natio­nal­so­zia­lis­mus sieg­reich eta­blier­te. Konn­te ein Revo­lu­tio­när wie er — inzwi­schen aller­dings poli­tisch wie­der ein­mal hei­mat­los gewor­den — die­ser Ent­wick­lung taten­los zuschauen?

Die­ser Fra­ge ist die nächs­te Fol­ge gewid­met, und dies wie immer

am kom­men­den Sams­tag, den 8. Oktober

An ande­ren Seri­en interessiert?
Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hei­ner Koech­lin / Simo­ne Weil / Gus­tav Mey­rink / Nar­ren­ge­schich­ten / Bede Grif­fiths / Graf Cagli­os­tro /Sali­na Rau­ri­ca / Die Welt­wo­che und Donald Trump / Die Welt­wo­che und der Kli­ma­wan­del / Die Welt­wo­che und der lie­be Gott /Leben­di­ge Birs / Aus mei­ner Foto­kü­che / Die Schweiz in Euro­pa /Die Reichs­idee /Voge­sen Aus mei­ner Bücher­kis­te / Ralph Wal­do Emer­son / Fritz Brup­ba­cher  / A Basic Call to Consciousness

Dritte Versteigerung im Museum
Ohne Worte ?

Deine Meinung

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.